Social-Media-Experte | Christian Schenkel setzt auf die Verantwortung aller
«Eine Zensur wäre fatal»
Was sich die Leute früher nur unter Pseudonymen oder in der Stammtischrunde zu sagen getrauten, verbreiten sie heute feuchtfröhlich unter Klarnamen in den sozialen Medien.
Christian Schenkel, nimmt man die sozialen Medien als Massstab, ist Rassismus heute wieder salonfähig. Worauf fusst diese Entwicklung?
«Viele Leute befinden sich noch in der Lernphase im Umgang mit den sozialen Medien. Für viele ist nicht ganz klar, dass es sich um einen öffentlichen Raum handelt. Sie verhalten sich deshalb, als sässen sie am Stammtisch. Das Bewusstsein dafür, dass sie sich in einer digitalen Öffentlichkeit bewegen, wächst aber.»
Soziale Medien als Abbild der Gesellschaft?
«Die Kommentare sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Von 100 nutzen 80 bis 90 die sozialen Medien nur zum Lesen und um bei ihren Freunden und Bekannten auf dem Laufenden zu sein; bloss 10 bis 20 äussern aktiv ihre Meinung. Wenn es um politisch heikle Themen geht, existiert online eine schweigende Mehrheit. Die sozialen Medien haben eher eine Spiegelfunktion.»
Eine Spiegelfunktion, was meinen Sie damit?
«Quasi wie ein Stimmungsbarometer: Die sozialen Medien zeigen die Themen, die die Menschen beschäftigen. Und wir leben in turbulenten Zeiten: Die allzeit gegenwärtige Wirtschaftskrise, die grösste Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg, der rekordtiefe Ölpreis, der Umgang mit den neuen Medien und in dem Zusammenhang die Digitalisierung der Welt, mit welcher die Angst einhergeht, dass es in Zukunft nur noch die Hälfte aller Arbeitsplätze braucht. Die Menschen müssen Druck ablassen und die sozialen Medien haben hier manchmal diese Ventilfunktion.»
Eine solche Ventilfunktion muss aber sicherlich ihre Grenzen haben. Zum Beispiel wenn es gegen Personen oder ganze Menschengruppen geht…
«Natürlich. Hier muss die Gemeinschaft in den sozialen Medien viel mehr Verantwortung übernehmen. Sie muss eine ordnende Funktion wahrnehmen. Sei es durch Private oder Unternehmen, den Personen müssen die Grenzen aufgezeigt werden. Zivilcourage ist gefragt. Klar gibt es bestehende Strafnormen, die auch hier gelten, aber da es ein solch weitläufiger öffentlicher Raum ist, müssen sich alle vermehrt in die Verantwortung nehmen.»
Erhoffen Sie sich hier nicht zu viel Aktivität von der Allgemeinheit?
«Es ist schon eine gewisse Ernüchterung gegenüber der Zeit von vor 5 bis 6 Jahren eingezogen. Damals hatte man enorm hohe Erwartungen bezüglich der Gesprächskultur und des Austauschs in den sozialen Medien und auch an die Verantwortung der Gemeinschaft. Es befindet sich aber alles noch in einem Lernprozess. Die sozialen Medien existieren erst seit der Jahrtausendwende. Wir lernen immer noch, wie man mit dem Medium umgeht, wie wir es produktiv nutzen.»
«Sie verhalten sich, als sässen sie am Stammtisch»
Christian Schenkel
Sollte nicht auch die Regierung verstärkt dagegen vorgehen?
«Die freie Meinungsäusserung ist ein enorm hohes Gut. Es besteht immer die Gefahr, dass etablierte Kräfte aus Wirtschaft und Politik dieses Gut unter einem Vorwand einschränken wollen. Zum Beispiel wenn man die Diskussionskultur als Anlass nehmen würde. Was aktuell in Polen geschieht, beunruhigt mich sehr. Das unabhängige Mediensystem und die Gewaltenteilung dürfen nicht untergraben werden. Eine Zensur wäre fatal.»
Wie gross ist die Gefahr, dass mit hetzerischen Beiträgen unentschlossene und verunsicherte Menschen negativ beeinflusst werden?
«Die grösste Beeinflussung findet durch die sogenannte Peergroup statt. Das heisst im Offline-Leben durch Kollegen und das nahe Umfeld, da diese Personen für uns glaubwürdige Gesprächspartner darstellen. In den sozialen Medien verhält es sich gleich. Auch hier haben Freunde–die uns als glaubwürdig erscheinen–einen grossen Einfluss auf unsere Meinungsbildung, einen grösseren als ein Hassbeitrag von einem unbekannten Profil.»
Kann es auch ein Vorteil sein, dass sich die Hetzer ja quasi in der digitalen Öffentlichkeit statt wie früher am Stammtisch «outen»?
«Das wäre eine Möglichkeit. Wenn wir uns gleichzeitig für eine Entwicklung der Gesprächskultur einsetzen, hin zu einer verantwortungsvolleren, vorsichtigeren und sachlicheren. Die schnelle Kommunikation in den sozialen Medien ist stark emotional getrieben, aber Emotionen gehören ja auch zu einer Debatte.»
Egal welche Emotionen?
«Es gibt viele Arten von emotional geführten Debatten. Wenn sie die Ängste der Bürger abbilden, sieht man, wo man argumentieren muss, wo Erklärungsbedarf besteht. Dies wäre vielleicht auch eine Chance für die klassischen Medien: Der emotional gefärbte Teil der medial dargestellten Öffentlichkeit befände sich dann in den sozialen Medien, die klassischen Medien hätten dann noch mehr eine einordnende Funktion. Vielleicht eine etwas idealistische Vorstellung…»
Interview: Martin Schmidt
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Kommentare
Wismer Daniel - ↑6↓4
Kommentare von Personen die nicht mal die Courage haben, den eigenen Namen anzugeben sollte man grundsätzlich nicht veröffentlichen. Solchen "Heckenschützen" und "Brandstiftern" darf man keine öffentliche Plattform bieten !!!
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martin - ↑8↓1
Zensurieren " Heisst die Denkweise gewisser Kommentar-Schreiber zum schweigen zu bringen. Zensurieren heisst auch die Wahrheit verschweigen..
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Peter - ↑8↓3
Sehen Sie auch Sie gehören zu denen die, die Meinungsäusserung einschränken wollen, wenn die Meinung nicht in Ihr Weltbild passt. Meine Zensurkritik, geht z.B. auch gegen Wolf und Schafsthemen. Und da sind die Zensuren ganz klar vorhanden.
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Peter - ↑13↓1
Zensur findet ja tagtäglich schon bei den Leserkommentaren statt. Die Zensur leben wir schon lange.
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Visper - ↑9↓5
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