Alpinismus | Das Matterhorn ist zurzeit nur über den Hörnligrat zu besteigen
Traumsommer setzt dem Hochgebirge zu
Das anhaltende Hochdruckwetter in der Schweiz freut Bergsteiger und Hüttenwarte. Gleichzeitig ist aber die Gefahr von Steinschlägen und Murgängen markant angestiegen, warnt der Walliser Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz.
Schon seit geraumer Zeit ist die Normalroute auf den Mont Blanc von Chamonix aus für Bergsteiger gesperrt. Die Gefahr von Steinschlägen verunmöglicht derzeit eine Besteigung. Auf der Südseite des Matterhorns ist wegen mehreren Felsstürzen und Steinschlägen der Lionsgrat am Sonntag von den italienischen Behörden gesperrt worden. «Nach Felssicherungsarbeiten und einer Neuinstallation der Fixseile sollte die Route Ende Woche wieder begehbar sein», sagt der Walliser Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz gegenüber dem «Walliser Boten».
Ansturm am Hörnligrat
Nicht betroffen ist die Schweizer Seite des Matterhorns. «Am Hörnligrat herrschen ideale Bedingungen für den Gipfelaufstieg. Wegen Steinschlags ist die Besteigung auf Schweizer Seite über den Zmuttgrat oder die Nordwand aber ebenfalls nicht möglich», sagt Kurt Lauber, Hüttenwart auf der Hörnlihütte.
«Am Hörnligrat herrschen ideale Bedingungen»
(Kurt Lauber)
«An die 1000 Bergsteiger haben den Gipfelaufstieg allein im Monat Juli über den Hörnligrat in Angriff genommen. Allein am (heutigen) Freitag steigen 110 Personen hoch», sagt Lauber. Die Hörnlihütte sei deshalb bis auf den letzten Platz besetzt.
Aufgrund der Hitze beobachtet man die Gefahrenlage auf der Normalroute scharf. «Denn eine Hitzewelle führte auch im Jahrhundertsommer 2003 zu einer dreitägigen Sperre des Hörnligrats. Es lösten sich damals einige tausend Kubikmeter Fels, die Route musste von Bergführern neu fixiert werden», erinnert sich Lauber.
Keine Entspannung – trotz Abkühlung
«Der Grund für die Steinschläge im Walliser Hochgebirge ist das Auftauen des Permafrostes in den Felsritzen, der brüchige Felspartien zusammenhält», erklärt Mayoraz die im Moment erhöhte Gefahr von Felsabbrüchen. «Im Besonderen sind nach Süden exponierte Bergflanken betroffen, wobei die Hitze natürlich auch Nordflanken zusetzt.»
Die Abkühlung der letzten Tage bringt allerdings keine Entspannung der Steinschlaggefahr. «Die Wärme bleibt im Fels gespeichert. Es braucht eine Abkühlung von mehreren Wochen, damit die Kälte wieder in tieferen Schichten des Felsen wirksam wird.»
«Trotz Abkühlung bleibt die Steinschlaggefahr noch für Wochen akut»
(Raphaël Mayoraz)
Viele Einsätze für Bergretter
Aufgrund dieser Gefahren mahnt der Kantonsgeologe Alpinisten, die Berggipfel über Gratrouten zu besteigen. «Diese Routen sind normalerweise stabiler. Derzeit Berge über Flanken in Angriff zu nehmen, ist keine gute Wahl.» Die Gefahr von einbrechenden Schneebrücken auf Gletschertouren hingegen habe das kühlere Wetter der letzten Tage ein wenig vermindert. «Gleichzeitig sollten die Alpinisten früh am Tag zur Tour aufbrechen und den Abstieg möglichst früh in Angriff nehmen», sagt Mayoraz, der selbst auch Bergführer ist.
Dass die Gefahren für Alpinisten nicht zu unterschätzen sind, verdeutlichen die extrem vielen Einsätze der Oberwalliser Bergretter in Zusammenarbeit mit der Air Zermatt der letzten Wochen. «Diese standen meist in Zusammenhang mit Steinschlägen und Einbrüchen in Gletscherspalten», so Anjan Truffer. Der Zermatter Bergführer ist Chef der Zermatter Bergrettung. «Etliche Bergsteiger sind bei Steinschlägen verletzt worden und mussten evakuiert werden. Gleichzeitig mussten Berggänger aus Gletscherspalten gerettet werden, unter denen Schneebrücken auf Gletscher einbrachen.»
Höhere Gefahr von Murgängen
Die Hitzewelle hat aber auch noch eine weitere latente Gefahr in den Bergen verschärft. «In den Gletschern können sich aufgrund des vielen Schmelzwassers, das teils ins Glescherinnere abfliesst, Wassertaschen bilden. Diese entstehen oft auf dem Gletscherboden, wo das Eis auf den Fels trifft. Wird der Druck zu gross, können sie jederzeit bersten und abfliessen und so Murgänge entlang der Gletscherabflüsse auslösen.»
Laut Mayoraz ist diese Gefahr bei Gewittern oder bei grosser Hitze in der zweiten Tageshälfte am höchsten. «Der Abgang von Wassertaschen ist kaum oder gar nicht voraussehbar und kann sich zurzeit bei allen Gletschern ereignen. Deshalb sollte man sich an Flüssen oder Bächen, die unterhalb von Gletschern liegen, nicht unnötig aufhalten. Bei Gewittern sollte man sich gar nicht an diesen Flussläufen aufhalten.» Ein Familienpicknick direkt am Fluss etwa könnte so zur tödlichen Falle werden, mahnt Mayoraz.
Abflüsse erreichen Rekordwerte
Dass die Hitzewelle im Juli zu enormen Schmelzwasserabflüssen an Gletschern geführt hat, bestätigen die erfassten Abflüsse an den Messstationen des Bundesamts für Umwelt im Oberwallis. «Bei Messstationen an Flüssen mit grossem Anteil an Gletscherwasser brachte die Hitzewelle deutlich überdurchschnittliche Werte. An der Messstation an der Massa, die vom Grossen Aletschgletscher gespiesen wird, lagen die Tageswerte im Juli konstant über dem Mittelwert der letzten achtzig Jahre. Teilweise wurden Abflussspitzen von über 100 Kubikmeter pro Sekunde gemessen», sagt der Walliser Gletscherexperte David Volken.
Diese Zahlen seien mit jenen im Hitzesommer 2003 vergleichbar. «Allerdings wurden in jenem Jahrhundertsommer die Peaks im Juni und anfangs August erreicht.» Einen neuen Höhepunkt steht der Gletscherschmelze bereits in den kommenden Tagen bevor. «Ab Sonntag überrollt bereits eine nächste Hitzewelle die Schweiz mit Tagestemperaturen weit über 30 Grad und einer Nullgradgrenze gegen 4500 Meter», so Volken. Somit werden wiederum sehr hohe Abflüsse erwartet, die denjenigen des Julis erreichen dürften. Die intensive Gletscherschmelze wird sich auch im August fortsetzen.
zen
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