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«Die Diagnose Brustkrebs ist kein Todesurteil»

Inge Berchtold: «Viele Schicksale gehen mir persönlich sehr nahe.»
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Inge Berchtold: «Viele Schicksale gehen mir persönlich sehr nahe.»
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Inge Berchtold: «Frauen über 50 sollten regelmässig eine Mammografie machen.»
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Inge Berchtold: «Frauen über 50 sollten regelmässig eine Mammografie machen.»
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Sie ist Breast Care Nurse und steht Frauen, die an Brustkrebs erkankt sind, mit Tipps und Ratschlägen zur Seite. Wie erlebt Sie Ihren Arbeitsalltag? Und wie gehen betroffene Frauen mit der Schockdiagnose um? Inge Berchtold gibt Auskunft.

Frau Berchtold, wie lange sind Sie heute schon auf den Beinen?
Es ist noch früh am Morgen. Heute bin ich noch nicht so lange auf den Beinen. Rund anderthalb Stunden (lacht).

Sie bereiten sich gerade auf Ihren Arbeitseinsatz vor. Was steht an?
Es gibt viel zu tun. Ich werde in der Brustsprechstunde­ Patientinnen betreuen, die operierten Patientinnen auf der Abteilung visitieren. Eine grosse Aufgabe wird es sein, die nächsten Termine zu planen, zu organisieren und zu koordinieren. Heute werden auch Beratungen für Erstversorgungen der Brustprothesen anstehen. Ich werde telefonische Bedürfnisabklärungen tätigen und das Tumorboard vorbereiten. Anschliessend muss ich noch die Sprechstunde für nächste Woche organisieren.

Krebs ist immer eine Schockdiagnose: Leiden Sie mit den betroffenen Frauen mit oder können Sie sich davon distanzieren?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele Schicksale gehen mir sehr nahe und bei anderen kann ich mich emotional recht gut abgrenzen. Ärzte wie Pflegende sprechen viel über schwierige Pflegesituationen und können so viel auffangen. Das heisst, wir betreiben eine Art «Debriefing». Jedes Schicksal darf ich nicht allzu nahe an mich herankommen lassen, sonst würde ich daran zerbrechen.

Neben den fachlichen Tipps, die Sie den Frauen vermitteln, stehen Sie den Betroffenen auch psychologisch zur Seite. Wie schnell finden Sie Zugang zu den Patientinnen?
Auch das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Betroffene, die sehr distanziert sind und keine psychologische Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Dann wiederum gibt es Frauen, die sehr dankbar sind um jeden guten Ratschlag und jedes aufmunternde Wort. Je nachdem halte ich mich zurück oder gebe den Frauen wertvolle Informationen, wie sie mit der Krankheit und den Folgen umgehen können. Sie haben auch die Möglichkeit, mich jederzeit anzurufen. Aber ich will mich auf keinen Fall aufdrängen. Jede Betroffene soll sich das nehmen, was sie zurzeit braucht.

Was sind die grössten Sorgen und Anliegen Ihrer Patient­innen?
Das kommt auf die Umstände und die jeweilige Lebenssituation der Frauen an. Eine Frau mit kleinen Kindern hat andere Bedürfnisse als eine 75-jährige Frau, bei der Brustkrebs diagnostiziert wird. Viele Frauen wissen nicht, wie sie die Diagnose ihren Kindern mitteilen sollen und andere wiederum sind besorgt darüber, wie sie mit ihrer Krankheit zurechtkommen. Für viele Frauen ist die Chemotherapie die grösste Hürde. Sie fragen sich: Wie reagiere ich auf die Chemotherapie? Was wenn meine Haare ausfallen? usw. Diese Sorgen und Anliegen sind sehr individuell.

Inwiefern hat sich die Früherkennung und Behandlung von Brustkrebs in den letzten Jahrzehnten verändert?
Dank modernster Technik kann man heute mit der Mammografie schon früh und viel erkennen. Eine Früherkennung ist sehr wichtig, weil das direkte Auswirkungen auf die weitere Behandlung hat. Früher musste man viel radikaler operieren. Es musste des Öfteren eine Ablatio (Entfernung des Drüsengewebes der Brust) durchgeführt werden, weil der Krebs zu spät entdeckt wurde und schon in einem fortgeschrittenen Stadium war. Dank der Früherkennung kann heute viel gezielter operiert werden und so die Nachbehandlungen auf ein Minimum reduziert werden.

Mit anderen Worten, die Diagnose Brustkrebs muss nicht zwingend mit einer Brustamputation einhergehen...
Nein, überhaupt nicht. Es werden nur in den dringendsten Fällen die Brüste amputiert. In den meisten Fällen wird nur der Tumor entfernt.

Sie helfen betroffenen Frauen, damit Sie ihre Lebensqualität während der Krankheit verbessern können.
Inwiefern?

Ich versuche die pflegerische Bezugsperson für die Patientin und deren Angehörigen von der Phase eines Krebsverdachts über die Diagnose, Behandlung und Nachsorge zu sein. Ich höre zu und versuche auf die Fragen der Patientinnen Antworten zu geben und setze mich für ihre Anliegen ein. Ich berate sie auch über die Erstversorgung und die definitive Brustversorgung bei einer Entfernung der Brustdrüse. Bei Haarausfall führe ich Kopftuchberatungen durch, um so ihre Lebensqualität zu verbessern. Auch der Austausch unter Betroffenen kann mitunter sehr hilfreich sein. Diesen Austausch können sie an unserem angebotenen Kurs erfahren.

In Zusammenhang mit der Früherkennung sollten sich Frauen über 50 regelmässig einer Mammografie unterziehen. Warum ist das so wichtig?
Das hat natürlich mit der Früherkennung zu tun. Zudem ist das Angebot der Mammografie im Wallis gratis. Darum würde ich allen Frauen über 50 empfehlen, diese Möglichkeit auch wahrzunehmen und sich untersuchen zu lassen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass mit einem qualitätskontrollierten Mammografie-Programm Brustkrebstodesfälle verhindert werden können. Bei früh entdeckten Brustkrebserkrankungen ist zudem die Behandlung meist ein­facher und weniger belastend.

Viele Frauen weigern sich, sich einer Mammografie zu unterziehen, weil diese Methode Schmerzen bereitet. Was ist da dran?
Bei der Mammografie werden die Brüste stark komprimiert, damit ein gutes Resultat erzielt werden kann. Das kann tatsächlich Schmerzen verursachen. Nichtsdestotrotz ist es die einzige sichere Methode, um Brustkrebs frühzeitig zu entdecken.

Die Mammografie kommt erst bei Frauen über 50 zum Einsatz. Warum kann diese Methode nicht auch bei jüngeren Frauen angewandt werden?
Gegenwärtig ist die Wirksamkeit der Screening-Mammografie bei jüngeren Frauen nicht erwiesen, da das Brustgewebe vor der Menopause dichter und durch eine Mammografie schwieriger zu beurteilen ist. Studien über die Wirksamkeit der Brust-Screening-Programme zeigten, dass die Brustkrebs-Sterblichkeit bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren dadurch erheblich verringert wurde.

Ist die Diagnose Brustkrebs ein Todesurteil?
Nein. Natürlich ist die Diagnose Krebs immer noch mit viel Schrecken und Angst verbunden. Aber wenn wir den Brustkrebs früh entdecken, dann stehen die Heilungschancen sehr gut. Neben der Operation kann der Brustkrebs mit verschiedenen Therapien sehr gut bekämpft werden.

Wie hoch sind die Heilungschancen?
Das kann man nicht verallgemeinern. Jeder Fall ist anders. Aber wie gesagt, dank der medizinischen Mittel und Möglichkeiten stehen die Heilungschancen recht gut.

Neben der körperlichen Erkrankung ist der psychische Druck nach einer Brustoperation für die betroffenen Frauen enorm.
In der Tat. Selbst wenn die Brust erhalten bleibt und der Tumor entfernt werden kann, steht vielen betroffenen Frauen noch ein langer harter Weg bevor. Nach der Operation steht meist die Bestrahlung und eventuell eine Chemotherapie mit folgender Hormontherapie von fünf bis zehn Jahren an. Die Folgen sind Haarausfall, Müdigkeit und andere Nebenwirkungen, welche auftreten können. Das übt einen grossen psychischen Druck auf die Betroffenen und deren Angehörigen aus. Darum ist es wichtig, dass sie in dieser schweren Zeit von ihrem persönlichen sozialen Netzwerk unterstützt werden, wie auch im medizinischen Bereich gut begleitet, beraten und getragen werden.

Stossen Sie bei Ihrer Arbeit auch mal an Ihre persön­lichen Grenzen?
Selbstverständlich. Es gibt Situationen, in denen auch ich hilflos bin. Was aber eher selten vorkommt. Auch wenn es hart klingen mag, ich habe einen Mechanismus entwickelt, um nicht jedes Schicksal zu teilen. Um den Arbeitsalltag zu verarbeiten, jogge ich sehr gerne, höre Musik und halte mich gerne in der Natur auf. Das hilft mir enorm. Ich habe zehn Jahre lang als Onkologiepflegefachfrau in Thun gearbeitet, da war es für mich diesbezüglich viel einfacher, weil ich die Leute nicht gekannt habe. Das ist hier ein bisschen anders, weil man viele Patientinnen kennt und dadurch die emotionale Bindung viel höher ist.

Am 23. Oktober ruft die Krebsliga die Bevölkerung dazu auf, für jeder der 5500 betroffenen Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, ein Pink-Light anzuzünden. Werden Sie auch ein Licht der Hoffnung anzünden?
Ganz sicher. Ich werde bei dieser Aktion mitmachen und mich damit solidarisch mit den betroffenen Frauen zeigen. Ich hoffe, dass sich viele Menschen dieser Aktion anschliessen.

Walter Bellwald

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