Brig/New York | Frontalinterview mit Eliane Amherd

«Patriotische Gefühle habe ich eigentlich nie»

Eliane Amherd.
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Eliane Amherd.
Foto: RZ

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Eliane Amherd.
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Quelle: RZ 1

Musikerin Eliane Amherd verbringt den 1. August in New York. Ein Interview über den Nationalfeiertag im Ausland, ihre Sicht der Schweiz, romantische Bilder der alten Heimat und warum man für New York viel Energie braucht.

Das Interview wurde vergangene Woche kurz vor Eliane Amherds­ Abreise nach New York geführt.

Eliane Amherd, Sie stehen kurz vor Ihrer Rückkehr in die USA, nachdem Sie nun mehrere Wochen in der Schweiz verbracht haben. Haben Sie genug von Ihrer alten Heimat für den Moment?
(lacht) Ich sage immer: Ich komme immer gerne in die Schweiz und ins Wallis, aber ich gehe dann auch gerne wieder. Ich geniesse den Luxus, dass ich in zwei Welten zu Hause bin. Ich glaube aber, dass ich nicht mehr nur noch im Wallis leben könnte.

Eine definitive Rückkehr in die Schweiz ist also keine Option?
Im Moment nicht, nein. Aber man soll nie nie sagen.

Die amerikanische Staatsbürgerschaft haben Sie aber noch nicht angenommen, obwohl Sie schon seit 18 Jahren in New York leben.
Ich könnte die Staatsbürgerschaft annehmen, habe sie aber in der Tat noch nicht beantragt. Mal schauen, wer das Rennen bei den Wahlen für die amerikanische Präsidentschaft macht (lacht).

«Es ist reiner Zufall, in welchem Land man ­geboren wird»

Wenn Sie nun zurück in die Staaten kommen, gibt es etwas, was Sie unbedingt sofort tun müssen?
Das Erste, was ich nach meiner Rückkehr tun werde, ist Sushi essen. Das ist Tradition. In der Schweiz esse ich nie Sushi. Dann freue ich mich natürlich auf das Wiedersehen mit meinem Partner und mit meinen Musikerkollegen.

Wenn Sie am 1. August nicht in der Schweiz sind, hat der Nationalfeiertag überhaupt eine Bedeutung für Sie?
Ja sicher. Ich werde sehr oft engagiert, um am 1. August in einer Botschaft oder einem Konsulat aufzutreten. Letztes Jahr war ich beispielsweise mit «Swiss Miss» in Tirana in Albanien und habe auch die Jahre davor immer wieder Engagements am 1. August an verschiedensten Orten gehabt. Dieses Jahr lassen wir es nun in New York krachen.

Was steht an?
Die «Schweizer Gesellschaft» in New York organisiert jedes Jahr den «Swiss National Day». In einem Biergarten in Astoria (Quartier in Queens, An. d. Red.) wird es ein grosses Fest geben. Den ganzen Tag über wird Musik gemacht und es gibt traditionelle Schweizer Gerichte wie Raclette oder Bratwurst und Schweizer Wein. Für diesen Anlass habe ich eine Band mit dem Namen «Übersee» zusammengestellt. Alle Bandmitglieder sind Schweizer Topmusiker, die in New York leben. Ich freue mich sehr darauf, mit diesen grossartigen Musikern den Nationalfeiertag in New York zu verbringen und zu feiern.

Und kommen dann bei Ihnen auch ein paar patriotische Gefühle auf?
Nein (lacht). Ich geniesse es einfach, dass ich im Ausland Schweizer Gerichte und oft auch Walliser Wein essen beziehungsweise trinken kann. Patriotische Gefühle habe und hatte ich eigentlich nie.

Gibt es dafür einen Grund?
Ja. Es ist schliesslich reiner Zufall, in welchem Land man geboren wird, und wie kann man stolz auf einen Zufall sein? Allerdings darf man es schätzen, wenn man wie ich beispielsweise das Glück hatte, in der Schweiz geboren zu werden. Wenn man als Schweizerin oder Schweizer geboren wird, hat man viele Vorteile, in unserem Land klappt vieles sehr gut und es geht uns entsprechend gut – besser als Menschen in vielen anderen Ländern auf der Welt. Diese Tatsache darf man wie gesagt schätzen, aber stolz darauf kann man meiner Meinung nach nicht sein, da es ja nicht das eigene Verdienst ist, als Schweizerin oder Schweizer geboren worden zu sein.

«Mein Bild von der Schweiz hat sich romantisiert»

Was schätzen Sie denn an der Schweiz konkret?
Ich bin, neben vielen anderen Sachen, dankbar dafür, dass wir hier eine solch wunderbare Natur haben, und vor allem auch, dass die Menschen sich in den meisten Fällen grosse Mühe geben, diese zu ­erhalten. Wenn ich zurück ins Wallis komme, dann geniesse ich es sehr, in dieser tollen Natur zu wandern.

Wenn Sie im Ausland unterwegs sind, sind Sie dann Botschafterin der Schweiz?
Das müssen andere entscheiden, ob ich das bin. Auf eine gewisse Art sicher, denn mit dem Projekt «Swiss Miss» waren wir ja schon an vielen Orten dieser Welt. Wir spielen dann ja Schweizer Lieder und ich denke schon, dass wir so die Schweizer Kultur den Menschen in anderen Ländern näherbringen können.

Welches Bild von der Schweiz und uns Schweizern hat man denn eigentlich in New York?
Es ist ein doch stark romantisiertes Bild. Viele New Yorker wissen zwar, dass man in der Schweiz vier verschiedene Sprachen spricht, verwechseln unser Land aber dann doch gerne mit Schweden. Dann kommen natürlich die Klischees dazu, wie Schokolade, Käse und die Berge. Bei vielen Musikern ist das Bild etwas differenzierter, da sie schon in der Schweiz auf Tournee waren und beispielsweise Auftritte am Jazz Festival in Montreux hatten. An anderen Orten auf der Welt habe ich zudem die Erfahrung gemacht, dass die Menschen die Schweiz sofort mit Reichtum in Verbindung bringen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man von einem Taxifahrer übers Ohr gehauen wird, weil die Menschen meinen, dass uns dies finanziell nicht wehtut. Ganz generell kann ich aber sagen, dass wir Schweizer in der Welt ein gutes Ansehen geniessen.

Welches Bild haben Sie heute von der Schweiz, nachdem Sie nun seit 18 Jahren in New York leben?
Ich denke, dass sich mein Bild von der Schweiz romantisiert hat. Ich glaube, das geht den meisten Menschen so, wenn man lange Zeit weg ist. Ein Beispiel: Früher mochte ich es nicht so, in den Bergen zu wandern, und auch mit Volksliedern konnte ich nicht viel anfangen. Durch die Distanz hat sich der Bezug zu diesen «Schweizer» Dingen aber zum Positiven hin verändert. Je mehr ich in der Welt herumgekommen bin, umso mehr habe ich erkannt, in welcher Idylle wir hier in der Schweiz leben und die Menschen geben sich, wie gesagt, Mühe, diese Idylle und diese Schönheit auch zu bewahren.

Sie haben die Volkslieder erwähnt. Diese mögen Sie bekanntlich heute sehr.
Ich habe durch die Distanz erkannt: Hey, es gibt wirklich viele gute Lieder mit wunderschönen Melodien in unserem Kulturgut. Mit dem Projekt «Swiss Miss» habe ich versucht, auf meine Weise eine Hommage an dieses Kulturgut zu schaffen. Gleichzeitig haben auch viele andere junge Musiker aus und in der Schweiz erkannt, dass unsere Volksmusik nicht nur etwas für gewisse Altersgruppen oder Leute mit einer gewissen politischen Gesinnung ist, und haben sie neu interpretiert. Das ist sehr schön.

«New York verschlingt dich, wenn du keine Energie hast»

Gibt es denn auch Dinge, die Ihnen aus der Distanz heraus betrachtet Sorgen bereiten?
Sorgen machen mir die Isolationstendenzen. Klar, wenn man viel besitzt, hat man immer auch Angst, dass irgendjemand es einem wegnehmen könnte. Ich persönlich habe aber ein ganz anderes Verhältnis dem Fremden gegenüber. Einerseits bin ich in New York ja auch eine Fremde. Andererseits begegnet man in New York dem Fremden ganz anders als in der Schweiz und dem sonstigen Europa. In New York empfindet man das Fremde als eine Bereicherung und als etwas Interessantes, von dem man in irgendeiner Form profitieren kann. Selbstverständlich ist dies an vielen Orten in den USA ganz anders, aber diese New Yorker Einstellung, das Fremde mit offenen Armen zu empfangen, hat schon abgefärbt.

Sie sagen, dass Sie in Bezug auf die Schweiz eine Romantisierung erlebt haben. Verhält es sich denn nach vielen Jahren in New York mit der Stadt genau umgekehrt?
Ja, in der Tat. Die New Yorker, zu denen ich mich ja auch zähle, sagen immer: «Früher war alles besser». Genau wie es wohl an den meisten Orten sonst auch der Fall ist. Man muss sich gegen diese Tendenz ein bisschen zur Wehr setzen, was ich auch in einem Lied auf meinem neuen Album «Skylines» thematisiere. Wenn jemand neu nach New York kommt, dann übt diese Stadt auf diesen Menschen eine unglaubliche Faszination aus. Mir ging es damals auch so. Mit der Zeit verschwindet dieses Gefühl aber und man denkt dann eben, dass früher alles besser war. Ich aber sage in meinem Song «Never is», dass man sich sein New York immer wieder selber erschaffen muss und sich dafür auch von der Energie der Neuankömmlinge inspirieren lassen kann. Denn Energie muss man haben, wenn man frisch nach New York kommt.

Warum braucht man Energie?
New York verschlingt dich, wenn du keine Energie hast. Die Stadt ist dermassen schnelllebig, laut und dynamisch, dass man Schritt halten muss, sonst kann man einpacken. Ein Beispiel: Die Mieten sind exorbitant hoch. Als Künstler muss man schauen, wie man es schafft, dass man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Wenn man da stillsteht und nicht am Ball bleibt, spuckt einen New York einfach aus. Auf der anderen Seite ist es genau das, was New York und seinen Mythos ausmacht. Die Stadt lebt von den unzähligen Menschen, die jedes Jahr dort ihr Glück versuchen und das Leben in ihrer Stadt mit ihrem Elan und ihrer Kreativität bereichern.

Martin Meul

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Infos

Zur Person

 

Vorname Eliane
Name Amherd
Geburtsdatum geheim
Familie in einer Beziehung
Beruf Musikerin
Hobbies schwimmen, wandern, chillen

Nachgehakt

New York ist cooler als Brig Ja
Raclette schmeckt auch in den USA Ja
Im Herzen werde ich immer eine Swiss Miss bleiben Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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Kommentare

  • Bernd Schweizer - 37

    Gar nie patriotische Gefühle? Weshalb kommt sie dann zurück in die Schweiz? Patriotismus und Stolz auf das eigene Land sind nichts Verachtlichtliches!

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