Interview | Ursula Stüdi vom Amt für Gleichstellung und Familie

«Putzen ist nicht Mädchensache, auch Jungs können das übernehmen»

Ursula Stüdi setzt sich im Amt für Gleichstellung und Familie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein.
1/1

Ursula Stüdi setzt sich im Amt für Gleichstellung und Familie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Soziologin Ursula Stüdi arbeitet beim kantonalen Amt für Gleichstellung und Familie (KAGF) als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Im Interview erklärt sie, warum es bei der Gleichstellung von Mann und Frau noch viel zu tun gibt, was man gegen stereotype Rollenbilder unternehmen kann und wo die Probleme bei der Lohngleichheit liegen.

Ursula Stüdi, befasst man sich mit den nationalen und internationalen Medien, so hat man das Gefühl, dass diese sich sehr intensiv mit Themen wie Gleichstellung, Lohngleichheit oder Sexismus befassen. Bei uns im Oberwallis scheinen diese Themen hingegen eher spärlich behandelt zu werden. Stimmt dieser Eindruck?
Wir stellen fest, dass wenn wir vom Amt aus etwas kommunizieren möchten, in der Regel die Themen von den Medien auch aufgenommen werden und darüber berichtet wird. Was jedoch nicht stattfindet, vor allem in den Medien, ist ein eigentlicher Diskurs, dieser Eindruck täuscht wohl nicht. Ich glaube jedoch, dass auch in nationalen und internationalen Medien kein wirklicher Diskurs geführt wird. Wenn Themen wie Gleichstellung und Ähnliches behandelt werden, wird darauf schnell mit Aufregung reagiert, diskutiert wird eher weniger.

Was bedeutet «mit Aufregung reagiert»?
Wenn wir ein Thema in die Öffentlichkeit tragen, so reagieren gewisse Kreise darauf immer mit der gleichen Argumentation. Diese besteht darin, dass man sagt: «Die Gleichberechtigung ist doch Realität, was wollt ihr eigentlich noch?» Das lässt natürlich keine Diskussion aufkommen. Ganz im Gegenteil wird von manchen Männern dann ins Feld geführt, dass Frauen gegenüber den Männern bevorzugt seien, weil Männer ja ins Militär müssten oder viele gefährliche Berufe ausüben würden. Solche Nebenschauplätze verhindern eine global geführte Diskussion, weil sie von den eigentlichen Tatsachen ablenken, zum Beispiel, dass Frauen beim Lohn strukturell und systematisch benachteiligt werden. Wir sollten uns erst den grossen Themen widmen und dann auf die Details eingehen.

Aber Frauen sind doch in der Schweiz gleichberechtigt.
Auf dem Papier sind Frauen in der Tat gleichberechtigt. Rechtliche Hürden und Diskriminierungen gibt es nicht. Das heisst aber noch lange nicht, dass Frauen den Männern auch faktisch gleichgestellt sind.

Können Sie das ausführen?
Ein grosses Thema ist die Lohngleichheit. Frauen erhalten für gleichwertige Arbeit nach wie vor weniger Lohn. Eine Studie im Auftrag des Nationalfonds hat zum Beispiel gezeigt, dass Frauen, die eine Lehre abschliessen, anschliessend rund 200 Franken weniger Einstiegslohn erhalten als ihre männlichen Kollegen. Nach dem Gleichstellungsgesetz ist das unzulässig, in der Realität kommt es aber trotzdem vor. Das meine ich mit faktischer Gleichstellung.

Stichwort Lohngleichheit. Es gibt unterschiedliche Zahlen darüber, wie gross diese geschlechterbedingte Lohnungleichheit denn nun ist. Die Zahlen variieren für die Schweiz zwischen 18 und acht Prozent. Was stimmt denn nun?
Das ist abhängig davon, wie man die Zahlen interpretiert. Bei den angesprochenen acht bis neun Prozent handelt es sich um jenen Lohnunterschied, der auf nichts anderes als das Geschlecht zurückgeht, wie die unterschiedlichen Einstiegsgehälter beim Einstieg ins Berufsleben. 20 Prozent beträgt der Unterschied, wenn man ausser Acht lässt, dass Frauen häufiger in schlechter bezahlten Berufsfeldern oder vermehrt in Teilzeitpensen arbeiten.

Teilzeitarbeit oder Berufswahl sind doch freie Entscheidungen, also kann man hier nicht von einem geschlechterbedingten Lohnunterschied sprechen.
Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage antworten. Gibt es einen Grund, warum typische Frauenberufe, wie zum Beispiel Pflegeberufe, schlechter bezahlt werden als Männerberufe wie Polizist, obwohl in beiden Berufen die Verantwortung gross ist? Innerhalb der Berufsgruppe besteht zwar kaum eine Lohndiskriminierung, auch männliches Pflegepersonal wird schlecht bezahlt. Gesellschaftlich betrachtet, sind die «Frauenberufe» aber benachteiligt. Darum muss man auch hier von geschlechterbedingter Lohn­ungleichheit sprechen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass «Frauenberufe» generell schlechter bezahlt werden?
Sicher spielt die historische Entwicklung eine Rolle. Einen grossen Teil machen aber auch stereotype Vorstellungen, also Klischees, die sich auf eine Personengruppe beziehen, aus. Zum Beispiel wird Frauen ein natürlicher Hang dazu, sich um andere zu kümmern, nachgesagt. Daraus entsteht dann die Vorstellung, dass eine Frau um einen Pflegeberuf auszuüben weniger lernen muss als ein Mann. Daraus wird dann gefolgert, dass die nötige Qualifikation der Frau ja naturgegeben ist, sprich das Professionalitätsniveau wird herabgesetzt und somit auch der Lohn. Ähnlich läuft es übrigens bei der Teilzeitarbeit. Warum müssen denn so viele Frauen Teilzeit arbeiten? Es herrscht nach wie vor die Vorstellung, dass vor allem die Frauen für die Kinderbetreuung zuständig sind. Zudem wird Teilzeitarbeit von Männern immer noch sehr kritisch betrachtet. Das sind geschlechterbedingte Ursachen, die folglich bei der Berechnung des Lohnunterschieds mit einfliessen müssen.

Allerdings muss man sagen, dass es jeder Frau freisteht, den Beruf zu wählen, den sie möchte. Warum entscheiden sich dennoch viele junge Frauen für die «typischen» Berufe mit niedrigem Lohn?
Diese Argumentation ist typisch. Dabei wird aber ein gesellschaftliches Problem auf die Individuen abgewälzt. Klar kann jede Frau den Beruf ergreifen, den sie möchte. Allerdings ist das gar nicht so einfach.

Warum nicht?
Eine abschliessende Erklärung dafür gibt es nicht, stereotype Rollenbilder dürften aber von zentraler Bedeutung sein. Wir wissen zum Beispiel, dass gerade im Wallis der Prozentsatz an Frauen, die einen «Männerberuf» ergreifen, im europäischen Vergleich eher tief ist. Man geht davon aus, dass dies auch mit unserem Ausbildungssystem zu tun hat. Junge Menschen in der Schweiz müssen sich relativ früh für einen Beruf entscheiden, vor allem wenn sie eine Lehre machen.

«Warum werden typische Frauenberufe schlechter bezahlt?»

In der Zeit, in der die Berufswahl getroffen wird, bleiben Mädchen und Jungen aber gerne unter sich. In diesen homogenen Gruppen sind die stereotypen Rollenbilder dann stark ausgeprägt, entsprechend fällt dann die Berufswahl aus, da man innerhalb der Gruppe nicht als Aussenseiter dastehen möchte. Und schon landen Frauen vor allem in «Frauenberufen» und umgekehrt. Es ist aber zu betonen, dass durch diesen Effekt längst nicht jede stereotype Berufswahls erklärt wird.

Auf die Rollenbilder wollen wir noch zu sprechen kommen. Doch zurück zum nicht erklärbaren geschlechterbedingten Lohnunterschied. Ein solcher ist nach Gesetz illegal. Warum gibt es ihn dennoch?
Es fehlt an Sanktionsmöglichkeiten. Zwar kann man eine Lohnklage anstrengen. Allerdings ist das schwierig. Einerseits muss man ja zuerst einmal wissen, dass man als Frau gegenüber einem Mann schlechter bezahlt wird. Ein Offenlegungszwang der Löhne gibt es aber nicht. Und da über Geld nur ungern gesprochen wird, wissen viele Frauen gar nicht, dass sie lohntechnisch diskriminiert werden. Für den Fall, dass geklagt wird, ist das natürlich mit einem grossen Aufwand verbunden, und selbst wenn man gewinnt, ist man anschliessend vermutlich seine Stelle los. Deshalb ist es wichtig, dass wir dieser Ungerechtigkeit eben auf struktureller Ebene begegnen, womit wir wieder bei den Rollenbildern wären.

Wie kann man solche Rollenbilder verändern?
Dadurch, dass man immer wieder auf Missstände, die durch solche Rollenbilder entstehen, aufmerksam macht. Wir vom KAGF suchen daher immer wieder das Gespräch mit den Unternehmen, um sie für die Problematik zu sensibilisieren. Dazu gehört nicht nur, dass gleiche Löhne bezahlt werden, sondern auch der Hinweis darauf, dass ein Mann, der Teilzeit arbeiten möchte, nicht ein unmotivierter Arbeitnehmer ist. Das versuchen wir auf Stufe der Firmen zu verbessern. Dann geht es aber auch um die Frage, welche Bilder wir unseren Kindern mitgeben wollen. In diesem Bereich sind wir unter anderem auch in den Schulen und Kitas tätig.

Was tun Sie dort?
Es geht darum, das Lehrpersonal und die Erziehungsfachpersonen für ein gendergerechtes Verhalten gegenüber den Kindern zu sensibilisieren. Ziel ist es eben, die stereotypen Rollenbilder etwas aufzubrechen. Solche Rollenbilder sind in jedem von uns vorhanden, zum Teil nehmen wir sie gar nicht bewusst wahr. Mädchen werden sehr oft instinktiv für ihr Aussehen gelobt oder für eine ruhige Verhaltensweise. Jungen dagegen erhalten viel mehr Lob für Leistungen oder dafür, dass sie sich bewegen. Mit solchen Feinheiten werden stereotype Rollenbilder jedoch wieder und wieder an die nächste Generation weitergegeben. Darum ist eine Sensibilisierung sehr wichtig. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel alltägliche Aufgaben genderneutral verteilt werden. Putzen ist nicht Mädchensache, auch Jungs können in der Kita solche Aufgaben übernehmen. Das Bewusstsein dafür zu schärfen ist unser Ziel.

Es wird folglich also noch sehr lange dauern, bis solche stereotypen Rollenvorstellungen verschwunden sind. Schliesslich geistern diese Modelle ja noch in den Köpfen all derer herum, die noch nicht bereits in jungen Jahren sensibilisiert worden sind.
Das stimmt. Eine solche Änderung des gesellschaftlichen Bewusstseins passiert nicht von heute auf morgen. Es ist daher wichtig, auch für uns vom KAGF, dass sich die Gesellschaft immer wieder mit solchen Fragen auseinandersetzt. Dazu gehört auch, dass es immer mal wieder zu Rückschlägen kommt, dass man vielleicht wieder in alte Rollenbilder zurückverfällt. Stereotype Denkmuster abzustreifen ist keine leichte Sache. Das ist klar. Dadurch, dass wir uns aber immer wieder klarmachen, dass faktische Gleichstellung von Mann und Frau eben noch lange nicht Realität ist, haben wir die Chance, wirklich grundlegend etwas an diesem Zustand zu ändern.

Martin Meul

Artikel

Infos

Zur Person

Vorname Ursula
Name Stüdi
Geburtsdatum 14. Juni 1970
Familie Zwei Kinder
Beruf Soziologin
Funktion Wissenschaftliche Mitarbeiterin Amt für Gleichstellung und Familie
Hobbies Langlauf, Nähen, Sport allgemein

Nachgehakt

In manchen Gesellschaftsbereichen sind Männer benachteiligt. Ja
Es gibt wichtigere Themen als die 
Gleichstellung.
Joker
Ich werde oft als Emanze beschimpft. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login

Sitemap

Impressum

MENGIS GRUPPE

Pomonastrasse 12
3930 Visp
Tel. +41 (0)27 948 30 30
Fax. +41 (0)27 948 30 31