Region | Übelalterung bei den Kirchenchören

Den Oberwalliser Chören gehen die jungen Sänger aus

Im Oberwallis sind viele Chöre überaltert und es fehlt an männlichen Stimmen.
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Im Oberwallis sind viele Chöre überaltert und es fehlt an männlichen Stimmen.
Foto: Burkard Vogt/pixelio.de

Das Durchschnittsalter vieler Oberwalliser Chöre ist hoch. Ausserdem ist Nachwuchs teils nur spärlich vorhanden. Wie sich herausstellt, büsst die Szene heute für Versäumnisse in der Vergangenheit.

Gerade die jetzige Osterzeit bedeutet für Kirchenchöre viel Einsatzzeit. Damit verbunden sind intensive Proben im Vorfeld, mit welchen zahlreiche Oberwalliser Sänger bereits viel Erfahrung haben: Sie sind schon seit Jahren dabei. Gesamtschweizerisch beträgt das Durchschnittsalter der Kirchenchöre nämlich 60 Jahre. Im Oberwallis sieht es laut einer aktuellen Statistik ähnlich aus. So liegt die Altersstruktur sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern eher beim älteren Semester. Auffallend dabei: 20- bis 40-jährige Sänger kommen nur sehr wenige vor. Für den abtretenden Briger Musikdirektor Hansruedi Kämpfen ist das kein Zufall. Einerseits sei eine Überalterung gerade bei den Kirchenchören aufgrund des rückgängigen Kirchenbezugs in ganz Europa ein Problem, sagt er. «Anderseits haben viele Chöre in den letzten 50 Jahren auch nicht viel für den Nachwuchs gemacht.» Die Kirchenchöre hätten die Sängerausbildung fast gänzlich der öffentlichen Schule delegiert in der Hoffnung, dass sie später in die Kirchenchöre kommen würden. «Auch deshalb fehlt die Generation der 20- bis 40-Jährigen nicht nur in den Kirchenchören fast gänzlich», so Kämpfen. Die Folge: Mehrere Oberwalliser Kirchenchöre fürchten um ihren Weiterbestand und müssen sich ernsthaft mit der Frage ihrer weiteren Existenz befassen.

Knaben in der Minderheit

Zum rückläufigen Kirchenbezug komme für die Kirchenchöre die entsprechende Literatur hinzu. «Die nicht vorhandene Nachwuchsarbeit in Kombination mit fast ausschliesslich typischem Kirchengesang wirkt nicht fördernd.» Deshalb müssten sich diese von diesem «Image» vermehrt zu lösen versuchen und dabei auch weltliche Lieder in ihr Repertoire aufnehmen. Aber auch die Schulen sieht Kämpfen in der Pflicht, wo Musikunterricht viel zu stiefmütterlich behandelt werde. «70 Prozent der PH-Abgänger sind nicht fähig, Musik zu unterrichten, wie es den Zielen des Lehrplans entspricht», sagt er. Ein weiteres Problem kristallisiert sich bei der 1994 gegründeten offiziellen Oberwalliser Singschule «cantiamo» heraus: Knaben sind klar in der Minderheit. So werden dort zurzeit über 140 Kinder unterrichtet, wovon aber nur 20 Knaben sind. «Buben machen eher bei einem Sportverein mit und reden lieber über Fussball», sagt Kämpfen. Viele Eltern würden ihre Söhne eher dabei unterstützen, als sie zum Musikunterricht zu fahren. Die von Kämpfen angesprochenen Versäumnisse hat die Musikerszene mittlerweile erkannt und Massnahmen ergriffen. So gibt es nebst der Singschule «cantiamo» mittlerweile in verschiedenen Gemeinden weitere ausserschulische Kinderprojekte. Beispielsweise in St. Niklaus oder aber in Ried-Brig. Am Brigerberg gibt es gerade wegen des «Knabenproblems» bewusst sogar zwei getrennte Chöre: einen Kinder- und einen Bubenchor. «Wenn die Buben unter sich sind, ist es einfacher, sie für den Gesang zu begeistern», sagt die Bubenchorleiterin Sarah Clausen. Nachwuchsarbeit müsse möglichst früh beginnen. «Je älter sie sind, desto mehr verlieren die Kinder die Offenheit und Natürlichkeit gegenüber dem Singen», so Clausen.

Oberwalliser Problem

Ein Vergleich mit dem Unterwallis zeigt: Das Oberwallis hinkt bei der Nachwuchsförderung hinterher. In fast jeder Unterwalliser Gemeinde gibt es einen Schulchor, welcher an die Schule angegliedert ist. Hinzu kommt eine weitaus höhere Anzahl an ausserschulischen Kinder- und Jugendchören (40) als im Oberwallis (sechs ohne Singschule «cantiamo»). Die Folgen: Mit den Jahren hat sich bei den «Welschen» in der Gesellschaft eine weitaus höhere Akzeptanz für Gesang entwickelt, was sich nachhaltig auf die Altersstruktur in der Chorszene auswirkt. Die Präsidentin des Oberwalliser Chor- und Cäcilienverbands Isabelle Knubel befürwortet die mittlerweile ergriffenen Anstrengungen in der hiesigen Region, sagt aber auch, «dass damit das Nachwuchs­problem kurzfristig leider nicht gelöst werden kann». Langfristig hingegen sei dieses Engagement Gold wert und die einzige Möglichkeit, die Chorkultur nachhaltig zu sichern. «Kinder und Jugendliche für Musik und Gesang zu begeistern und sie entsprechend zu unterrichten, braucht viel Können, Zeit, Leidenschaft und Engagement. Wenn man aber Erfolg hat, ist die Leitung eines Kinder-/Jugendchores auch etwas vom Schönsten und Berührendsten», sagt Hansruedi Kämpfen abschliessend.

Peter Abgottspon

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Kommentare

  • Maja Walisch, Raron - 00

    Zwar ist Ihr Artikel schon ein halbes Jahr her, aber aktueller denn je. Es ist bezeichnend, dass im Artikel vor allem von Kirchenchören geschrieben wird. Für viele Menschen sind diese Chöre einfach viel zu kirchenlastig. Mit der Jugendförderung ist nur ein Problem erkannt.
    Wenn die Jungen später ins besagte Alter 20 - 40 kommen, möchten viele von Ihnen nebst anspruchsvollem Beruf und/oder Familie nebst den wöchentlichen Proben nicht auch noch oft 2 x im Monat in die Messe zum Singen. Die Verpflichtungen für die Kirche sind für viele einfach zu hoch, auch wenn sie gerne singen würden. Es müsste auch viel mehr weltlich orientierte Chöre für diese Altersklasse geben, und hier wurden definitiv auch keine Hausaufgaben gemacht!

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