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Wieso uns Island so sympathisch ist

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«Huh» – der Schlachtruf der Isländer an der Fussball-Europameisterschaft (EM) ist Kult geworden. Island hat diesem Turnier, das mit Hooligan-Krawallen begann und noch immer unter dem Eindruck einer latenten Terrorgefahr steht, seine Leichtigkeit verliehen. Halb Europa wurde an dieser EM zu Island-Fans. Die Menschen liessen Apps ihre Namen auf Isländisch übersetzen, die Zeitungen druckten Speisekarten aus Restaurants in Reykjavik und wunderten sich über eher exotische Gerichte wie gekochten Schafskopf und fermentierten Hai. Auch wenn eine 2:5-Klatsche gegen Gastgeber Frankreich im Viertelfinal schliesslich das Turnier-Aus bedeutete, darf das isländische Team erhobenen Hauptes abreisen. «Es wäre vielleicht etwas zu viel gewesen, wenn wir gleich bei unserer ersten Teilnahme den Titel gewonnen hätten», sagte Kolbeinn Sigthorsson, der das Siegtor gegen England schoss. Und sein Trainer Lars Lagerbäck ergänzte: «Hinter uns liegt eine fantastische Reise. Etwas sehr Besonderes ist entstanden.» Auch der Schriftsteller, Literaturwissenschafter und, für viele vielleicht überraschend, grosse Fussballfan Adolf Muschg, deutet das isländische Fussballmärchen als etwas ganz Besonderes. In Zeiten, wo die Zukunft Europas mehr düster denn rosig erscheint, spannt er den Bogen zur Fussball-EM als Lichtblick im gegenwärtigen politischen Trauerspiel. Wenn die nordischen Recken aus einem Land mit 320 000 Einwohnern und bloss 100 Fussballprofis die hoch bezahlte Millionenelf aus dem Mutterland des Fussballs demütigen, ist das für Muschg ein wunderbarer Beleg dafür, dass nicht immer und überall im Leben die simple Marktlogik obsiegt. «Entscheidend ist das Spiel. Die Leute lernen ein Spiel höher schätzen als die eigene Mannschaft. Wenn man einen Zwerg wie Island über England siegen sieht, hat das nichts mit England und Island als Nation zu tun, sondern mit der alten Märchengeschichte, dass der Dümmling sein Glück macht. Derjenige, der klein und schwach ist, nichts versteht, der gewinnt am Ende die Prinzessin.» Das sind so Mechanismen, welche die Börse nicht begreift. Ein einziger Beweis gegen die Wirksamkeit, dass der Markt immer die Besten bevorzugt; kein automatisches Darwin’sches «Survival of the Fittest». Dies berührt die Menschen, nicht nur Isländer. Da bleibt wohl nur zu sagen: «Huh.»

Frank O. Salzgeber

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