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«Das Berggebiet ist ein Lebensraum und kein Naturreservat»

Thomas Egger kandidiert für den Nationalrat.
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Thomas Egger kandidiert für den Nationalrat.
Foto: RZ

Quelle: RZ 3

Thomas Egger (48) ist Direk­tor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB). Im RZ-Interview nimmt er Stellung zum Wolf, zur Zweitwohnungsinitiative, zum neuen Verkehrsfonds und zum Finanzausgleich.

Über 20 Schafe sind in der vergangenen Woche im Val
d’Hérens tot aufgefunden worden. Hinter der Attacke wird ein Wolf vermutet. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Es macht mir weh, wenn ich daran denke, dass ein Wolf 20 Schafe reisst und er selber ungestraft davonkommen kann. Dass kanns ja nicht sein. Da verstehe ich auch den Tierschutz nicht, der sich angeblich auch für Schafe einsetzt. Die Tiere verenden jämmerlich und niemand ergreift für sie Partei. Diese Situation muss dringend geändert werden. Darum muss der politische Druck erhöht werden, damit das BAFU den Auftrag des Parlaments umsetzt.

Über kurz oder lang muss der Wolf also ausgerottet werden?
Das Thema Wolf ist die Spitze des Eisbergs. Es geht um den Stellenwert der Berggebiete. Letztlich stellt sich die Frage: Sind sie ein Naturreservat oder ein Wirtschafts- und Lebensraum? Für mich ist die Antwort ganz klar: Sie sind ein Wirtschafts- und Lebensraum. Die wirtschaftliche Entwicklung hat klar Vorrang und der Wolf schadet dabei.

Die Umweltverbände argumentieren, ein Wolfsabschuss sei keine Lösung, weil die Tiere so oder so in die Schweiz einwandern würden…
Die Zuwanderung muss reguliert werden. Wir schlagen darum vor, dass letztlich die Kantone selber entscheiden sollen, ob sie den Wolf wollen oder nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Kantons Zürich bei der Revision der Jagdverordnung. Die Zürcher argumentieren, die Zahl von 35 gerissenen Nutztieren sei viel zu hoch. Wenn ein Wolf im Kanton Zürich drei Nutztiere
reisse, müsse er bereits abgeschossen werden. Jedes einzelne Nutztier, das in Zürich gerissen werde, führe zu einem Konflikt mit der Bevölkerung.

Aber gerade die städtische Bevölkerung ist es doch, die sich für den Wolf einsetzt…
Wenn ihn die Zürcher wollen, sollen sie ihn haben. Wir im Wallis wollen ihn nicht, weil er nicht kompatibel ist mit unserer Landwirtschaft und der wirtschaftlichen Entwicklung schadet.

Hat die Wolfspräsenz auch Auswirkungen auf die Berglandwirtschaft?
Sollten sich Wolfsrudel bilden, dann wird das schwere Konsequenzen für die Berglandwirtschaft haben. Insbesondere im Wallis. Die Folge: Die Bewirtschaftung der Landschaft würde nicht mehr funktionieren. Davon wäre auch der Tourismus stark betroffen. Wir brauchen nicht ein verwaldetes Landschaftsbild, sondern eine gepflegte Kulturlandschaft. Darum kommen die Touristen schliesslich hierher.

Welche Rolle spielt denn die Berglandwirtschaft in ­Zukunft?
Mit der Agrarpolitik 2014 – 17 haben wir die Weichen neu gestellt. Führt man sich die finanzielle Situation der Landwirtschaft insgesamt vor Augen, stellt man fest, dass die Berglandwirtschaft stark profitiert. Zudem müssen wir versuchen, auf längere Zeit stabilere Rahmenbedingungen zu schaffen. Jeder Landwirt ist nämlich Unternehmer und Investor zugleich. Das heisst, er muss seinen Betrieb langfristig ausrichten. Das kann er nicht alle vier Jahre neu machen.

Lässt sich die Entsiedelung der Bergdörfer stoppen?
Einerseits muss man da Arbeitsplätze schaffen. Das ist aber zugegebenermassen nicht immer einfach. Damit die Leute in den Berggebieten wohnen bleiben, kommen auch viele sogenannte Softfaktoren dazu wie Kinderkrippen, Ausbildungsmöglichkeiten usw. Aber auch die Jugendlichen muss man animieren, damit sie in den Bergdörfern bleiben. Hier braucht es innovative Projekte, z.B. damit die Jugendlichen Mietwohnungen nutzen können. Dazu könnten
leerstehende Gebäude umgenutzt werden. Hier könnte die Gemeinde eine aktive Rolle einnehmen, die Gebäude sanieren und so eine langfristige Investition schaffen.

Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative war ein Schock fürs Wallis. Auch die SAB wurde auf dem falschen Fuss erwischt. Machen Sie sich Vorwürfe?
Dass die Initiative angenommen wurde, war für mich persönlich ein arger Dämpfer. Ich habe lange überlegt, was wir im Vorfeld der Abstimmung falsch gemacht haben. Im Nachhinein sind es verschiedene Faktoren, die zu diesem Resultat geführt haben. Ich bin beispielsweise überzeugt, dass der Grossteil der Zweitwohnungsbesitzer der Vorlage zugestimmt hat in der Annahme, dass ihre Zweitwohnungen nach der Abstimmung mehr wert seien. Das wären dann schon mal 540 000 Leute, die wir nicht auf unserer Seite hatten.

Sie sind in der Arbeitsgruppe des Bundes, die das Umsetzungsgesetz zur Zweitwohnungsinitiative ausgearbeitet hat. Sind Sie zufrieden mit dem Entwurf?
Nach dem berüchtigten Kompromiss mit «Helvetia Nostra» sind nun vier von fünf unserer Kernforderungen erfüllt. Das sind 80 Prozent mehr als nach der Abstimmung. Das ist sehr positiv. Jetzt stellt sich die taktische Frage, ob man mit einer Referendumsabstimmung alles aufs Spiel setzen will oder das jetzige Gesetz akzeptiert.

Wozu tendieren Sie?
Für mich ist die Antwort ganz klar: Wir haben mit dem Gesetz sehr viel erreicht. So wird es dank dem Gesetz beispielsweise auch in Zukunft möglich sein, Hotelneubauten durch den Verkauf von Zweitwohnungen zu finanzieren. Der wichtigste Punkt, den wir nicht durchsetzen konnten, sind die sogenannten Plattform-Wohnungen. Das heisst, man kann nicht neue Chalets bauen und auf einer Plattform zum Vermieten ausschreiben. Das bedauere ich ausserordentlich. Ferner kann ein altes, nachweislich nicht mehr rentables Hotel nur zu 50 Prozent in Zweitwohnungen umgenutzt werden. Diese 50 Prozent sind ein
typisch helvetischer Kompromiss fern jeglicher Realität. Das wird so nicht funktionieren. Entscheidend ist aber letztlich: Wenn man die Vorlage jetzt rasch umsetzt, haben wir 2016 das Gesetz und die neue Verordnung. Damit schaffen wir eine gewisse Rechts­sicherheit. Kommt das Referendum, muss das Gesetz neu geschrieben werden. Wir haben dann frühestens 2019 ein Gesetz, ohne zu wissen, ob wir nochmals so viel herausholen können.

Wenn die Zürcher
den Wolf wollen, sollen sie ihn haben

Wird das Umsetzungsgesetz so angewendet, sind die Bergregionen mit einem blauen Auge davongekommen…
Aufgrund von Modellrechnungen hätten wir bei der engen Umsetzung der Initiative rund 13 000 Arbeitsplätze verloren, bei der momentanen Auslegung verlieren die Bergregionen rund 3000 bis 4000 Arbeitsplätze. Das heisst, wir verlieren zwar immer noch Arbeitsplätze, aber durch das nun beschlossene Gesetz haben wir rund 10 000 Arbeitsplätze gerettet.

Trotzdem sind die Auswirkungen im Baugewerbe und Tourismus spürbar?
Darum hat der Bundesrat auf unseren Druck hin flankierende Massnahmen beschlossen und 200 Millionen Franken zur Förderung des Strukturwandels im Tourismus bereitgestellt. Dazu wird das Bundesprogramm für Innovation und Kooperation im Tourismus um 10 Millionen aufgestockt und das bestehende Darlehen von 100 Millionen Franken für Hotelkredite bis 2019 verlängert. Damit sollen die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative und die Auswirkungen des hohen Frankenkurses abgefedert werden.

Was halten Sie von Lenkungsabgaben, die Ferienwohnungsbesitzer zum Vermieten anhalten sollen?
Für mich kommt diese Massnahme zu spät, vor allem in den Gemeinden, die heute schon 80 bis 90 Prozent Zweitwohnungen haben. Eine Lenkungsabgabe sollte ja dazu dienen, eine Entwicklung zu lenken. Wenn man aber schon eine so hohe Auslastung hat, kann man nichts mehr lenken. Mit einer derartigen, nachträglichen Lenkungsabgabe verärgert man die besten Gäste. Das kann es nicht sein. Eine Lenkungsabgabe sehe ich in den Gemeinden, die einen tiefen Zweitwohnungsanteil haben. Wichtig ist auch, dass die Gelder der Lenkungsabgabe nicht zweckentfremdet, sondern für touristische Infrastrukturen verwendet werden.

Das Gefälle zwischen Stadt und Land wird immer grös­ser und der Verteilkampf immer härter. Was für Massnahmen braucht es, damit Agglomerationen und Berggebiete näher zusammenrücken?
Der Verteilkampf ist eine zentrale Herausforderung. Aktuell geht es im Finanzausgleich um 340 Millionen Franken zugunsten der finanzstarken Kantone. Im Kanton Wallis würden dadurch im Extremfall bis zu 40 Millionen Franken fehlen. Das zeigt auf, wie hart der Verteilkampf momentan geführt wird. Das ist nicht nur beim Finanzausgleich so, sondern auch bei der Verkehrsfinanzierung.

Der Verteilkampf beim Finanzausgleich ist eine Herausforderung

Vor allem die Finanzierung im Strassenverkehr ist hart umstritten…
Mit dem NAF (Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds) soll die Strassenverkehrsfinanzierung dauerhaft neu geregelt werden. So wie der NAF im Moment konzipiert ist, ist er vor allem zugunsten der grossen Agglomerationen ausgestaltet. Wir müssten als Automobilisten 6 bis vielleicht sogar 15 Rappen mehr für das Benzin zahlen, hätten selber aber keinen Nutzen davon. Da wehren wir uns mit Händen und Füssen dagegen. Wir wollen, dass der Hauptstrassenbereich in den Fonds integriert wird und der «Netzbeschluss Strassen» umgesetzt wird. Dann würden die Streckenabschnitte Gampel – Goppenstein und die Strasse am Grossen St. Bernhard ins Nationalstrassennetz aufgenommen. Dazu kommt, dass viele Gelder zweckentfremdet werden. Wenn heute ein Automobilist 1.50 Franken pro Liter Benzin zahlt, fliessen 90 Rappen in die Bundeskasse. Davon kommen nur 30 Prozent dem Strassenverkehr zugute, der Rest fliesst in den allgemeinen Bundeshaushalt und öffentlichen Verkehr. Darum setzen wir uns dafür ein, dass die Gelder nicht zweckentfremdet werden, sondern vermehrt dem Strassenverkehr zugute kommen.

Walter Bellwald

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Infos

Zur Person

Vorname Thomas
Name Egger
Geburtsdatum 15. August 1967
Familie ledig
Beruf Geograph
Funktion Direktor SAB
Hobbies Mountain Bike, Lesen, Reisen

Nachgehakt

Ich werde in den Nationalrat gewählt. Joker
Die Berggebiete sind zum Scheitern verurteilt. Nein
Ich esse lieber Trockenfleisch und Hobelkäse statt Sushi. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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Kommentare

  • Peter Aebersold - 105

    Ich bin ein Steuerzahler aus Zürich. Meine Steuergelder können nicht besser verwendet werden, als für die Bergbauern und Bauern, die unter harten Bedingungen unsere Nahrung produzieren. Nur wenn wir möglichst viele Nahrungsmittel selber produzieren, können wir unsere Abhängigkeit vom Ausland möglichst klein halten. Wenn es im Ausland eine Nahrungskrise gibt, werden die entsprechenden Länder zuerst für sich schauen. Wenn ein Volk nicht hungern will, muss es seine Agrarpolitik selber bestimmen können, sonst profitieren nur irgendwelche Grosskonzerne, die nur auf ihren Profit rücksichtig nehmen.

  • Der Petsch - 510

    Das wir ein Tourismuskanton u.a auch sind wir in keinen Satz erwähnt - lieber macht man einen Bückling vor ein paar Hobby Schärfern, Bauern und dem Stammtisch *Gähn*. Es gibt immer noch Bauern hier im Wallis die hätten am liebsten die Planwirtschaft und Mindestpreise zurück... Allgemein bleibt festzuhalten für mich: Die Landwirtschaft Allgemein wird hier im Oberwallis wird überschätzt - ohne den Bösen Steuerzahler aus Zürich würde keiner überleben....

  • Franz Eyer - 116

    Da weiss einer, wovon er spricht. Thomas Egger ist eine starke Stimme für unsere Bergregionen. Pointiert sind seine Äusserungen allemal. Seit Jahren vertritt er die Interessen der Bergregionen in Bundesbern mit Vehemenz und der nötigen Sensibilität.

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