Erschmatt | Back-Erlebnistag für Asylsuchende

Flüchtlinge backen in Erschmatt

Bei der Herstellung des Teigs wird kräftig mitgeholfen.
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Bei der Herstellung des Teigs wird kräftig mitgeholfen.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Asylsuchende aus dem Oberwallis wurden letzte Woche zu einem Back-Erlebnistag nach Ersch­matt eingeladen. Betreut werden sie überwiegend von ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Gemäss dem Flüchtlingshochkommissariat der UNO sind 65,3 Millionen Menschen – jeder 113. Mensch – auf der Flucht. Das sind so viele wie nie zuvor. Viele landen auch in der Schweiz. «Wir sind nicht freiwillig hier», meint eine Asylsuchende aus Tibet, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. «Die Chinesen könnten beim Googeln meinen Namen finden und erfahren, dass ich in der Schweiz bin. Dadurch könnten sogar meine Eltern in Schwierigkeiten geraten», befürchtet die junge Frau. Wie viele andere Flüchtlinge kämpft sie gegen das Heimweh, muss traumatische Erinnerungen von ihrer strapaziösen Flucht in einem Lastwagen verarbeiten, mit einer ihr völlig fremden Kultur und viel Misstrauen klarkommen – und jetzt auch noch mit einem negativen Entscheid fertigwerden. «Ich bekomme nur noch Nothilfe», erzählt sie, «aber nach Hause zurückzukehren ist unmöglich.» Ihre Flucht geht weiter – viele Flüchtlinge stossen dabei an die Grenzen der ­Belastbarkeit.

Ehrenamtliche Helfer

Weil anderseits aber auch die Zielländer mit den Flüchtlingsströmen überfordert sind, bemühen sich ehrenamtliche Mitarbeiter um deren Integration. Im Wallis engagiert sich etwa Marianne Steiner aus Erschmatt. Letzte Woche hat sie einen Back-Erlebnistag für Asylsuchende organisiert. Von Brig und Visp kommend, reisen sie mit dem Zug bis Leuk, von hier geht es mit dem Kleinbus nach Erschmatt. Auf der Fahrt dahin wird einer jungen Frau schlecht, sodass in Bratsch ein kurzer Zwischenstopp eingelegt werden muss. In Erschmatt angekommen, erklären Mitarbeiter des Roggenzentrums dann das Getreide mit den langen, tief wachsenden Wurzeln, das man auch in anderen Ländern mit kargen Böden kennt, etwa in Afghanistan, der Heimat von Feroz Nawrozali.

Nachts kaum Schlaf

«Aus diesem vom Krieg ruinierten Land, wo laufend Leute entführt und getötet werden, musste ich aus Furcht vor den Taliban flüchten. Meine Frau und meine fünf Kinder zwischen 1 ½ und 14 Jahren musste ich zurücklassen», erzählt er. Nur selten kann er telefonieren, und so lebt er heute in ständiger Sorge um seine Liebsten, kann deshalb nachts kaum schlafen und wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Familie nachkommen zu lassen. «Doch das ist unmöglich», glaubt er. Inzwischen ist er seit 18 Monaten auf der Flucht. Das Kneten des Teigs und das Formen der Brote in der 30 Grad warmen, kleinen Backstube des Burgerhauses von Erschmatt lässt die Sorgen um die Familie einen kurzen Moment lang vergessen. Solange der Vorteig noch weich ist, kneten die Frauen. Wenn er aber zunehmend zäher wird und mehr Muskelkraft gebraucht wird, kneten und formen die Männer. Die Frauen vertreiben sich derweil die Zeit mit einem Memory-Spiel, aber nicht zum Spass, sondern um deutsche Wörter zu lernen. Für Tibetisch, Farsi oder Tigrinya sprechende Menschen klingt die deutsche Sprache exotisch.

Vier Tage auf dem Meer

Tigrinya spricht auch Habtan Abraham aus ­Eritrea. Er sei aus Furcht vor einem Diktator geflohen, erzählt er. Zwei Jahre lebte er in einem Flüchtlingslager in Äthiopien. Dann ging es über den Sudan und Libyen auf ein Boot. «Wir waren vier Tage auf dem Mittelmeer und hatten nichts zu essen und zu trinken», erzählt er. Viele Flüchtlingsboote kenterten – er erreichte die italienische Küste. Von hier aus ging es mit dem Zug nach Chiasso und weiter nach St-Gingolph bis nach Visp. Abraham ist arbeitswillig und würde gern als Maler arbeiten. Jacqueline Wyder Besson vom kantonalen Amt für Asylwesen hilft ihm dabei. «Grundsätzlich gilt», so Wyder Besson, «dass Asylsuchende mit dem Permis N schon nach drei Monaten arbeiten dürfen. Allerdings nur in den Bereichen Landwirtschaft, in Gastronomieküchen von Tourismusdestinationen, in Bäckereien, Metzgereien oder in Privat- oder Kollektivhaushaltungen.» Anerkannte Flüchtlinge mit Permis F dürfen auch in anderen Berufen arbeiten. «Es gibt viele arbeitswillige Asylsuchende», ergänzt Wyder Besson. «Das Problem ist nur, dass viele Arbeitgeber auf Leute aus Osteuropa zurückgreifen, statt Asylsuchende zu beschäftigen.» Während dem Mittagessen – geschwellte Kartoffeln – kann der Teig reifen. Danach kommen die Laibe in den Ofen. Am Ende des Tages darf jeder sein eigenes Roggenbrot mit «nach Hause» nehmen – meist in ein kleines Zimmer, das mit einem anderen Flüchtling geteilt werden muss.

Christian Zufferey

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