Visp | Der reformierte Pfarrer Tillmann Luther über Rhetorik und Predigten

«Wo Kirche draufsteht, muss auch Kirche drin sein»

Pfarrer Tillmann Luther: «Die Leute wollen wie in einem guten Drama bewegt werden.»
1/1

Pfarrer Tillmann Luther: «Die Leute wollen wie in einem guten Drama bewegt werden.»
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Tillmann Luther ist seit 17 Jahren Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Visp. Wie er die Osterliturgie erlebt und warum die Rhetorik für ihn wichtig ist, erzählt er im nachfolgenden Interview.

Herr Pfarrer Luther, morgen ist der höchste kirchliche Feiertag für die reformierte Kirchgemeinde. Wie erleben Sie persönlich den Karfreitag?
Ich bereite mich jeweils schon lange im Voraus auf diesen Feiertag vor. Viele Leute können das nicht nachvollziehen, aber ich bin jemand, der viel Zeit einplant. In Bezug auf Predigten arbeite ich mich Stück für Stück heran. Wir Männer können ja nicht schwanger sein. Aber die Vorbereitung kann durchaus mal neun Monate dauern (lacht). Je besser man vorbereitet ist, umso besser kann man dann improvisieren.

Improvisation ist demnach ein wichtiges Element…
Nicht nur, aber auch. Ich ermutige die Leute hin und wieder während der Predigt, mich durch einen Zuruf oder eine Bemerkung zu unterbrechen oder ich stelle ihnen eine Frage. Das kann man aber nur machen, wenn man gut vorbereitet ist.

Ein Bestandteil der Liturgie ist die Predigt. Was beinhaltet Ihre Karfreitagspredigt?
Das Thema lautet: «Drei Gründe für das Kreuz». Ich habe die Predigt bereits seit Längerem vollständig im Kopf, aber ich lasse mir dabei einen gewissen Spielraum. Will heissen, wenn ich bis dato noch eine interessante Begegnung habe, auf einen interessanten Artikel stosse oder etwas Aktuelles passiert, so kann es duchaus sein, dass ich noch einzelne Elemente in die Predigt miteinfliessen lasse. Auch wenn ich auf der Kanzel bin, fällt mir immer was Neues ein oder ich lasse manche Sachen weg. Das schönste Kompliment ist es, wenn mir nach dem Gottesdienst ein Kirchgänger sagt: «Schade, war die Predigt heute so kurz.»

Sie sind ein begnadeter Rhetoriker und wurden 2013 sogar Europameister in Stegreifrede. Wie wichtig ist die Rhetorik?
Das Wichtigste ist der Inhalt. Genauso wie bei der Zeitung. Ohne einen guten und spannenden Inhalt geht gar nichts. Dann kommt die Leidenschaft. Und dann erst kommt die Verpackung, in diesem Falle die Rhetorik. Rhetorik ist ein Werkzeug, das hilft, mein Anliegen besser ­rüberzubringen. Aber es ändert nichts daran, dass der Inhalt stimmen muss.

Fliegen Ihnen die Ideen einfach so zu oder tun Sie sich manchmal auch schwer, gute Themen zu finden?
Ich habe immer zwei Superhelden gedanklich bei mir. Einer ist Superman, der mich motiviert, dranzubleiben − und der andere ist Sherlock Holmes. Und Sherlock Holmes macht sich immer Notizen. Wenn ich nun also irgendwo einen kreativen Spruch lese, eine interessante Begegnung habe oder sonst etwas Spannendes beobachte, dann notiere ich mir ein paar Zeilen. So fliegen mir die Beispiele für die Predigt mehrheitlich zu.

Trotzdem steht der religiöse Aspekt einer Predigt wie ein roter Faden. Kann man Gott herbeireden?
Ich predige im ersten Halbjahr über das Johannes-Evangelium. Schon im letzten Sommer habe ich damit angefangen, mich einzulesen und damit intensiv zu beschäftigen. Ich gehe immer vom Bibeltext aus; von dem, was gegeben ist, was Gott mir sagen möchte. Dann frage ich mich, wie bringe ich jugendliche und erwachsene Menschen dazu, sich darauf einzulassen und mir zuhören. In jedem Fall gilt: Wo Kirche draufsteht, muss auch Kirche drin sein.

Was zeichnet den Pfarrer und Prediger Tillmann Luther aus?
Wichtig ist es, dass man authentisch und glaubwürdig ist. Zudem müssen die Kirchgänger das Gesagte überprüfen können. Ich zitiere auch oft aus einer Zeitung oder einen Fernsehsender, wo ich etwas gelesen oder gesehen habe. Das Gesagte muss passen und alltagstauglich sein. Auch im Alltag beschäftigen uns Themen wie Opferbereitschaft, Tod, Erlösung, Liebe und so weiter. Genau das beinhaltet auch das Evangelium. Das müssen wir uns nur bewusst machen und die passenden Antworten darauf liefern.

Sind Sie ein Showman auf der Kanzel?
Das würde ich so nicht sagen. Showman klingt mehr so nach Schaum, nach Äusserlichem. Es muss ein wahrer Kern da sein. Eines meiner Lieblingsbücher aus der Rhetorik heisst «Showtime», aber selbst dieser Autor sagt, der Inhalt ist das Entscheidende. Die Leute wollen wie in einem guten Drama bewegt werden und was mitnehmen für ihren Alltag.

Würden mehr Leute in den Gottesdienst kommen, wenn es weniger langweilige Predigten gäbe?
Ich glaube schon. Aber man muss differenzieren. Einige Leute sprechen hoch theologische und wissenschaftliche Predigten an, während andere mehr auf der emotionalen Ebene erreichbar sind. Wir müssen immer versuchen, alle Leute abzuholen. Alte und junge, liberale und konservative, aber auch stark interessierte und eher am Rand der Kirche stehende. Das ist die Heraus­forderung.

Walter Bellwald

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login

Sitemap

Impressum

MENGIS GRUPPE

Pomonastrasse 12
3930 Visp
Tel. +41 (0)27 948 30 30
Fax. +41 (0)27 948 30 31