Grossraubtiere | 30 Schutzhunde auf acht Schafalpen im Einsatz
«7500 Schafe im Oberwallis sömmern unter Herdenschutz»
7500 der insgesamt 24'000 Schafe, die in diesem Sommer auf den Schafalpen des Oberwallis gesömmert werden, stehen unter Herdenschutz, sagt Moritz Schwery. Der langjährige Herdenschutz-Verantwortliche fürs Oberwallis legt seinen Job nieder und zieht Bilanz.
Im Schatten der in der Öffentlichkeit ausgetragenen, hitzigen Diskussionen zwischen Schäfern und Pro-Wolf‐Organisationen in Regionen, wo Wölfe in Schafherden Beute machen, ist in den letzten Jahren auf vielen grossen Alpen im Oberwallis Herdenschutz aufgezogen worden. Davon hört man recht wenig, weil sie das mit Erfolg tun und sich Wolfsbefürworter und ‐gegner nur im Zusammenhang mit Rissen so richtig in Szene setzen können. In viele der erfolgreichen Projekte ist auch das Engagement von Moritz Schwery eingeflossen.
Moritz Schwery, auf etlichen Alpen im Oberwallis sind in den vergangenen Jahren Herdenschutzprojekte aufgezogen worden. Wie viele Schafe werden im Sommer 2016 im Oberwallis unter Herdenschutzbedingungen gesömmert?
Moritz Schwery: «Es befinden sich derzeit rund 24'000 Schafe auf den Alpen im Oberwallis. Rund 60 Prozent davon sind Schwarznasenschafe, bei den restlichen handelt sich v.a. um das Weisse Alpenschaf. 7500 der 24’000 Tiere werden mithilfe von Schutzhunden und Hirten oder anderen Schutzmassnahmen vor Grossraubtieren geschützt. Die restlichen Tiere verbleiben im freien Weidegang, zumeist auf Alpen, die als nicht schützbar klassifiziert sind.»
Wie viele Schutzhunde stehen dabei im Einsatz?
«Rund 30 Schutzhunde sollen in diesem Sommer auf acht Schafalpen (Geren und Längis, Etria, Rappental, Tunetsch, Gibel, Niwen sowie zwei im Turtmanntal) Wölfe vor Angriffen auf Schafe abhalten. Die Anzahl Schutzhunde im Oberwallis ist seit Jahren steigend.»
Bleibt die Anzahl Schafe, die im Oberwallis gesömmert werden, in etwa stabil?
«Nein. Die Zahl ist seit Jahren sinkend. Wurden im Oberwallis 2008 noch rund 30’000 Schafe auf die Alpen geführt, sind es 2016 rund 20 Prozent weniger. Gleiches Bild auch beim Gesamtbestand an Schafen im Kanton. Zählte man im Kanton Wallis 2008 noch 64'000 Schafe sind es jetzt rund 52'000 Schafe. Die jahrelange Präsenz des Wolfes und die erschwerten Sömmerungsbedingungen können da mit eine Rolle spielen.»
Herdenschutz scheint vorab im Oberwallis ein Thema zu sein, während aus dem Welschwallis eher wenig zu hören ist?
«Das wird wohl auch in Zukunft so bleiben, weil das Oberwallis mit 96 Schafalpen doppelt so viele
«Unterwalliser Schafhalter arbeiten mit professionelleren Strukturen»
Sömmerungsgebiete wie das Unterwallis kennt. Gleichzeitig sind viele so klein, dass für zumutbaren Herdenschutz erst Strukturanpassungen herbeigeführt werden müssen. Trotzdem sind im Oberwallis situationsbedingt mehr Massnahmen umgesetzt worden als im Unterwallis. Derzeit ist dort lediglich das Val d’Anniviers und das Val d‘Hérens vom Wolfsproblem betroffen.»
Trotzdem gibt es aber im Unterwallis sicherlich mehr Schafhalter und daher mehr Konfliktpotenzial?
«Das Gegenteil ist der Fall. Das Unterwallis kennt weniger Schäfer als das Oberwallis. Vielfach aber mit professionellen Strukturen mit 300 bis 400 Schafen pro Betrieb. Die Sömmerung mit einem Hirten wird dort schon länger praktiziert - auch ohne Wolfspräsenz. Aus Sicht des Herdenschutzes hat das Unterwallis den Vorteil, dass bei vielen Schafalpen die Strukturen für zumutbaren Herdenschutz bereits gegeben sind. Taucht ein Wolf in einer Region auf, lassen sich dort einfacher und schneller Herdenschutzhunde einsetzen.»
Welche Kriterien spielen eine massgebliche Rolle, um zumutbaren Herdenschutz vermehrter auch im Oberwallis umzusetzen?
«Ein Kriterium ist die Grösse der Alpe. Viele der 96 Oberwalliser Schafalpen sind Kleinstalpen mit einem tiefen Normalbesatz. Die Anstellung eines Hirten rechnet sich aber erst aber einer Herde von 300 Muttertieren und mehr. Denn Schafe auf der Alp können nur dann geschützt werden, wenn sie zusammengehalten werden können. Das ist nur mit einem Hirten zu schaffen. Zäune sind im alpinen Bereich nur eine Notmassnahme, wenn der Hirt nicht finanzierbar ist und der Einsatz von Herdenschutzhunden aufgrund des Konfliktpotenzials als problematisch beurteilt wird.»
Bei wie vielen der 96 Schafalpen im Oberwallis wären die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Herdenschutz gegeben?
«Auf 16 Alpen ist das Kriterium von einer Herdengrösse von 300 Tieren erfüllt. Dort könnte man aus wirtschaftlicher Betrachtung eine Behirtung und den Einsatz von Schutzhunden umsetzen.
«Ab 300 Schafen rechnet sich Herdenschutz»
Auf 14 weiteren kleineren Alpen kann die Möglichkeit des Herdenschutzes mit Zäunen ins Auge gefasst werden. Dies ist das Resultat einer ersten Selektion auf der Grundlage der neuen Herdenschutzpolitik des Kantons. Für diese 30 Alpen macht es aus Sicht des Kantons Sinn, über Herdenschutz zu diskutieren. Auf den restlichen 66 Alpen sind aus heutiger Sicht des Kantons mit ihren momentanen Strukturen keine Schutzmassnahmen zumutbar.»
Wie definiert sich «nicht schützbar»?
«Das heisst, Herdenschutz ist hier nicht wirtschaftlich umsetzbar und daher nicht zumutbar. Natürlich dürfen aber auf diesen Alpen trotzdem Herdenschutzmassnahmen umgesetzt werden, wenn der Bewirtschafter bereit ist, diesen Mehraufwand zu betreiben. Auf einzelnen Alpen ist das bereits der Fall. Diese Schäfer werden dabei bei Bedarf
«Herdenschutz ist auch unschützbaren Alpen möglich»
selbstverständlich auch vom Kanton beraten. Im Falle eines Wolfsangriffs werden getötete Tiere auf nicht schützbaren Alpen für einen allfälligen Wolfsabschuss angerechnet.»
Das heisst, Abschussdiskussion nach Wolfsangriffen auf die Schafherden der 66 unschützbaren Alpen bleiben dem Oberwallis auch künftig nicht erspart?
«Diese Diskussionen wird es auch in Zukunft geben. Aber für den Schäfer ist nicht entscheidend, ob die gerissenen Tiere für einen Abschuss gerechnet werden oder nicht. Dem Schäfer will alle seine Tiere im Herbst heil und gesund ins Tal treiben. Daher ist das Ziel klar: Risse durch Grossraubtiere zu vermeiden oder möglichst tief zu halten. Daher beraten wir die Alpbewirtschafter über mögliche Herdenschutzmassnahmen.»
Besteht trotzdem nicht die Gefahr, dass diese 66 Alpen auf lange Frist von den Schäfern gemieden werden, weil die Tiere dort nicht sicher sind?
«Das ist so. Es ist meiner Meinung nach auch eine Aufgabe des Kantons, im Rahmen seiner Herdenschutzpolitik zusammen mit den Alpbesitzern, oftmals Burgergemeinden, und den Bewirtschaftern Lösungen bei der Alpbewirtschaftung und der Anpassung der Strukturen auf bisher nicht schützbaren Alpen zu suchen. Denn auch dieses Ziel ist ganz klar: unsere Alpen müssen weiterhin bewirtschaftet werden können. Sicherlich auch eine grosse Herausforderung für die Gemeinden und Regionen. Für sie muss wie auch für den Kanton die künftige Nutzung ihrer Alpen von grossem Interesse sein. Schon im kommenden Jahr sollen dementsprechende Diskussionen geführt werden.»
Auf den Burgeralpen von Embd, Törbel und Bürchen sowie im Ginals oberhalb Unterbäch werden diesen Sommer wegen der Wölfe keine Schafe gesömmert. Einzelfälle?
«Nein, noch im Jahr 2008 zählte man im Oberwallis 107 Schafalpen. Im vergangenen Sommer waren es noch 96. Der Wolf wird da sicher auch ein Grund gewesen sein. Zumindest für die Alpen in Embd, Törbel, Bürchen und im Ginals trifft dies ganz klar zu.»
Das letztjährige Herdenschutzprojekt der Moosalp-Schäfer mit dem Kanton hatte einen schlechten Start. Was lief da falsch?
«Hier wurde im Sommer 2015 ein erster Schritt für einen wirksamen Herdenschutz gemacht. Es sollten mit der Zusammenlegung von zwei Alpen und der Einführung einer ständigen Behirtung die ersten Schritte für einen zukünftigen Schutz der Schafherde gemacht werden. Die Herdenschutzmassnahmen wurden dabei auf die Einzäunung der Alpen und in einer späteren Phase auf das Erstellen eines Nachtpferches beschränkt. Priorität hatten ganz klar die Bewirtschaftungsmassnahmen. Die am Projekt beteiligten Schäfer betrieben einen enormen Aufwand und setzen die mit dem Kanton vereinbarten Massnahmen und Vorgaben jeweils um.»
Die Moosalp-Schäfer warfen den Bettel Ende Saison hin. Wo lagen die Gründe?
«Beim Projekt ging es darum, die zukünftige Bewirtschaftung der beiden Alpen in Törbel und Bürchen längerfristig zu sichern und nachhaltig zu gestalten. Dies wollte man schrittweise umsetzen: zuerst die Bewirtschaftung anpassen, dass zumutbare Herdenschutzmassnahmen überhaupt umgesetzt werden können und dann eben diese Massnahmen definieren. Die Anpassung der Bewirtschaftung und das volle Herdenschutzprogramm gleichzeitig einzuführen wäre meiner Meinung von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.»
Das Pro-Wolf-Lager schätzte die Arbeit der Schäfer als ungenügend ein?
«Das ist so. Es ist für mich unverständlich und respektlos, dass sich Naturschutzorganisationen und Wolfsbefürworter mehrmals in den Medien negativ über das Verhalten der Schäfer geäussert haben und dabei auch Unwahrheiten in die Welt setzen, obwohl die Schäfer sich an die Projektvorgaben hielten und den grossen Mehraufwand nicht scheuten.»
Zum Lötschental, wo Schäfer in diesem Sommer mit dem Wolf rechnen müssen. Haben sich diese für Angriffe gerüstet?
«Auf der Guggialp werden auf diesen Sommer die Schafe von einem Hirten überwacht. Teils mithilfe von Zäunen. Für das kommende Jahr planen die dortigen Schäfer ebenfalls den Einsatz von Herdenschutzhunden.»
Sie geben ihren Job als Herdenschutz-Verantwortlicher ab. Wo liegen die Gründe?
«Die Wolfsproblematik machte Herdenschutzprojekte in den vergangenen Jahren aufwändiger und komplizierter, sodass es für mich immer schwieriger wurde, die für eine seriöse Arbeit notwendige Zeit neben meiner Aufgabe als Verantwortlicher des Landwirtschaftszentrums zu finden.»
Welches Fazit ziehen Sie für sich persönlich aus den gemachten Erfahrungen?
«Der Wolf ist im Wallis präsent und daher kommen wir nicht darum herum, uns mit Herdenschutz zu beschäftigen. Die zahlreichen Kontakte mit den Schäfern waren sicher nicht immer einfach, weil jeweils viele Emotionen im Spiel waren. Trotzdem hätte man hie und da von den Schäfern etwas mehr Verständnis für die Arbeit als
«Ich bin nicht für die Wolfspolitik zuständig»
Herdenschutzberater erwartet. Es ging ja immer darum, den Schäfern zu helfen und sie zu unterstützen. Ich bin ja nicht derjenige, der über das Schicksal des Wolfes im Wallis entscheidet und war (und bin es im Moment noch) für den Herdenschutz und nicht die Wolfspolitik zuständig.»
Während sich die Pro-Wolf-Organisationen korrekter verhielten?
«Von Seiten der Organisationen, welche sich für den Wolf einsetzen, hätte ich oft etwas mehr Entgegenkommen und mehr Respekt vor den Leistungen der Tierhalter erwartet.»
zen
Artikel
Kommentare
Pierre Chapelain - ↑3↓5
Nur 7500 von 24000 gesömmerten Schafen werden richtig gehalten und geschützt. Die anderen 16500 Schafe laufen ungeschützt als Wolfsfutter herum. Ein zum Himmel schreiender Skandal.
antworten
lynx - ↑2↓6
an Valerius: Doch dieser wäre umsetzbar, wenn sich Alpen (Alpbesitzer, Alpgenossenschaften) im gleichen Gebiet zusammenschliessen würden und so mit einer grösseren Herde, jedoch jeweils für kürzere Zeit, die Gebiete bestossen werden könnten. Doch unsere "Walliser Sturheit" lässt das halt nicht zu.....
Valerius - ↑9↓2
Zur Erinnerung: Der Herdenschutz gilt auf vielen Alpen als nicht umsetzbar.