Archäologie | Die neue Kantonsarchäologin im Gespräch
«Im Nachhinein zu kritisieren, ist immer einfach»
In den vergangenen Jahren sorgte die Arbeit der Kantonsarchäologie im Oberwallis nicht nur für eitel Sonnenschein. Nach Notgrabrungen in Oberstalden wurde kritisiert, dass der bronzezeitlichen Siedlung zu wenig Beachtung geschenkt wird. Im Interview erklärt Caroline Brunetti, die neue Chefin des archäologischen Diensts, wie sie die Situation im Oberwallis einschätzt.
Caroline Brunetti, Anfang November haben Sie die Nachfolge von François Wiblé angetreten, der nach über 40 Jahren beim Kanton in Pension ging. Wie sind Sie in ihrer neuen Funktion als Kantonsarchäologin gestartet?
«Ich hatte eigentlich einen ziemlich schonenden Einstieg. Dass ich von meinen Kollegen sehr gut aufgenommen wurde, hat mir meinen Amtsantritt recht leicht gemacht. Zudem verliess ich meinen vorherigen Job noch vor Antritt meiner neuen Stelle beim Kanton. So hatte ich Zeit, mir bei meinem Amtsvorgänger François Wiblé Rat und Wissen zu besorgen. Es ist spannend und motivierend, für eine Dienststelle zu arbeiten, die sich mit dem Hochbau befasst, von dessen historischen Anfängen bis zu seiner heutigen Form.»
Hand aufs Herz: Wie schätzen Sie persönlich die Erforschung und den Zustand des archäologischen Erbes im Kanton Wallis ein?
«Das wissenschaftliche Niveau der Archäologie ist im Wallis in Bezug auf alle Epochen aussergewöhnlich hoch. Der Kanton verfügt über versierte Forscher von internationalem Ruf, die sowohl für den Kanton als auch für private Fachbüros tätig sind. Aber natürlich fliesst ein grosser Teil des kantonalen Budgets in die Grabungsarbeiten, oft zum Schaden der wissenschaftlichen Publikations- und der Öffentlichkeitsarbeit. Hier werden wir versuchen, einen Ausgleich zu schaffen. Wichtig ist auch die Nachwuchsarbeit. Es geht darum, junge Forscher für die Arbeit in unserem Kanton, mit seinen besonderen und vor allem seinen topographisch bedingten Herausforderungen, zu interessieren.»
Setzen Sie als Spezialistin für die Eisenzeit andere Prioritäten als noch ihr langjähriger Vorgänger François Wiblé, dem nachgesagt wurde, dass er den Schwerpunkt vor allem auf den römischen Zeithorizont und die Erforschung von Martinach gelegt hat?
«Wer sich für diesen Posten bewirbt, muss seine speziellen Fach- und Lieblingsgebiete zugunsten aller Epochen und Fragestellungen aufgeben. Als Spezialist wird man zum Generalisten und muss deshalb eine klare Auswahl treffen. Während meiner Laufbahn konnte ich mich mit sehr unterschiedlichen Themen und Epochen befassen, sei es mit der Römerzeit, mit dem Mobiliar von der Bronzezeit bis zum Hochmittelalter oder natürlich mit der Eisenzeit, mit der Erforschung des Wehrdorfs Yverdon und der Kultstätte Mormont. Doch was mich in der Archäologie am meisten interessiert, ist es, Veränderungen im Verlauf der Epochen nachzuspüren, und zwar in all ihren Aspekten - seien dies nun Wohnraum, Religion, technische Fertigkeiten, Begräbnisriten oder andere. Diese Aspekte sind es, die uns befähigen, uns mit den Fragen unserer Gegenwart auseinanderzusetzen und vielleicht Antworten auf sie zu finden.»
Im Oberwallis kam zuletzt im Jahr 2013 im Rahmen einer Notgrabung in Oberstalden Kritik auf. Die Bedeutung dieser spätbronzezeitlichen Siedlung sei zu wenig beachtet worden und deren wissenschaftliche Aufarbeitung mangelhaft gewesen, hiess es damals auch aus Fachkreisen. Hält diese Kritik stand?
«Diese Frage will ich nicht beantworten, weil ich das Dossier nicht kenne und weil mich Vergangenes nur im Rahmen meiner Arbeit interessiert. Im Nachhinein zu kritisieren, ist immer einfach. Aus Erfahrung weiss ich, dass es oft schwierig ist, das Potential eines Standorts abzuschätzen.»
Überhaupt gilt das Oberwallis nicht selten als weisser Fleck auf der archäologischen Landkarte. In der jüngeren Vergangenheit hat das Budget nur für einige wenige Notgrabungen mit beschränkten Mitteln gereicht. Wie schätzen Sie die Situation ein?
«Hier trügt der Schein, denn von insgesamt kantonsweit gemachten 1321 Funden oder Grabungen entfielen deren 440 auf das Oberwallis. Das ist ein recht ansehnlicher Anteil. Zudem ist immerhin auch darauf hinzuweisen, dass im oberen Kantonsteil Ausgrabungen gemacht wurden, die zu den bedeutendsten in der Schweiz zählen, nämlich die Freilegung der früheren Dorfkerne von Gamsen. Ferner sind weitere grosse Ausgrabungen entlang des Autobahnabschnitts zwischen Siders und Susten geplant. Aber man muss zugeben, dass die Berichterstattung über diese Arbeiten in keinerlei Verhältnis zu deren Bedeutung steht. Darum habe ich vor, mich hier besonders stark zu engagieren.»
Das vollständige Interview mit Caroline Brunetti kann im «Walliser Boten» vom Samstag gelesen werden.
pmo
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