Interview | Selbstverteidigungsexperte Olivier Summermatter

«Nicht die Technik macht Menschen gefährlich, sondern die Motivation»

«Ich war gleich fasziniert vom Realitätsbezug von Krav Maga», sagt Olivier Summermatter.
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«Ich war gleich fasziniert vom Realitätsbezug von Krav Maga», sagt Olivier Summermatter.
Foto: zvg

Quelle: RZ 0

Olivier Summermatter ist Selbstverteidigungsexperte und Krav-Maga-Instruktor. Im Interview spricht er über Aufmerksamkeit im Alltag, die Gefährlichkeit von ­Menschen und die Hintergründe des Selbstverteidigungssystems Krav Maga Self Protect.

Olivier Summermatter, seit über 20 Jahren machen Sie Kampfsport, seit 13 Jahren trainieren und unterrichten Sie das Selbstverteidigungssystem Krav Maga Self Protect. Sind Sie ein gefährlicher Mensch?

Nein, ein gefährlicher Mensch bin ich nicht.

Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Man muss sich in diesem Zusammenhang eine andere Frage stellen. Was bedeutet es überhaupt, ein gefährlicher Mensch zu sein? In diesem Zusammenhang sage ich immer: Nicht die Technik macht einen Menschen gefährlich, sondern die Motivation. Wenn jemand motiviert ist, einen anderen Menschen zu verletzen, dann kann er das tun, auch wenn er nie eine Stunde Kampfsport trainiert hat. Er kann sich einfach ein ­Messer greifen und zustechen. Daher bin ich der Überzeugung, dass Kampfsportler keinesfalls ­gefährlicher sind als «normale» Menschen. Ganz im Gegenteil. Kampfsportler trainieren regelmässig, sich in Stresssituationen zurechtzufinden. Dieses Training führt meiner Meinung nach zu grosser Selbstbeherrschung und somit zu einer geringeren Gefährlichkeit.

Vor 23 Jahren haben Sie mit Karate als Sport begonnen. Was bewog Sie damals dazu, einen Kampfsport erlernen zu wollen?

Am Kampfsport haben mich damals vor allem die Bewegungsschule und die Entwicklung des eigenen Charakters fasziniert, zum Beispiel das Erlernen von Geduld. Dann mochte ich auch den Körperkontakt, der mit dem Erlernen eines Kampfsports einhergeht. Allerdings nur in einem gewissen Mass, Vollkontaktsportarten wie Boxen haben mich eher weniger angesprochen.

Vor 13 Jahren begannen Sie neben dem Karate auch Krav Maga Self Protect zu trainieren. Wie kam es dazu?

Im Rahmen einer Jugend+Sport-Fortbildung traf ich jemanden, der Krav Maga Self Protect ausübte und mich über dieses Selbstverteidigungssystem aufklärte. Ich war gleich fasziniert vom Realitätsbezug von Krav Maga und beschloss, die Kampfsportart ebenfalls zu trainieren.

Was meinen Sie mit Realitätsbezug?

Kampfsportarten wie Karate, Judo, Aikido, Jiu Jitsu, Kung Fu usw. finden in einer kontrollierten Umgebung statt. Man trägt entsprechende Kleidung, es gibt klare Kampfregeln und definierte Bewegungsabläufe. Allerdings weiss man nicht, ob die erlernten Techniken auch als Selbstverteidigung auf der Strasse funktionieren würden. Krav Maga hingegen orientiert sich an der Realität des Alltags. Daher orientiert man sich beim Training zum Beispiel an verschiedenen Eskalationsstufen.

Was bedeutet das?

Bei Kampfkünsten liegt der Fokus auf dem Kampf und dem Erlernen der entsprechenden Technik dazu, es werden Kämpfer ausgebildet. Beim Krav Maga hingegen steht der Eigenschutz im Fokus. Das heisst, das Ziel ist es, am Abend gesund wieder nach Hause zu kommen. Gerät man zum Beispiel in eine verbale Auseinandersetzung, so kann man diese Situation auch lösen, ohne körperlich aktiv zu werden. Das wäre dann die unterste Eskalationsstufe. Krav Maga Self Protect vermittelt eine adäquate Antwort auf jede Situation. Das geht natürlich bis hin zum direkten Kampf um sein eigenes Leben, aber anders als andere Kampfkünste setzt man beim Krav Maga Self Protect schon weit vor dem eigentlichen Kampf an.

Gibt es weitere Unterschiede zu Kampf­künsten wie Karate, Judo oder Kung Fu?

Krav Maga ist keine Kampfkunst, sondern ein Selbstverteidigungssystem. Während eine Kampfkunst sich stark an Traditionen und Philosophie orientiert, ist Krav Maga darauf ausgelegt, möglichst effizient zu sein und den grösstmöglichen Selbstschutz zu gewährleisten. System bedeutet in diesem Zusammenhang denn auch, dass das Krav Maga Self Protect permanent optimiert und dem alltäglichen Gewaltaufkommen angepasst wird, während die Bewegungsabläufe beim Karate beispielsweise seit Jahrhunderten dieselben sind. Erkennt man zum Beispiel, dass Angriffe mit Messern zunehmen, so wird im Krav Maga darauf reagiert und entsprechende Verteidigungstechniken trainiert. Daher spricht man im Krav Maga auch nicht von Stilen, sondern von Anwendungsbereichen. Da gibt es den für das Militär, den für Sicherheitskräfte wie die Polizei und noch den zivilen Bereich. Jeder dieser Anwendungsbereiche hat entsprechende Fokussierungen. So geht es bei den Sicherheitskräften stark darum, Personen festzuhalten und zu fixieren, während im zivilen Bereich der Eigenschutz Priorität hat. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu anderen Kampfkünsten ist zudem, dass es keine Wettkämpfe gibt.

Warum das?

Selbst die härtesten Kampfsportarten kennen gewisse Regeln, z. B., dass die Augen oder die Genitalien tabu sind. Im Krav Maga gibt es diese Regeln nicht. Effizienz steht absolut im Vordergrund.

Das hört sich ziemlich brutal an.

Ja, aber es ist ja nicht so, dass andere Kampfkünste weniger brutal wären. Im Krav Maga ist es nur so, dass massive Angriffe sehr schnell vermittelt werden, während tödliche Angriffstechniken, die es zum Beispiel auch im Karate durchaus gibt, erst in den höheren Graden gelehrt werden. Da im Krav Maga aber die realistische und effiziente Selbstverteidigung im Vordergrund seht, ­werden den Schülern schnell Zugang zu «gefährlichen» Techniken verschafft.

Stichwort Schüler. Sie unterrichten im ­Gamsen Krav Maga Self Protect. Hand aufs Herz. Hilft das wirklich, um sich in einer gefährlichen Situation behaupten zu können?

Ja, das tut es. Es geht ja nicht nur um Selbstverteidigung, sondern um den angesprochenen Eigenschutz. Dazu gehört viel mehr als nur die Kampftechnik. Wir vermitteln zum Beispiel auch, wie man sich verhalten kann, um gar nicht in eine kritische Situation zu geraten, beispielsweise indem man seine generelle Aufmerksamkeit schult, um eine gefährliche Situation rechtzeitig erkennen zu können. Dann stärken wir auch das Selbstvertrauen, sodass man sich ­weniger als potenzielles Opfer präsentiert. Natürlich gehören Kampftechniken auch zum Training. Aber bei uns steht immer die Verhältnismässigkeit im Vordergrund. Das bedeutet auch, dass viel daran gearbeitet wird, wie man sich einer gefährlichen Situation entziehen kann. Es ist nicht so, dass es bei uns darum geht, eine kleine Beleidigung direkt mit einem massiven körperlichen Angriff beantworten zu können. Aber wir zeigen schon auch auf, wie man, wenn die Situation es erfordert, einem Angreifer massiv zusetzen kann.

Wo liegen die Grenzen von Selbstverteidigung durch Krav Maga Self Protect?

Wenn Waffen wie zum Beispiel ein Messer im Spiel sind, so wird es sehr gefährlich. Auch für einen ausgewiesenen Experten wird es dann schwierig, sich zu verteidigen, ohne das Risiko einer schweren Verletzung oder Schlimmeres einzugehen. In solchen Momenten ist es entscheidend, sich der Situation zu entziehen, was aber bei uns ja auch grundsätzlich als die beste Lösungsmöglichkeit für einen Konflikt angesehen wird. Grenzen gibt es aber immer. Man kann nie jede Situation hundertprozentig kontrollieren. Es wäre vermessen zu glauben, dass das Trainieren von Selbstverteidigung einen in jeder Situation schützt. Aber eine verbesserte Aufmerksamkeit kann schon viel bewirken.

Diese Aufmerksamkeit ist jedoch bei vielen Menschen schlecht ausgebildet, wie Sie ­sagen.

Ich bin immer wieder überrascht, wie leicht­fertig manche Menschen sind. Wenn ich zum Beispiel eine Frau sehe, die abends allein durch die Strassen geht und dabei Musik über Kopf­hörer hört, frage ich mich schon, wie es um ihre Aufmerksamkeit bestellt ist. Dieser gewissen Leichtfertigkeit versuchen wird im Training entgegenzuwirken und die generelle Aufmerksamkeit unserer Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Es geht nicht darum, überall eine Gefahr zu sehen, aber eine verbesserte Aufmerksamkeit kann einen vor vielem bewahren. Das kennt man ja auch aus dem Strassenverkehr. Leider sieht man aber oft das Gegenteil. Auch wenn ich sehe, wie Leute beim Überqueren der Strasse nur Augen für ihr Handy haben, macht mir das ein ungutes Gefühl. Eigenschutz fängt also wie man sieht weit vor dem Erlernen von Kampftechniken an.

Martin Meul

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Infos

Zur Person

Vorname Olivier 
Name Summermatter
Geburtsdatum 3. Mai 1975
Familie verheiratet, zwei Kinder
Beruf Verkaufsberater
Funktion Krav Maga Instruktor
Hobbies Hunde, Sport

Nachgehakt

Viele Menschen gehen zu unaufmerksam durch die Welt. Ja
Kampfsportler sind beherrschter als andere Menschen. Ja
Ich wurde selbst schon tätlich angegriffen. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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