Kolumne | Diese Woche zum Thema:
Andermatt ist nicht eine Perle der Alpen
Der ehemalige SP-Schweiz-Präsident und Hotelier Peter Bodenmann und Alt-Staatsrat und Schriftsteller Oskar Freysinger im Wortgefecht.
Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Schweiz-Präsident und Hotelier
Andermatt ist keine Perle der Alpen
Ich kenne das alte, militärisch geprägte und winterliche Andermatt. Als Soldaten kneteten wir wochenlang die Pisten für Armeemeisterschaften. Andermatter sind Walser. Sie waren die Könige der Pässe, sie verbanden als Säumer-Unternehmer den Süden mit dem Norden und umgekehrt. Wir haben, da hat Gian Trepp recht, ein falsches Bild von den Walsern in unseren Köpfen.
Das VBS könnte zumindest einen Teil seiner Büros in Andermatt haben. Genauso wie in Simplon Dorf. Leider geschah in den letzten Jahrzehnten das Gegenteil. Die Armee hat sich aus Regionen wie dem Uri oder dem Oberwallis zurückgezogen. Die Obersten ziehen das Nachtleben von Bern jenem von Andermatt vor.
Der schlaue Bundesrat Blocher verschenkte seinerzeit die Terrains der Armee an den Ägypter Sawiris. Samt der Bewilligung, Wohnungen unbeschränkt an Ausländer verkaufen zu können. Sawiris wurde – trotz weiterer Millionen-Subventionen für die Bahnen – bisher in Andermatt nicht glücklich. Er hat eine Milliarde investiert und bisher nur Geld verloren. Weil Andermatt keine Perle der Alpen, sondern ein Windloch ist.
Keine Station – Zermatt und Verbier vielleicht ausgenommen – kann nur von den Schönen und Reichen, genauer von den schön Reichen leben. Es braucht auch Tagestouristen, die die Kassen der Bahnen füllen.
Jetzt geht Sawiris in die Offensive. Mit Bus und Bahn samt günstigen Skipässen will er Skifahrer aus Zürich nach Andermatt locken. Denn Skifahren muss einfacher und billiger werden. Sawiris wandert somit neu auf den Spuren des erfolgreichen Magic-Passes, der Saas-Fee jede Menge welscher Skifahrer beschert.
Wenn das Oberwallis in Sachen Busse eine Chance haben möchte, müssten MGBahn und BLS für Busse Niederflurwagen beschaffen. Weil die Profile für die Mehrheit der Busse zu mickrig sind. Die BLS sperrt stattdessen den Verlad von Bussen total. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn lässt ihn so weiterlaufen wie bisher. Die Passagiere steigen aus. Der leere Bus fährt mit. Immerhin.
In Sitten regt sich niemand über die Einstellung des BLS-Busverlads auf. Genauso wenig wie die Tatsache, dass der Vispertaltunnel für vier Jahre gesperrt wird. Unsere vom Wahlkampf erschöpften Parlamentarier schlafen.
Sawiris organisiert derweil Sonderzüge nach Andermatt. Nachmachen erlaubt. Das Wallis müsste aus dem Grossraum Zürich Sonderzüge nach Visp organisieren. Ohne Halte in Bern, Thun und Spiez ist eine Fahrzeit von 90 Minuten möglich. Und 20 bis 40 Minuten später wäre man in Skigebieten wie Saas-Fee, Hohsaas oder Belalp.
Oskar Freysinger, ehemaliger SVP-Staatsrat und Schriftsteller
Perlt Andermatt ab?
Bevor ich auf das Thema meines Kontrahenten eingehe, möchte ich kurz auf die letzten Walliser Ständeratswahlen zurückkommen: Die SP findet es anscheinend stossend, dass «das Oberwallis dem Unterwallis seine Ständerätin aufgezwungen hat». Das zeugt von Gedächtnisschwund: Bei den Staatsratswahlen 2009 erhielt Franz Ruppen im Oberwallis 10 224 Stimmen und Esther Waeber nur deren 9191. Damals hat kein SPler Zeter und Mordio geschrien und behauptet, das Unterwallis habe dem Oberwallis seine Staatsrätin aufgezwungen.
Nun zum Thema Andermatt: Die Frage ist nicht, ob das vom Militärstützpunkt zum Sawiris-Resort umdisponierte Urner Hochalpental eine Perle ist oder nicht, sondern um was für eine Perle es sich handelt: eine echte oder eine künstliche? Im Fall Andermatts wohl eher um eine künstliche. Das Mega-Projekt sieht vor, dem historischen Andermatt ein touristisches Dorf von 55 000 km2 mit dem Namen «Andermatt Reuss» vor die Nase zu setzen.
42 Apartmenthäuser mit 500 Wohnungen, 42 Chalets, ein Golfplatz und das schon bestehende 5-Sterne-Hotel «Chedi» sollen Heerscharen von Touristen anlocken. Für total 1,9 Milliarden Franken! Darüber hinaus wird durch die Verbindung des Urner Skigebiets mit Sedrun und Disentis die Schaffung des «grössten Skigebiets» der Alpen angestrebt. Eine Luxusoase in der Schneewüste mit Ablegern!
Vorerst bleibt der von den 1400 Einwohnern erwartete Boom jedoch aus. Die Besetzung des «Chedi» beläuft sich auf 39 %. Jene der Apartments auf 60 %. Andermatt hat die grösste Verschuldungsquote des Kantons und die Miet- und Immobilienpreise sind massiv gestiegen. Darüber hinaus fehlen Wohngelegenheiten für das Arbeitspersonal des Resorts und es gibt im Dorf immer noch keine Apotheke.
Was ist, sollte Sawiris’ Weltkonzern, der mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die Segel streichen? Die Immobilien wären zwar immer noch da, aber ohne finanziellen Rückhalt könnte daraus bald eine Geisterstadt entstehen. Echte Perlen wie Zermatt sind auf die Dauer attraktiver und dauerhafter als künstliche Perlen wie «Andermatt Reuss», weil die touristische Entwicklung von den Einheimischen bestimmt wird, mit dem historisch Gewachsenen verbunden ist und alle Sektoren harmonieren. Und dann sind da noch das «Horu» und das ideale Klima. Alles natürlich. Die künstliche Perle in Andermatt hingegen wirkt wie ein dem öden, grauverhangenen Hochtal aufgepfropfter Fremdkörper. Künstlich eben.
Bleibt zu hoffen, dass Sawiris’ Traum nicht die Reuss runtergeht und an andere Matten geschwemmt wird.
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Kommentare
Ludwig Loretz, Andermatt - ↑116↓1
Die Aussage, dass Andermatt die Gemeinde mit der höchsten Verschuldungsquote des Kantons wäre, ist schlicht und einfach falsch. Dank des Tourismusresorts konnte Andermatt die volkswirtschaftliche Abwärtsspirale, mit welcher viele Bergregionen infolge abnehmender Arbeitsplätze und Bevölkerung, Überalterung, sinkender Schülerzahlen etc. zu kämpfen haben, durchbrochen werden. So verzeichnet Andermatt heute einen kontinuierlichen Zuwachs von Steuersubstrat, verfügt über neue und attraktive Arbeitsplätze und freut sich über den Zuzug von Familien.
Ludwig Loretz, Landrat Uri, Andermatt
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Hans Regli, Andermatt - ↑60↓93
Alle beneiden uns um Samih Sawiris.
Niemand beneidet die Walliser um Bodenmann und Freysinger.
Hans Regli, Gemeindepräsident Andermatt
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