WB-Monatsgespräch | Die Armee gibt zu reden: Kampfjetbeschaffung, Spesenskandal, die erste weibliche VBS-Vorsteherin und mittendrin der Rücktritt des obersten Schweizer Militärs: Tour d’Horizon mit Noch-Armeechef Philippe Rebord
«Amherds Amtsübernahme ist für uns eine Chance»

Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. Der Walliser-Waadtländer Doppelbürger Philippe Rebord amtet noch bis Ende Jahr als Chef der Schweizer Armee.
Foto: WB / Alain Amherd
Wallis / Schweiz | Noch bis Ende Jahr amtet der Unterwalliser Philippe Rebord als Chef der Armee. Dann tritt er zurück – aus gesundheitlichen Gründen, wie er Anfang dieses Monats bekannt gab. Der oberste Schweizer Militär über seine Chefin Viola Amherd, die Kampfjetbeschaffung und die Konkurrenz durch den Zivildienst.
Philippe Rebord, aus gesundheitlichen Gründen haben Sie per Ende Jahr den Rücktritt eingereicht. Der Schritt hatte demnach nichts mit der Wahl von Viola Amherd zur neuen Verteidigungsministerin zu tun?
«Nein, sicher nicht. Auslöser für meinen Rücktritt ist alleine meine Gesundheit. Die Folgen einer Thrombose und die Probleme mit meiner Hüfte erlauben es mir nicht, mein Amt bis Ende 2020 so auszufüllen, wie ich mir das vorstelle.»
Schmerzt es Sie persönlich, Ihren Vertrag bis Ende 2020 nicht erfüllen zu können?
«Ja, sehr. Die Verlängerung meines Vertrags durch den Bundesrat bis Ende 2020 hat mich sehr gefreut, und ich hätte diese Aufgabe sehr gerne wahrgenommen.»
Sie und Viola Amherd sind zwei Walliser in Bern. Wirkt sich das auch positiv auf die Zusammenarbeit aus?
«Es schadet sicher nicht, dass wir etwas gemeinsam haben. Aber ich denke, ich habe auch mit Bundesrat Guy Parmelin gut zusammengearbeitet. Wobei ich da sicher ein wenig einen Sonderfall darstelle, weil ich ja auch Waadtländer bin. Ich hatte also bislang Glück mit den Verteidigungsministern…» (lacht)
Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Amherd und Parmelin?
«Bundesrätin Viola Amherd bringt als ehemalige Gemeindepräsidentin von Brig-Glis grosse Exekutiverfahrung mit, deshalb hat sie vielleicht eine andere Art zu führen. Ansonsten sehe ich keinen grossen Unterschied.»
Eine andere Art zu führen?
«Sie hat wie jeder Mensch ihren eigenen Führungsstil, sie reagiert anders, wenn ein Problem auf den Tisch kommt. Das ist aber in jeder Firma so.»
Führen Frauen anders als Männer?
«Jeder Chef hat seinen eigenen Führungsstil, auch wenn die Führungsgrundsätze nicht zwingend verschieden sein müssen. Meine Erfahrung nach drei Monaten: Ich spüre bei Bundesrätin Amherd Professionalismus, sie möchte Resultate sehen und sie führt mit klaren Zielvorgaben.»
Gab es in Offizierskreisen Diskussionen, weil nun erstmals eine Frau das VBS übernimmt?
«Das hätte ich wirklich nicht gespürt. In der Armee zählen Kompetenzen und nicht das Geschlecht. Die Armee ist auch keine Männerdomäne: Bei den Sanitätstruppen zum Beispiel haben wir rund 20 Prozent Frauen, ausserdem beschäftigen wir neun Helikopter- und eine Kampfjetpilotin. So ist die Armee auch ein Spiegel der Gesellschaft.»
Die Armee wird sich unter einer Frau also nicht gross verändern?
«Ausser, dass man mir nun bereits kurz nach Mittag ‹Guten Abend› wünscht, spüre ich nicht, dass sich gross etwas verändert hätte (schmunzelt). Aber ich denke, Frau Amherds Amtsübernahme ist für uns eine Chance im Hinblick auf Abstimmungen. Wenn eine Frau sich über Kampfjets äussert, hören ihr die Stimmbürgerinnen vielleicht eher zu, als wenn ein Mann dies täte.»
Der Frauenanteil in der Armee beträgt aktuell 0,7 Prozent, das langfristige Ziel liegt bei zehn Prozent. Wie ist das zu schaffen?
«Zum Beispiel dadurch, dass Frauen nun auch auf freiwilliger Basis zum Orientierungstag eingeladen werden. Zudem wollen wir das Gesetz ändern. Bis anhin muss die Rekrutierung vor dem Erreichen des 25. Geburtstags erfolgen. Das ist für viele Frauen, die vielleicht erst nach dem Studium Dienst leisten wollen, zu früh. Wir müssen also eine Möglichkeit schaffen, sich bis zum 30. Altersjahr für die Armee melden zu können, was hoffentlich zu einer Verdoppelung oder Verdreifachung des Frauenanteils führt.»
Das wären dann immer noch nur zwei Prozent.
«Das ist das, was in den nächsten fünf, sechs Jahren realistisch ist.»
Ein anderes Thema, das die Armee derzeit beschäftigt, ist die Luftwaffe. Sind Sie einverstanden, dass das Stimmvolk entscheiden kann, ob neue Kampfjets angeschafft werden?
«Das Parlament hat dies so vorgegeben. Selbstverständlich bin ich einverstanden.»
Und damit, dass die Wähler umgekehrt nicht über den Typ entscheiden dürfen?
«Als sich die SBB für die ‹Bahn 2000› entschieden hat, haben wir ja auch nicht über die verschiedenen Lokomotiv-Typen gesprochen…»
Was geschieht, falls das Stimmvolk den Kauf neuer Kampfjets wie schon beim Gripen erneut ablehnt?
«Diese Abstimmung ist nicht mit der Gripen-Abstimmung zu vergleichen. Damals ging es nur um einen Teilersatz unserer Kampfflugzeuge. Jetzt sprechen wir von der Erneuerung der Luftwaffe, es ist nun wirklich eine Entweder-oder-Abstimmung. Ich glaube nicht, dass das Volk auf eine Luftwaffe verzichten will.»
Eine weitere Abstimmung, die bereits im Mai ansteht, ist die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie. Im Gegensatz zur Schweizerischen Offiziersgesellschaft empfehlen Sie, ein Ja in die Urne zu legen.
«Als Chef der Armee stehe ich hinter der Position des Bundesrates und unterstütze die Reform. Wichtig war für mich, dass sich für die Soldaten nichts ändert: Sie können nach wie vor ihre Waffe mit nach Hause nehmen und diese nach Ende der Dienstzeit auch behalten.»
Wobei viele Armeeangehörige ihre Dienstzeit nicht mehr beenden, sondern sich nach der Rekrutenschule für den Zivildienst melden. Ist die Armee zu wenig attraktiv?
«Es ist umgekehrt: Der Zivildienst ist attraktiv, weil er dem Einzelnen viel Handlungsfreiheit lässt. So kann man etwa wählen, wann und wo der Zivildienst geleistet wird und welche Arbeit der Dienst beinhalten soll. Die Armee ist da sehr viel restriktiver. Allerdings glaube ich nicht, dass die Armee ein Imageproblem hat. Eine Sicherheitsstudie der ETH Zürich beweist, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerung hinter uns steht.»
Wenn die Armee tatsächlich so attraktiv ist, weshalb stören Sie sich denn daran, dass ihr durch den Zivildienst viele Leute genommen werden?
«Das Hauptproblem ist hier der qualitative Aspekt. 40 Prozent der Zivildienstleistenden sind Personen, welche die Armee nach der Rekrutenschule verlassen haben. Wir bilden also Spezialisten aus, die uns anschliessend verlassen und nicht so einfach zu ersetzen sind. Einen Chemiespezialisten kann man beispielsweise nicht einfach mit irgendeinem anderen Soldaten ersetzen. Besonders in den Spezialfunktionen profitieren wir also stark vom Milizsystem und dem Know-how des Einzelnen aus seinem zivilen Beruf. Was die Spezialisten betrifft, implodiert die Armee zum Teil geradezu.»
Hätten Sie ein Problem damit, wenn sich Ihr Sohn für den Zivildienst statt für die Armee entschieden hätte?
«Da gäbe es zwei Varianten. Wenn er sich aus einem tatsächlichen Gewissenskonflikt gegen die Armee entscheiden würde, würde ich das respektieren. Wenn er aber nur aus Opportunitätsgründen zum Zivildienst will, würde ich ihn vom Gegenteil überzeugen.» (lacht)
Vielleicht hätte er ja einfach keine allzu grosse Lust auf die militärischen Umgangsformen und den Drill…
«Umgangsformen gibt es überall in der Gesellschaft. Sie vereinfachen das Zusammenleben, und wenn ich unsere Reglemente anschaue, so haben wir nicht allzu viele reglementierte Umgangsformen. Für die meisten Lehrlinge sind die militärischen Umgangsformen auch kein Problem. Eher für die Studenten, die da bis zur Rekrutenschule wesentlich freier waren. Was den Drill betrifft: Gewisse Waffensysteme muss man beherrschen, und zwar auch unter Druck. Hätten wir Ernsteinsätze im Kampf, würden die Leute gerne mehr gedrillt werden, denn davon hängt auch ihr Leben ab.»
Wäre eine Berufsarmee eine Alternative?
«Ich spreche mich klar für das Milizsystem aus. Es bringt Menschen zusammen und stärkt die nationale Kohäsion. Und: Wenn ich mit anderen europäischen Armeechefs spreche, sagen die mir, dass zwischen 50 und 70 Prozent ihres Budgets für Löhne draufgeht. Somit wäre eine Berufsarmee in der Schweiz eine kleine ‹Bonsai-Armee›, die zudem nicht den Genen des Landes entspricht.»
Wie sieht es hierzulande mit dem Armeebudget aus? Reichen Ihrer Meinung nach fünf Milliarden Franken pro Jahr aus, damit die Armee ihren Auftrag erfüllen kann?
«Für die fünf Milliarden spüren wir eine starke Unterstützung von Parlament und Bundesrat. Zusätzlich hat der Bundesrat ja entschieden, dass sich unser Budget ab 2021 jährlich um real 1,4 Prozent erhöhen wird. Dies erlaubt es uns, acht Milliarden Franken ins Gesamtprogramm ‹Air2030› zu investieren und auch unsere veralteten bodengestützten Systeme zu ersetzen.»
Sie sind also zufrieden?
«Nun, die Politik betrachtet die Armee als Gesamtsystem, und wir müssen umgekehrt auch verstehen, dass es noch andere Posten im Bundesbudget gibt. Wenn die Armee noch mehr verlangen würde, bedeutete dies, dass für andere Bereiche wie etwa für die Bildung oder für die Landwirtschaft weniger Mittel zur Verfügung stünden. Der Bundesrat hat eine Vorgabe gegeben und die Armee muss nun beweisen, dass sie damit auskommen kann. Statt zu jammern, sollten wir genau das tun.»
Gerade bei den Finanzen hat die Armee aber ja nicht unbedingt das Image, dass sie sehr sparsam wäre. Stichwort «Spesenskandal»…
«Die Armee geht mit ihren Ressourcen sparsam um, das wird auch klar kontrolliert. Auch bei den damaligen Vorkommnissen haben wir unser Budget eingehalten – aber nicht daran gedacht, was für ein Bild wir in der Öffentlichkeit abgeben. Wir dürfen deshalb nicht mehr nur mit dem Budget argumentieren. In der Zwischenzeit gibt es übrigens ein neues Spesenreglement für den Berufsteil der Armee, und das setzen wir konsequent um.»
In der heutigen Zeit muss die Armee auf so verschiedenartige Bedrohungen wie Terror- und Cyberattacken, aber auch auf Naturkatastrophen reagieren können. Konflikte oder Elementarereignisse – was ist für die Schweiz die grössere Bedrohung?
«Es geht hier nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Und-und-und. Die Armee muss in der Lage, sein, überall zu helfen, schützen und kämpfen. Wenn etwas geschieht, braucht es Manpower, und die findet man nur in der Armee.»
Zum Schluss: Sie gehen Ende Jahr in Pension. Werden Sie Frau Amherd einen Nachfolger empfehlen und falls ja, wen?
«Frau Bundesrätin Amherd hat bereits angekündigt, eine Findungskommission einzusetzen. Ich finde das richtig, damit ist von Beginn weg eine breite Unterstützung für den neuen Chef der Armee garantiert. Falls ich gefragt werde, werde ich sicher insbesondere zum Anforderungsprofil aus meiner Erfahrung etwas beitragen können.»
Werden Sie nach Ihrer Pensionierung weiterhin im Wallis wohnhaft sein?
«Selbstverständlich.»
Das Gespräch führte Fabio Pacozzi
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