Bergsport | Nach dem Debakel auf dem Matterhorn: Der 82-jährige Art Furrer steigt mit Willi Imstepf auf den Mont Blanc
«Der ganze Spott und die Häme haben mich motiviert»

Stolz. Art Furrer bestieg mit 82 Jahren den Mont Blanc.
Foto: Walliser Bote
Vor zwei Jahren erntete Art Furrer für seine Helikopterrettung vom Gipfel des Matterhorns Häme und Spott. Er wollte es noch mal allen beweisen – und bestieg mit 82 Jahren den Mont Blanc, das Dach der Alpen.
Er wollte noch einmal als grosser Held gefeiert werden: Im August 2017 erklomm Bergführer Art Furrer mit 80 Jahren am Seil von Berufskollege Diego Wellig den Gipfel des Matterhorns – in Begleitung eines weiteren Bergführers und eines Fotografen, der für die «Schweizer Illustrierte» eine Exclusivstory realisieren sollte. Der Rest ist bekannt. Entkräftet vom siebenstündigen Aufstieg und mit Blick auf die aufziehende Schlechtwetterfront sowie die abnehmenden Sichtverhältnisse musste sich der berühmte Hotelier samt Begleiter von der Air Zermatt vom Gipfel retten lassen. Aus einer Geschichte über die beachtliche Leistung, mit 80 Jahren noch aufs Matterhorn gestiegen zu sein, wurde eine Lebensretter-Geschichte. Es hagelte Spott und Häme. Gerade aus den Reihen der Zermatter Bergführer. Aber auch das mediale Echo, unter anderem in dieser Zeitung, lupfte dem sonst alles andere als medienscheuen Furrer den Hut.
«Denen zeig ich’s!»
Art Furrer ist ein stolzer Mann – und ein ehrgeiziger. Dieser Ehrgeiz hat ihn sein Leben lang zu Höchstleistungen angetrieben. Egal ob als Skiakrobat in den USA oder als Geschäftsmann und gewiefter Hotelier. Während er sich gekränkt zurückzog, fasste er einen Entschluss. Das wollte und konnte er so nicht auf sich sitzen lassen. «Der ganze Spott und die Häme haben mich motiviert», sagt er, während er bei jedem Wort mit der Faust auf den Tisch schlägt und damit Kaffeetasse und Weinglas zum Vibrieren bringt. «Da hab ich mir in den Kopf gesetzt: Denen zeig ich’s! Ich steige auf den Mont Blanc, den höchsten Berg Europas», blickt Furrer zurück.
Er begann zu trainieren. Ging im letzten Jahr nach Nepal. Dazu legte er 50 Mal die Strecke von der Riederalp aufs Riederhorn zurück. Und als schliesslich die Skisaison vorüber war, spulte Furrer in diesem Jahr weitere 45 000 Höhenmeter ab. Immer in einem gleichmässigen Tempo. Ohne anzuhalten. Für den Aufstieg auf den Mont Blanc hatte er den 64-jährigen Bergführer Willi Imstepf aus Niedergesteln engagiert. «Ein richtig starker Bergführer», sagt Furrer, «dazu enorm erfahren. Imstepf war mein Favorit für diese Aufgabe.»
Sie hatten sich drei Termine freigehalten. Mit einem Mann in seinem Alter dürfte man den Aufstieg nur bei perfekten Wetterbedingungen in Angriff nehmen, so Furrer. Bereits am ersten Datum, am letzten Freitag, passten die Rahmenbedingungen.
Kaum wiederzuerkennen
In Chamonix angekommen, fahren Imstepf und Furrer die Zahnradbahn von Chamonix hoch nach Nid d’Aigle auf 2372 Meter. Von dort aus steht die erste Etappe mit 1600 Höhenmetern hinauf zur Hütte l’Aiguille du Goûter an. Furrer war bereits mehrfach auf dem Mont Blanc. Seit seiner ersten Besteigung vor rund sechs Jahrzehnten hat sich der Berg stark verändert. Gewaltige Eis- und Schneemassen sind weggeschmolzen und haben den da-runterliegenden Fels entblösst. Die beiden stapfen in beständigem Rhythmus hoch, bis irgendwann die Hütte Tête Rousse ins Blickfeld rückt. Hier kehrte Furrer vor 58 Jahren gemeinsam mit dem beinamputierten Gast Franz Merkl, den er als Bergführer begleitet hatte, ein. Ein schnelles Bier kommt diesmal jedoch nicht infrage. Imstepf will nicht riskieren, dass Furrer den Rhythmus verliert. Der Weg führt weiter durchs stark Steinschlag gefährdete Grand Couloir. Einen Abschnitt, den Bergsteiger aus gutem Grund so rasch wie möglich hinter sich bringen. Nachdem die beiden das Couloir gequert haben, donnert ein grosser Felsbrocken herunter.
In der d’Augille de Goûter angekommen, gönnen sich die beiden ein Abendessen und eine Flasche Rotwein. Die erste Etappe ist geschafft. «In der Hütte waren rund 30 Bergführer. Die Hälfte davon glaubte nicht, dass ich es am Folgetag auf den Gipfel schaffen würde», erzählt Furrer. Und ohne Willi Imstepf hätte er es auch nicht geschafft, betont er.
Die letzten 1000 Höhenmeter zum Gipfel führen über Schnee- und Eisfelder und auf den letzten paar hundert Metern müssen sie einen schmalen Schneegrat entlanggehen. Furrer setzt einen Fuss vor den anderen. Und vergisst nicht, immer wieder einen Schluck aus der Cola-Flasche zu trinken oder ein Stück Schokolade zu essen. Der Grat zieht sich hin. Der Berg zehrt an seinen Kräften. Willi Imstepf redet ihm immer wieder gut zu und peitscht ihn mit Worten voran. «Dann waren wir auf einmal oben», erzählt Furrer. Er ist völlig ausgelaugt. An die Aussicht kann er sich im Nachhinein nicht erinnern. Nach dem grossen Effort steigen sie wieder zur Hütte ab und am Folgetal hinunter ins Tal. Furrers Wangen sind auch eine Woche später noch immer von der Kälte auf 4810 Meter gezeichnet.
Er sagt selbst, dass man so etwas in seinem Alter nicht mehr tun sollte. «Man kann dies sicher als eine Dummheit bezeichnen», so Furrer. Und auch beweisen müsste er niemanden mehr etwas. Das weiss er selbst. Doch ohne Ziele verliere man den Elan und werde schneller alt. Sobald er diesen Ansporn nicht mehr habe, werde es um ihn wohl schnell einmal geschehen sein. Derartige Gipfelstürme werde er aber trotzdem bleiben lassen. Er habe noch genug andere Ziele, sagt er und lässt seine Faust erneut auf den Tisch donnern: «Denen hab ich’s gezeigt!»
Martin Schmidt
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