Interview | Kurt Lauber arbeitete die letzten 24 Sommer oben auf der Hörnlihütte. Seine Blicke zurück. Seine Blicke ins Tal
«Als würde ich auswandern»

Wortführer. Das wichtigste auf der Hörnlihütte, so Kurt Lauber, sei ein gutes Team «wie diesen Sommer».
Foto: Keystone
Kurt Lauber, wann waren Sie das letzte Mal auf Hawaii?
(lacht) «Ich war schon an vielen Orten dieser Welt, aber noch niemals auf Hawaii.»
Aber hatten Sie in den letzten 24 Sommern nie das Bedürfnis nach Meer, nach etwas anderem?
«Natürlich. Mit Ausnahme der letzten zwei Jahre, wo viel zusammenkam, waren ich und meine Partnerin vor oder nach der Hüttensaison immer ein paar Tage am Meer.»
Die letzten zwei Jahrzehnte verbrachten Sie den Sommer auf über 3200 Meter. Hat Ihnen das gesundheitlich nie zu schaffen gemacht?
«Der Körper gewöhnt sich an die Höhe. Es wäre wohl gefährlich, wenn man ständig auf und ab ginge. Aber so ist das kein Problem. Im Gegenteil: Die paar Mal, wenn ich ins Dorf gehe, bin ich so voller roter Blutkörperchen, dass ich mir richtig fit fühle.»
2015 wurde die neue Hütte eingeweiht. Sie waren stark involviert, bei der Projektphase und dann bei der Umsetzung. Vieles ist heute einfacher als früher. Wollten Sie das nicht länger auch ein wenig geniessen?
«Eigentlich schon. Ich habe meiner Lebenspartnerin immer gesagt: ‹Solange ich nichts Besseres finde, bleibe ich hier.› Dann wurde die Mountain Lodge ‹Ze Seewjinu› (Anm. Red.: ehemals Berghaus Grünsee) zur Pacht ausgeschrieben. Das hat sehr gut zu uns gepasst und wir haben die Gelegenheit genutzt. Sonst wären wir den nächsten Sommer wieder hier.»
Haben Sie bereits realisiert, dass dieses Kapitel Ihres Lebens nun endet?
«Die letzten Tage, als es ans Zusammenpacken ging, waren doch sehr komisch. Man muss schauen, dass man nichts vergisst; als würde ich auswandern. Aber richtig realisieren werde ich das wohl erst im nächsten Sommer, wenn ich nicht mehr als Hüttenwart hierherkomme.»
Planen Sie schon eine Nacht in der Hütte, mal als Gast?
«Als Bergführer, bestimmt. In den letzten Jahren stand ich ja oft auf dem Gipfel des Matterhorns. Danach ging es aber wieder runter in die Hütte, wo alles weiterlief und ich wieder anpackte. Mal einfach so mit einem Gast aufs Matterhorn steigen, dann wieder runter in die Hütte, sich dort auf der Terrasse etwas ausruhen – das muss offenbar ein schönes Erlebnis sein, das ich mir nicht entgehen lassen will.»
Auf der Hörnlihütte gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Einheimische Führer haben morgens beim Einstieg den Vortritt. Ansonsten gibt es keine Regeln, am Berg wird viel Wert auf das Prinzip Eigenverantwortung gelegt. Wollten Sie nie einschreiten, um manchen Amateur von seinem Wagnis abzubringen?
«Früher habe ich die Leute noch davon abbringen wollen, wenn es offenkundig war, dass sie überhaupt keine Ahnung vom Bergsteigen oder schlichtweg das falsche Material hatten. Aber das mache ich schon lange nicht mehr; auch wenn ich bis heute vereinzelt Seilschaften sehe, die schon morgens in der Hütte beim Anheften überfordert sind.»
Wieso?
«Auf solche Ratschläge hört ohnehin niemand. Und wie gesagt: Es sind erwachsene Menschen. Aber klar leiden wir dann alle darunter, wenn etwas passiert, das Hütten-Team, die Rettung, aber auch der Ruf des Berges. Kommt es zu einem Unfall, erwecken manche Medienberichte bei mir manchmal den Eindruck, als wäre der Berg,
die Natur schuld an den Schicksalen der Menschen. Aber es sind die Menschen selbst, die die Entscheidungen treffen. Seit der Einweihung der neuen Hütte sind indes rund 90 Prozent der Gäste mit Bergführern unterwegs, die Zahl der Unfälle ist auf der Schweizer Seite entsprechend zurückgegangen.»
Verlassen sich die Berggänger heute zu stark auf den Komfort der Hütte?
«Das hört sich jetzt richtig blöd an: Aber die vielen Bergtoten, rund zwölf bis 18 jeden Sommer, hatten früher eine abschreckende Wirkung. Man wusste, dass das Matterhorn anspruchsvoll ist. Bei der jüngeren Generation geht das heute manchmal ein klein wenig vergessen.»
Speed-Kletterer Andreas Steindl schaffte es neulich in knapp vier Stunden vom Dorf auf den Gipfel und zurück. Haben Sie ihn gesehen an der Hütte vorbeihuschen?
«Ja.»
Solche Aktionen werden auch immer mit kritischen Stimmen begleitet. Was denken Sie dazu?
«Ich verurteile das in keinster Art und Weise. Aber man muss schon klar differenzieren: Andreas Steindl kennt hier oben jeden Stein, jeden Tritt, er ist so fit wie noch nie und geht nur, wenn die Bedingungen optimal sind. Kurzum: Das ist eine total andere Liga. Klar ist es speziell, mit anzusehen, wenn da jemand in T-Shirt und Turnschuhen auf den Gipfel rennt. Aber ich glaube nicht, dass dies einen Nachahmeffekt haben wird. Steindls Leistung ist wie von einem anderen Stern. Ich glaube schon, dass das die Leute begreifen.»
Was ist denn Ihre Bestzeit?
«Mit einem Gast waren wir mal viereinhalb Stunden unterwegs, also von der Hütte auf den Gipfel und wieder zurück. Und wer Steindl und die Szene nun kritisieren will, sollte auch bedenken: Jeder sagt am Vorabend, dass der Gipfel das Ziel sei und die Zeit dabei keine Rolle spiele. Und kaum zurück in der Hütte, fragt jeder Gast seinen Führer: ‹Und wie lange haben wir gebraucht?› Wir Menschen wollen unsere Leistung messen. Und mit anderen vergleichen. Das gehört einfach dazu.»
Sie haben in den letzten Jahrzehnten auch Kollegen und Freunde, die in den Bergen verunfallt sind, zu Grabe tragen müssen. Gab es Momente, in denen Sie dachten: Ist es das alles wert?
«Ein tödlicher Unfall in den Bergen ist genauso tragisch wie einer mit dem Auto oder sonst wie. In den Bergen lernt man, mit dem Tod zu leben. Viele meiner Kollegen sind an Stellen oder in Situationen verunfallt, die weder gefährlich noch schwierig sind. Was ich dabei gelernt habe: Du kannst machen, was du willst. Unsere Zeit, zu gehen, ist bereits vorbestimmt.»
Ist der Hüttenwart Kurt Lauber, der nun die Schlüssel abgibt, der gleiche wie jener, der vor 24 Jahren zum ersten Mal hochgeflogen wurde?
(lacht) «Ich bin älter. Im Ernst: Die ganze Welt kommt hier rauf an diesen speziellen Ort. Ein Ort, der Kraft gibt. Je länger man oben ist, desto stärker spürt man das.»
24 Sommer konnten Sie runter ins Tal blicken. Wie hat sich dabei «Ihr» Zermatt verändert?
«Wie gesagt: Mit Ausnahme von Hawaii war ich schon an vielen Orten. Aber nach Zermatt komme ich jedes Mal
gern zurück. Klar hab auch ich manchmal das Gefühl, dass es jetzt dann bald gut sei mit Wachsen, dass das Dorf etwas zu gross wird. Aber im Gegensatz zu anderen wunderschönen Flecken dieser Welt haben wir hier einen massiven Vorteil: Nebst der schönen Natur hat hier jeder die Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen. Zu leben.»
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