Drogen | In Sitten werden pro Tag 14 Gramm des weissen Pulvers konsumiert
Kokain wird beliebter

Immer mehr. Der weltweite Trend macht auch vor dem Wallis nicht halt.
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Die Preise sinken, der Konsum nimmt zu und die Polizei beschlagnahmt mehr. Die Droge Kokain hält stärkeren Einzug in der Schweiz. Und im Wallis.
Die Schlagzeilen über Kokain häufen sich. Zürich ist eine der weltweiten Hauptstäde des Kokainkonsums: 1,7 Kilo werden dort Tag für Tag konsumiert. Doch nicht nur in der grössten Schweizer Stadt, auch im Wallis sorgt das weisse Pulver für mehr Aufruhr.
Anfang Woche gelang der italienischen Polizei ein Schlag gegen den Drogenschmuggel. Gleich 13 Verdächtige wurden verhaftet – zwei davon wohnten seit Längerem in Brig-Glis. Die Organisation, welche mit der italienischen Mafia ’Ndrangheta verbunden ist, versuchte, über die zwei Mittelsmänner Kokain ins Wallis zu schmuggeln. Zudem kam es im letzten Herbst zu mehreren Verhaftungen im Oberwallis, die im Zusammenhang mit Kokain-Geschäften stehen (der WB berichtete).
Konsum: Verdoppelung in 20 Jahren
Die Beliebtheit von Kokain in der Gesellschaft mit konkreten Zahlen festzumachen, ist schwierig. Doch es gibt einen eindeutigen Trend: Es wird immer mehr konsumiert. Das Suchtmonitoring Schweiz versucht, den Konsum etwa mit Telefonumfragen festzustellen. Die Frage, ob man in seinem Leben schon einmal Kokain genommen hat, beantworteten im Jahr 1992 noch 2,7 Prozent der Befragten mit Ja (Alter 15 bis 39 Jahre). 20 Jahre später waren es bereits doppelt so viele: 5,4 Prozent. Doch obwohl die Umfragen am Telefon anonym erfolgen, existiert eine Hemmschwelle, offen über den eigenen Konsum zu reden. So nennt die in dieser Woche veröffentlichte weltweite Studie, Global Drug Survey, viel höhere Zahlen. 15 Prozent der Schweizer Befragten gaben dort an, in den letzten zwölf Monaten gekokst zu haben.
Was geschnupft wird, landet irgendwann umgewandelt im Abwasser und kann in den Reinigungsanlagen nachgewiesen werden. Dort wird die Konzentration von Benzoylecgonin gemessen. Die Abwasserstudie der ETH-Wasserforschungsstelle Eawag hat dies bereits zwei Mal in der Walliser Kantonshauptstadt gemessen. Die Messungen aus den Jahren 2014 und 2015 ergaben, dass pro Tag rund 14 Gramm Kokain in Sitten konsumiert werden. Von den 13 schweizweit untersuchten Orten war dieser Wert am zweittiefsten. Im europäischen Vergleich allerdings schlägt Sitten viele andere Städte. Zürich liegt von 60 untersuchten Städten auf Platz zwei. Dort hat sich der Konsum innerhalb von fünf Jahren verdoppelt.
Verfügbarkeit: Schneller als eine Pizza
Der Anstieg des Konsums hängt wohl auch mit der Preisentwicklung der Drogen zusammen. Kostete Kokain am Ende des letzten Jahrhunderts noch mehrere Hundert Franken pro Gramm, zahlt man dafür heute zwischen 60 und 100 Franken. Zudem ist es auf den Strassen einfach verfügbar. Diesen Eindruck hat auch der Leiter des Via Gampel, Christian Rieder: «Kokain ist im Oberwallis einfach zu beschaffen. Ich höre immer wieder, dass man es rasch und leicht bekommt», sagt er. Dies zeigen auch die Ergebnisse der Global Drug Survey. Wer den Stoff will, muss nicht lange warten. So gab einer von drei Schweizern an, der sowohl Kokain als auch eine Pizza bestellt hat, dass die weisse Droge in weniger als einer halben Stunde Zuhause eingetroffen sei – somit schneller als eine Pizza vom Lieferdienst.
Die Walliser Polizei verzeichnet in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Zunahme bei den beschlagnahmten Mengen von Kokain. In den vier Jahren 2009 bis 2012 wurden zusammengerechnet rund 4,4 Kilogramm Kokain beschlagnahmt. In den letzten vier Jahren waren es beinahe drei Mal so viel: Von 2014 bis 2017 wurden über 12 Kilogramm beschlagnahmt. Bei einem Preis von 100 Franken pro Gramm entspricht das einem Wert von 1,2 Millionen Franken.
Gefahren: Schnelle psychische Abhängigkeit
Zu Christian Rieder in die stationäre Entwöhnungstherapie im Via Gampel kommen nur diejenigen Kokain-Konsumenten, deren Umgang mit der Droge längst aus dem Ruder gelaufen ist. Im Via Gampel sind rund 20 Prozent der Klienten «Kokainisten», wie Rieder sie bezeichnet. Die Mehrheit der restlichen Patienten haben Alkoholsucht. Die Klienten hätten nicht nur einen exzessiven Drogenkonsum: «Häufig haben sie Probleme in mehreren Bereichen», sagt Rieder. Damit meint er: keine Arbeit, hohe Schulden, psychische Probleme und ein alarmiertes soziales Umfeld. Bei einem Eintritt ins Via Gampel sei das nicht die Ausnhame, sondern der Normalfall.
Das Gefährliche an Kokain sei, dass es sehr schnell und stark psychisch abhängig macht: «Es braucht wenige Erfahrungen mit Kokain, um eine starke psychische Abhängigkeit zu entwickeln», sagt Rieder. «Das Suchtverlangen ist gemäss mehreren Studien sogar höher als bei Heroin.»
Therapie: Hohes Rückfallrisiko
Rieder hat den Eindruck, dass Kokainisten oftmals Leute mit sehr hohen Kompetenzen sind. Häufig hätten sie sehr gute Jobs. Ein Konsum von bis zu 8 Gramm pro Tag, erfordere auch ein gewisses Einkommen. «In solchen beinahe toxischen Fällen ist Kokain der Mittelpunkt des Tages», sagt Rieder. «Steht noch eine wichtige Sitzung an, zieht man vorher noch eine Line.» Die Leistung sei sehr eng an den Konsum der Droge gekoppelt. Von der Sucht wieder loszukommen, sei schwierig. So seien sechs Monate nach der Therapie die Hälfte der Klienten wieder in einem rückfälligen Muster. In der Therapie gelte es dann, das Hirn umzugewöhnen: «Man braucht eine genaue Strategie. Denn das Hirn weiss: Wo Leistung, da Kokain. In den Risikosituationen braucht es also eine Konsumalternative», sagt Rieder. «Das Gehirn muss wie neu kodiert werden.»
Mathias Gottet
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