Nicht erwünscht | Trotz «schöner Geschichte»: Genossenschaftspräsident hätte lieber Wilfried Meichtry als Autor gehabt
Pro Binntal aber gegen Freysinger

Eckt an. Oskar Freysinger, Politiker und Schriftsteller.
Foto: mengis media / Andrea Soltermann
Oskar Freysinger hat ein Buch geschrieben über einen sonderbaren Engländer, das auch das kulturaffine Goms interessieren dürfte. Die Geschichte wird aber einen schweren Stand haben in der hiesigen Kulturszene. Aufgrund des Autors habe sie sogar ihren Wert verloren, glaubt Benno Mutter, Präsident der Genossenschaft «Pro Binntal».
Oskar Freysinger hat es schon wieder getan: ein Buch geschrieben. Dieses Mal ist es ein Briefroman mit dem einschlägigen Titel «Nachtwehen». Basierend auf wahren Begebenheiten und auf einer wahren Person. Es ist die Geschichte von Richard Donovan. Einem Aussteiger, der von 1929 bis 1939 in Reckingen lebte, zeitweise in einem Erdloch im Blinnental. Der «Engländer von Reckingen», wie er von den Einheimischen genannt wurde, war auch Schriftsteller. Und er lief in Frauenkleidern durch die ländliche Gegend. Ausgrenzung, Selbstfindung, die Suche nach der eigenen Identität, LGBT im Goms der 1930er-Jahre, den Tod fand er später im Deutschen Bombenhagel über England – was für ein Stoff!
Was nun Oskar Freysinger daraus gemacht hat, weiss man noch nicht. Der Briefroman erscheint wohl erst im Frühjahr. Trotzdem gibt er bereits zu reden. Und mittendrin Ilse Carlen.
Geschichte sei entwertet
Als Mitglied der Internat-Präfektur begleitet sie in Brig die internen Schülerinnen und Schüler durch die Internatszeit. Ihr Begleiter hingegen ist Richard Donovan, der «Engländer», der zu Lebzeiten so wenig sagte und für immer verstummt schien. Sie ist unverhofft in den Besitz von dessen Briefen und Bildern gelangt. Auch ein Tagebuch war in dem geheimnisvollen Koffer, der jahrelang im Bahnhofshäuschen von Reckingen herumlag. Ilse Carlen begann, dem Mann nachzuforschen, besuchte die Orte seines Wirkens in England und führte Interviews mit damaligen Zeitzeugen aus Reckingen und Umgebung. Jahrelange Arbeit.
Nun ist es Oskar Freysinger, der ihre Aufzeichnungen in eine literarische Form gegossen hat. Der ehemalige SVP-Staatsrat vollendet damit das Lebenswerk der Tochter des früheren CVP-Staatsrats Franz Steiner – das hat offensichtlich gepasst. «Oskar hat alle meine Erwartungen übertroffen und meine gesammelten Daten in ein hochkarätiges literarisches Werk gewandelt», freut sich Carlen. Sie machte sich auf, im Hinblick auf die Vernissage kräftig die Werbetrommel zu rühren für das Buch. Sie dachte auch an eine Veranstaltung im Binntal, etwa im Hotel Ofenhorn. Weil der Engländer hier bereits in seiner Kindheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gast war.
Die Annäherungsversuche wurden aber abrupt gestoppt. Und zwar von Benno Mutter, dem Präsidenten der Genossenschaft «Pro Binntal», die das Hotel Ofenhorn als Baudenkmal schützen und dessen Betrieb sichern will. «Ich finde es jammerschade, dass Sie einen solchen Stoff in die Hände von Herrn Freysinger gegeben haben», so die Antwort des Kunsthistorikers an die Adresse Carlens. Dadurch habe die Geschichte für einen Teil des Publikums «ihren Wert» verloren. «Tatsächlich habe ich an Projekten, an denen Oskar Freysinger beteiligt ist, keinerlei Interesse.»
Mutter bestätigt seinen Entscheid auf Anfrage dieser Zeitung. Es höre sich zwar nach einer «schönen Geschichte» an, so der Genossenschaftspräsident, aber Freysinger habe genügend andere Bühnen und Plattformen. Er könne dem SVP-Mann zwar keine Auftritte verbieten, etwa an den Binner Kulturabenden. Wenn es aber um einen Event gehen würde im Hotel Ofenhorn, würde er sein Veto einreichen. Als Hotelgast sei Freysinger hier jederzeit willkommen, nicht aber als Schriftsteller.
Freysinger seinerseits zeigt sich konsterniert ob Mutters Einstellung. «Was mir sauer aufstösst, ist, dass Leute wie Benno Mutter genau jene Ausgrenzung praktizieren, die sie anprangern.» Der Roman sei alles andere als eine politische Schrift, wehrt sich Freysinger. «Und da ich mir strafrechtlich nie das Geringste habe zuschulden kommen lassen, sehe ich nicht ein, warum ich nur wegen meiner antikonformistischen Meinung wie ein Aussätziger behandelt werde.»
Auch Wilfried Meichtry war an Story dran
Auch Ilse Carlen bedauert den Entscheid von Mutter. «Es stimmt mich doch sehr bedenklich, dass ‹Nachtwehen› gerade dort, wo es seine Gommer Wiege hat, schon vor seiner Publikation unter Bann steht, nur weil es den Namen Oskar Freysinger auf dem Umschlag trägt.» Das Buch sei ein Stück Literatur und Lokalgeschichte der Gommer Talschaft und habe mit Politik überhaupt nichts zu tun.
Die weltanschaulichen Gegensätze scheinen aber nicht die einzigen Gründe zu sein für die Absage von «Pro Binntal». Mutter bestätigt im Gespräch, dass er es lieber gesehen hätte, wenn sich etwa ein Autor wie Wilfried Meichtry des Stoffs angenommen hätte. Der Oberwalliser Historiker sagte vor einem Jahr im «Bund», dass auch er an Donovan dran sei. Ilse Carlen bestätigt Kontakte mit Meichtry, wollte sich aber nicht weiter dazu äussern. Meichtry selbst sagt auf Anfrage, dass der Stoff für ihn in den nächsten Jahren eher nicht infrage kommt. «Ich habe noch eine Schublade voll mit anderen Themen.» Der «Engländer aus Reckingen» mit den Frauenkleidern dürfte aber derzeit wohl schwer zu toppen sein.
David Biner
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