Bahnverkehr | Nach Wassereinbruch im Lötschberg-Basistunnel: BLS informierte über Ursachen, Massnahmen und Vorgehen
«Wir hatten Glück im Unglück»

Bald wieder Normalbetrieb. Die Gleise im Lötschberg-Basistunnel waren zeitweise bis zu 30 Zentimeter mit Schlamm und Wasser überschwemmt.
Foto: zvg
Die BLS informierte am Mittwochmorgen über die Ursachen, umgesetzte Sofortmassnahmen und das weitere Vorgehen nach dem Wassereinbruch im Lötschberg-Basistunnel.
Was bisher geschehen ist:
Kurz nach Mittag am 6. Februar 2020 drang verschlammtes Wasser in den Lötschberg-Basistunnel. Die Gleise in der Oströhre – jener Röhre, die durchgehend befahrbar ist – wurden zweieinhalb Kilometer vom Portal Raron entfernt in einem Bereich von 500 Metern von bis zu 30 Zentimetern Schlamm und Wasser überschwemmt. Auch die Weströhre, die vom Wallis her über 14 Kilometer Schienennetz verfügt, war in einem Bereich von 100 Metern betroffen.
Entdeckt wurde der Wassereinbruch, der seither den Bahnverkehr ins und aus dem Wallis beeinträchtigt, vom Alarmsystem der BLS, sagte Daniel Wyder, Leiter Infrastruktur BLS, an der Pressekonferenz. Zudem habe ein Lokomotivführer den Vorfall als Augenzeuge quasi zeitgleich bei der Zentrale gemeldet.
Der Wassereinbruch resultierte am Freitag zeitweise in einer Totalsperre der Röhren bis am späteren Nachmittag. Seither fahren Personenzüge mit Verspätungen und Güterzüge über den Lötschberg.
Die Ursache konnte bis zur gestrigen Pressekonferenz nicht abschliessend geklärt werden. Sicher ist, dass dieser Abschnitt bereits während des Tunnelbaus von starkem Wasserabfluss betroffen war. Dies, weil die Gebirgsstruktur in diesem Bereich aus Kalkstein mit sogenannten Karststrukturen – wasser- und schlammleitenden Öffnungen im Gestein – besteht. Während des Baus sei dieser Tunnelabschnitt über mehrere Kilometer mit Abdichtungsfolie und einem Drainagesystem ausgerüstet worden, sagte Stefan Irngartinger, Ingenieur und Projektleiter Alptransit bei der BLS.
War Abdichtungsfolie beschädigt?
Ob der Wassereinbruch aufgrund einer beschädigten Abdichtungsfolie passiert ist oder ob es einen anderen Grund gibt, weiss Irngartinger nicht. «Wir sind immer noch ein wenig blind», sagte er, «und können die genaue Ursache aktuell nicht eruieren.» Denn dafür müsste die Betoninnenschale partiell aufgebrochen werden – und dies würde eine mehrmonatige Sperrung für den Verkehr durch den Lötschberg-Basistunnel bedeuten. Deshalb schliesse man diese Option momentan aus.
Dass es sich beim Wassereinbruch nicht um ein Rinnsal handelt, belegen die von Irngartinger vorgebrachten Zahlen. Pro Sekunde würden zwischen 50 und 100 Liter Wasser und Schlamm aus dem Leck fliessen – oder, wie er es sagte, «eine halbe bis ganze Badewanne pro Sekunde».
Umgesetzte Sofortmassnahmen
Bereits am Donnerstag des Wassereinbruchs sei der Pikettdienst zur Lagebeurteilung vor Ort gewesen, sagt Wyder. Danach habe die BLS den Notfallstab der Betriebszentrale Spiez einberufen. Dieser koordinierte mit den Fachdiensten und dem Einsatzleiter die Wiederherstellung der Anlagen und Systeme.
Als erste provisorische Massnahme sei eine zusätzliche Leitung installiert worden, um das austretende Wasser abzuleiten, erklärte Wyder. Dann ging es ans Absaugen von Wasser und Schlamm. Nebst der geologischen Begutachtung durch Fachpersonen wurden auch Spezialisten, die am Bau beteiligt waren, sofort beigezogen. Da der Wassereinbruch rund 2,5 Kilometer im Tunnelinneren eingetreten war, wurden Kameras zur visuellen Überwachung des Tunnelgewölbes aus Distanz an den Wänden der Betonröhren installiert.
Blechkännel an Betoninnenschale befestigt
Um das Wasser, das nicht seitlich, sondern aus dem höchsten Punkt der Betonelemente in den Tunnel floss, abzuführen, befestigten Mitarbeiter der BLS Blechkännel an der Betoninnenschale. Die vorhandenen Leitungen im Tunnelbau, die normalerweise dem Abführen des Bergwassers und der Entwässerung der Schienennetze dienen, wurden vom schlammigen Wasser derart verstopft, dass sie vorderhand freigeräumt und gereinigt werden mussten. «Die Beherrschung des Bergwassers im Tunnelbau ist vollkommen normal», sagte Andreas Teuscher, Ingenieurgeologe am Geotechnischen Institut ETH. Bei diesem Vorfall sei man von der Masse vorerst aber überfordert worden.
Da die vorhandenen Leitungen für die Entwässerung aufgrund der hohen Masse an Schlamm zwischenzeitlich nicht benutzt werden konnten, wurden Absetzbecken aus Holz ans untere Ende der Blechkännel aufgebaut, um das Verschlammen des Tunnels zu verhindern. In diesen Absetzbecken setzt sich der Schlamm nach und nach ab und lässt somit nur das Wasser in den nächstgelegenen Entwässerungskanal abfliessen. «Die Absetzbecken mussten bisher noch nie geleert werden», sagte Wyder. Ein erstaunlicher Fakt, wenn man bedenkt, wie viel Sand von den 50 bis 100 Litern Wasser pro Sekunde getragen werden könnte. Es folgte eine intensive Tunnelreinigung mithilfe staubsaugerähnlicher Maschinen, um die Schienen wieder für einen möglichst reibungslosen Verkehr freigeben zu können.
Das weitere Vorgehen
Die Herren Wyder, Irngartinger und Teuscher schienen an der Pressekonferenz erleichtert, dass der gröbste Teil der Arbeit bereits erledigt worden ist. Auf Lorbeeren ausruhen kann sich indes niemand. Nach wie vor gilt es, den Tunnel in intensiver Arbeit gründlich zu reinigen, um eine im Grossen und Ganzen reibungslose Wiederaufnahme des Betriebs zu gewährleisten. Dies soll gemäss Wyder ab Freitagmorgen fünf Uhr der Fall sein.
Ab diesem Zeitpunkt werden beide Röhren wieder geöffnet und dadurch der Normalbetrieb mit Langsamfahrstellen wieder gewährleistet sein. «Intercity- und Eurocity-Züge werden wieder normal durch den Basistunnel verkehren», sagte Wyder, «aufgrund der Langsamfahrstellen kann es aber zu Verspätungen von zwei bis vier Minuten kommen.»
Vorerst werden die Züge statt mit Normalgeschwindigkeit in der Weströhre mit 100km/h und in der Oströhre mit 60km/h verkehren dürfen. Der Personenverkehr wird also wieder zu einer gewissen Normalisierung zurückkehren und auch der Güterverkehr soll möglichst nicht mehr unter dem Wassereinbruch leiden. «Während zusätzlichen Unterhaltsfenstern im Lötschberg-Basistunnel wird es während der Nacht vereinzelt zu Umleitungen kommen», erklärt Wyder.
Verkehr soll sich ab Mitte März normalisieren
Ab Mitte März soll sich der Verkehr wieder vollends normalisieren. Bis dahin werden gemäss Wyder die hölzernen Absetzbecken durch Stahlkonstruktionen ersetzt, was aus einem Provisorium eine mittelfristige Lösung macht. «Selbst wenn wir die Lösung provisorisch nennen, ist sie absolut sicher», sagt Wyder.
«Wir hatten Glück im Unglück», sagte Wyder im Anschluss an die Pressekonferenz. Damit meint er bestimmt, dass nichts Schlimmeres passiert ist – aber nicht nur: «Wäre der Wassereinbruch in einem Einspurabschnitt im Lötschberg-Basistunnel passiert, wäre das Wallis abgeschnitten gewesen», so Wyder.
Aus dem Naturereignis leitet er eine mittlerweile auch auf politischer Ebene behandelte Forderung der BLS ab: den Vollausbau des Basistunnels. «Der Verkehr kann langfristig nur durch zwei Röhren sichergestellt werden», sagt Wyder. Das Projekt wurde zwar im Ausbauschritt 2035 vom Parlament gutgeheissen, dennoch wird es bis zum Durchbruch der letzten sieben Kilometer und der Fertigstellung der Streckenabschnitte im Rohbau noch Jahre dauern.
Adrien Woeffray
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