Porträt | Der Oberwalliser YB-Konditionstrainer Martin Fryand ist ein stiller Schaffer in der lauten Fussballwelt
«Plötzlich stand Cristiano Ronaldo neben uns»

In Aktion. Martin Fryand im Stade de Suisse in Bern.
Foto: mengis media / Andrea Soltermann
Der Steger Martin Fryand ist seit zehn Jahren Konditionstrainer der aktuell erfolgreichsten Fussballmannschaft im Land. Er hält sich gerne im Hintergrund auf. In diesem Text ist er im Vordergrund.
Das YB-Training beginnt mit fünf Minuten Verspätung. Eine kleine Gruppe Spieler hat sich in der Garderobe Zeit gelassen. Als sie an diesem kalten Morgen hinaus in die leere Weite des Stade de Suisse laufen, treffen sie einen Parcours mit Hürden, Stangen, Reifen und Hütchen an. Alles fein säuberlich bereit für das Aufwärmen. Bei den ersten Laufrunden gibt ein schmächtiger, sportlicher Mann mit Kurzhaarfrisur das Tempo vor. Er läuft nicht voran, wie das Konditionstrainer oft tun, er ist mitten im Spielerpulk. Hier ein Schwatz mit einem Spieler, da ein Klaps auf die Schulter. Martin Fryand ist in der ersten halben Stunde des Trainings der Chef.
Die Spieler stellen sich vor der ersten Übung auf. Fryand zeigt vor, was er erwartet. Seine Anweisungen sind klar und schnell. Laut ist er nicht, laut ist er nie. Der 47-Jährige meint: «Rumbrüllen bringt nichts. Wenn einer nach der zweiten Ermahnung etwas anderes macht, als wir uns das vorstellen, schreitet der Trainer ein.» Fryand spricht bewusst von wir. Fast immer. Weil er sich als Teil des Ganzen versteht. Seine Trainingsinhalte sind die unbeliebtesten, weil es oft der Teil ohne Ball ist. Doch der 47-Jährige sagt: «Die Akzeptanz für den Konditionsbereich ist grösser geworden. Gerade die Jungen sind heute anders ausgebildet, wissen aus dem Nachwuchs, dass es ohne intensive Arbeit in diesem Bereich nicht geht.» Innenverteidiger Nicolas Bürgy meint: «Martin hat eine sehr angenehme Art, uns die Inhalte zu vermitteln, das hilft.» Beim Schweizer Grossklub liegt der Schwerpunkt in der Transferpolitik seit 2015 und der Ära Adi Hütter auf der Athletik und präziser: auf dem Tempo. Ein Spieler, der eine gewisse Grundschnelligkeit nicht mitbringt, hat es schwer, beim Schweizer Meister einen Vertrag zu erhalten.
Der Steger seinerseits hat seit 2009 jeden Sommer einen neuen Vertrag erhalten. Er hat in dieser Zeit viele Spieler, Trainer, ja sportliche Führungen kommen und gehen sehen. Fryand ist immer geblieben. Im Sommer 2011 etwa kam Christian Gross und wollte seinen eigenen Staff mitnehmen, wie das im Fussballgeschäft Mode geworden ist. Paolo Tramezzani etwa hat es in Sitten so gemacht, Paulo Sousa in Basel. Und auch Christian Gross durfte – bis auf den Konditionstrainer. «Es haben sich zu diesem Zeitpunkt die richtigen Leute im Verein für mich starkgemacht», meint Fryand rückblickend. Und fügt fast entschuldigend an: «Und wohl auch, weil ich meine Arbeit nicht so schlecht gemacht habe.»
Vor Gross war Vladimir Petkovic da, nach Gross Martin Rueda, Bernard Challandes, Uli Forte, Adi Hütter und heute Gerardo Seoane. Fryand will keinen herausheben und sagt, er habe von allen viel gelernt. Das sei auch bei den Spielern so und schiebt dann doch nach: «Einem Denis Zakaria hat man das Talent vom ersten Tag an angesehen.» War eine Luftveränderung bei Fryand selber nie ein Thema? «Nein. Abwechslung habe ich hier genug mit der Schnelllebigkeit des Geschäfts. Es ist extrem spannend zu beobachten, wie sich das Gefüge immer wieder neu findet und entwickelt.»
Von der Backstube zum Schweizer Grossklub
Die Familie ist ein weiterer Grund dafür, dass Fryand nie weitergezogen ist. Mit seiner Frau Sibylle, Sohn Joel (20) und Tochter Michelle (18) lebt er in Münsingen. Joel spielt bei Münsingen in der Promotion League und eifert damit seinem Vater nach: Der war Profi bei Lausanne, YB und Sitten, ehe ihn ein Riss der Achillessehne mit 30 Jahren abrupt zum Karriereende zwang.
Danach arbeitete der ausgebildete Bäcker und Patissier in einem Teilpensum auf seinem ursprünglichen Beruf, schuftete Teilzeit in einem Fitness-Center für die Ausbildung im Kraftbereich – und trainierte daneben seinen Sohn im YB-Nachwuchs. «Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich wieder zurück in den Fussball will. Diese Emotionen, dieses Auf und Ab fand ich sonst nirgends», so Fryand. Der Steger bildete sich im Konditionsbereich weiter und brachte gleichzeitig das Fussball-Fachwissen mit – eine ideale Kombination, wie sich später herausstellen sollte. In der Backstube reduzierte sich sein Pensum immer mehr, während dasjenige auf dem Fussballplatz anstieg. Zuerst weiterhin im Nachwuchs und dann ab 2009 bei den Profis.
Die ganz grosse Bühne: Ronaldo, Anfield Road
Dort ist er bis heute geblieben – und das hat sich gelohnt: YB erlebt gerade die erfolgreichste Zeit seiner Klubgeschichte, ist zuletzt zweimal in Folge Schweizer Meister geworden und spielte in der Champions League mit. Juventus Turin, Manchester United, Valencia. Kommt Fryand auf sein prägendstes internationales Erlebnis zu sprechen, geht er aber weiter zurück: 2012, Anfield Road. Die Berner holen in der Europa-League-Gruppenphase ein 2:2-Unentschieden beim englischen Traditionsklub: «Wenn du dort den Rasen betrittst, ist dein Körper wie elektrisiert. Ich bin mit den Spielern vor den Liverpool-Fans eingelaufen, alles ist so nahe, so intensiv. Unglaublich.» Und irgendwann gewöhnt man sich an die Grossen des Weltfussballs, weil man für kurze Zeit selber dazugehört und die Gegner im besten Fall auch besiegen will. Fryand: «Plötzlich stand Cristiano Ronaldo neben uns. Das war beim Hinspiel in Turin surreal, beim Rückspiel in Bern normal.»
Das YB-Training ist vorbei, der Arbeitstag von Fryand nicht. Es geht ins Büro im Stadionbauch. Vier Arbeitsplätze sind dort in einem grosszügigen Raum neben der Spieler-Garderobe eingerichtet. Der 47-Jährige zieht seine durchnässte Jacke aus, während er mit seinen Trainerkollegen die gerade zu Ende gegangene Einheit bespricht. Es wird geflachst, gewitzelt und dann auch ernst diskutiert: Was war gut? Was hätte man anders machen können? Wer ist aufgefallen?
Im Anschluss geht es an die Datenanalyse des letzten Spiels: eine Arbeit, die Fryand bei seinen Anfängen noch fast gar nicht in Anspruch nahm, dann immer mehr und heute dafür sorgt, dass die Arbeitstage des Familienvaters immer länger werden. Jeder Spieler trägt an den Spielen eine Weste mit integriertem Accelerator. Ein kleines Gerät, das in seinen Anfängen Puls- und Herzfrequenzen gemessen hat und heute jede Regung der Spieler wahrnimmt.
«Am Anfang war dieser Bereich ein Learning by Doing, ich hatte keine Ahnung. Der FC Basel hat Pionierarbeit geleistet, wir haben dann nachgezogen», so Fryand. Heute ist jede Profi-Mannschaft in der Schweiz mit den Westen ausgerüstet. Sie liefern in der Spielvor- und -nachbearbeitung wertvolle Entscheidungsgrundlagen.
Die Daten sind aber nur dann zuverlässig, wenn man sie mit der nötigen Fussball-Kompetenz auswertet. Fryand dazu: «Das Schlimmste sind Leistungs-Diagnostiker, die nicht vom Fussball kommen.» Jeder Wert muss unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet werden: Wie war der Charakter eines Spiels? Ein Hin und Her losgelöst von jeden taktischen Vorgaben? Ein Verwalten in der zweiten Halbzeit? Oder die positionsgebundenen Werte: Ein Innenverteidiger läuft weniger, hat weniger Sprints als etwa ein Flügelstürmer. Die Daten sind in erster Linie ein Kontrollmechanismus. Nur wenn die Werte von der Norm abweichen, werden sie mit Trainer und Spielern angeschaut und korrigierend eingegriffen. Die Spieler sind vor allem an den gelaufenen Kilometern nach einem Spiel interessiert. Ihr Konditionstrainer: «Das ist eine Prestige-Sache. Die Spieler ziehen sich dann untereinander gegenseitig auf, machen Sprüche.»
Träume abseits des Fussballs
YB hat eine komplizierte Hinrunde hinter sich. Im Sommer sind mit Steve Von Bergen, Kevin Mbabu, Dijbril Sow oder Loris Benito langjährige Stützen ins Ausland gewechselt oder haben im Fall von Von Bergen ihre Karriere beendet. Die Abgänge wurden früh und adäquat ersetzt und in weiten Teilen der Schweiz war man sich einig, dass es mit YB genau gleich erfolgreich weitergeht. Dann aber kam zuerst das Ausscheiden in der Champions-League-Qualifikation und später das Scheitern in der Europa-League-Gruppenphase. In der heimischen Meisterschaft aber überwinterten die Berner als Tabellenführer. Das ist gerade in Anbetracht der längeren Ausfälle von Leistungsträgern wie Miralem Sulejmani, Sandro Lauper, Mohamed Camara, Vincent Sierro, Marvin Spielmann oder später Fabian Lustenberger ein Erfolg. Fryand und der gesamte Staff hinterfragen in solchen Phasen die Trainings umso mehr. Der 47-Jährige aber kam dann zum Schluss: «Die Verletzungen haben alle verschiedene Hintergründe. Die Belastung ist gross. Da bist du als Staff machtlos.» Er hofft, dass die Mannschaft in der Rückrunde mit weniger Verletzten durchkommt.
Von der intensiven Hinrunde hat er sich im Winter mit der Familie in Brasilien beim Kitesurfen erholt und meint: «Diese Zeit ist unbezahlbar. Wir sind in der Familie alle ähnliche Typen, das macht es umso schöner.» Kitesurfen – dieser Sport ist für Fryand Hobby und Traum zugleich. Hobby, weil er an seinen freien Tagen bei günstigem Wind gerne an den Murten- oder Neuenburgersee fährt und auf seinem Brett und dem Lenkdrachen Tricks und Sprünge umsetzt. Traum, weil eine eigene Kite-Schule etwas ist, was er sich immer erfüllen wollte und bis heute nicht geschafft hat. «Es ist schon komisch, dass meine Leidenschaft für den Fussball mich immer von meinem Traum abgehalten hat», so Fryand lächelnd.
Die Gegenwart heisst YB. In Bern möchte der Steger noch viele Erfolge feiern und ist zuversichtlich: «Wir haben uns im vergangenen Spätsommer nur ganz knapp nicht für die Champions League qualifiziert, obwohl wir einen grossen Umbruch zu bewältigen hatten.» Die Mannschaft hat bis zur nächsten internationalen Prüfung noch ein halbes Jahr Zeit, sich einzuspielen. Martin Fryand will mithelfen. Als stilles Rad des grossen Ganzen.
David Taugwalder
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