Sicherheit | Mitholz wird durch Munitionslager-Räumung für zehn Jahre zum Geisterdorf
Verkehrskonzept braucht die bestmögliche Lösung

Varianten der Verkehrsführung. In 3D-Ansicht ist die heutige Strassenführung (blau), die mögliche Verlängerung des Mitholztunnels (grün) sowie die mögliche Verlegung der Hauptstrasse (rot) eingezeichnet.
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BERN/WALLIS | Der Kander-taler Flecken Mitholz wird unter der Räumung des ehemaligen Munitionslagers schwer zu leiden haben. Einer zehnjährigen Vorbereitungszeit wird nach heutiger Planung eine ebenso lange Evakuationsphase der Häuser folgen. Der Anspruch ist berechtigt, für Schiene und Strasse höchstmögliche Sicherheit zu fordern.
Bevor die eigentliche Räumung des unterirdischen und teilweise verschütteten Lagers mit seinen 3500t an Munitionsrückständen ab frühestens 2031 im Tagbau beginnt, sind die Häuser durch bauliche Massnahmen zu schützen. Aus der reinen Walliser Perspektive sind Sicherheit und Gewährleistung der Verkehrsverbindungen aus und nach Richtung Norden ebenfalls sehr wichtig.
Gestern Abend wurden in Kandergrund die möglichen Varianten dazu im Beisein von Bundesrätin Viola Amherd, moderiert von Informationschef Renato Kalbermatten, vorgestellt.
Bahn und Strasse schützen
Die BLS soll auf dem Streckenabschnitt des Gefahrenbereichs mit einer Eindeckung geschützt werden. Auf der Einwirkungsseite wird das Schutzgerüst durch Anschüttungen sowie Gabionen (Steinkörbe) zusätzlich gesichert.
Bei der Strasse Frutigen–Kandersteg stehen drei Varianten in Diskussion. Die bestehende Hauptstrasse kann auf der heutigen Linienführung durch den Bau einer Galerie, die auf der Westseite offen bleibt, geschützt werden. Eine zweite Variante ist die Verlängerung des Mitholztunnels als Tagbautunnel oder als Galerie. Die Linienführung würde im Schutzbereich mehrheitlich unter Terrain oder im Einschnitt (mit Galerie) erfolgen. Die dritte Variante ist die komplette Verlegung der Nationalstrasse weitgehend in den Bereich der geplanten Notumfahrung. Dort würden infolge Lawinengefahr Schutzbauten mit Galerie und eventuell Tunnel notwendig.
Räumung notwendig
Die Projektleitung sieht die Räumung des Depots als den richtigen und notwendigen Weg an, das Risiko nachhaltig zu senken. Option zwei wäre eine «Überdeckung» des Lagers. Die gesamte Anlage würde mit mindestens 50m zusätzlichem Lockergestein überschüttet. In diese Überschüttung würden gegebenenfalls Verstärkungen aus Beton oder Netzen gegen allfällige lokale Ero-sion im Ereignisfall eingebettet. Das anfallende Oberflächenwasser wird um die Überdeckung geleitet, um den Wassereintrag in die Anlage zu minimieren. Die Grund- und Fliesswasserüberwachung würde gemäss den gesetzlichen Vorschriften fortgeführt. Diese Möglichkeit möchte sich die Projektleitung grundsätzlich als «Plan B» offenhalten, sollten sich während der Räumung unüberwindbare Probleme ergeben oder mit der Räumung die Schutzziele nicht erreicht werden. Das ist heute nicht voraussehbar.
Eine fundierte Kostenschätzung ist noch nicht möglich. Die Räumung wird aber mitsamt den notwendigen Schutzmassnahmen weit über eine Milliarde Franken beanspruchen.
Untragbares Risiko
Über das Detonationsrisiko können nur Vermutungen angestellt werden. Mehrere Studien belegen, dass es höher ist als in den vergangenen Jahrzehnten angenommen. Das VBS kam in einer Risikoanalyse 2018 zum Schluss, dass das Risiko für die Umwelt nicht mehr länger tragbar sei. Wo und wie genau die Munition gelagert ist und in welchem Zustand sie sich befindet, ist offen. Ist die Munition einmal freigelegt, ist sie umwelt- und fachgerecht zu entsorgen. Unter den 3500 Tonnen Munition werden Fliegerbomben, Minen, Artilleriemunition, Handgranaten und Treibladungspulver vermutet. Der Transport von unsicherer Munition wird eine weitere Herausforderung darstellen. Sprengungen nach der Freilegung direkt vor Ort werden – im Gegensatz zur Vergangenheit – nicht mehr möglich sein. Verschüttet wurde das unterirdische Lager 1947 kurz vor Weihnachten durch eine gewaltige Explosion, vermutlich wegen chemisch bedingter Selbstzündungen.
170 Personen betroffen
Grundsätzlich kann die Bevölkerung während der 10-jährigen Vorbereitung und Realisierung der Schutzmassnahmen in ihren Häusern bleiben. Der Betrieb von Schiene und Strasse ist in dieser Zeit ebenso gewährleistet. Während der Freilegung des ehemaligen Stollenportals Süd könnte es aber situativ dazu kommen, dass für ein paar Stunden oder Tage eine Evakuation des Dorfes notwendig wird. Es könnten auch Sperrungen der Verkehrswege erforderlich werden.
Derzeit wären bei einer Evakuation zwischen 50 und 60 Haushalte mit rund 170 Personen betroffen. Wie viele davon 2031 noch in Mitholz leben werden, ist offen. Klar ist, dass die Umsiedlung mit dem Bereitstellen von Ersatzwohnungen ebenfalls finanziell zu unterstützen sein wird.
Die Projektleitung setzt da-rauf, Bevölkerung und Gewerbe mitwirken zu lassen. Gestern Abend wurde ein Fragebogen ausgeteilt mit der Bitte um Rückmeldung bis 31. März 2020. So soll in Erfahrung gebracht werden, wie die Bevölkerung zum Gesamtkonzept der Räumung steht. Heute Mittwoch wird in Kandersteg eine ähnliche Informationsveranstaltung durchgeführt.
Rieder: Keine Kompromisse
Der Walliser Ständerat Beat Rieder brachte Anfang Dezember 2019 eine Motion durch den Rat, die den Bau einer Strasse zur Umfahrung des Gefahrenpotenzials fordert. Der Vorstoss wurde mit 24:15 Stimmen gegen den Willen des Bundesrates gutgeheissen. Rieder forderte umgehend den Bau einer zweispurigen neuen Strasse mit den heutigen Kapazitäten, nachdem durchgesickert war, dass das Munitionslager geräumt werden soll. Eine Einschränkung würde untragbare ökologische Folgen zeitigen. Darauf angesprochen, bekräftigte Rieder gestern seine Haltung. «Unabhängig von der Variantenwahl der Schutzmassnahmen ist während der ganzen Vorbereitung und Räumung zwischen Frutigen und Kandersteg jederzeit eine 100-prozentig sichere Strassen- und Bahnverbindung zu garantieren, unabhängig von den allfälligen Kosten.»
Thomas Rieder
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