Kriminalität | Vorschussbetrug, auch «Rip-Deal» genannt, ist immer noch aktuell
Der Teufel von Mailand

Koffer voller Bargeld. Genau darauf warten die Betrügerbanden, um Opfer hereinzulegen und ihnen Falschgeld unterzuschieben.
Foto: Keystone
Ein ausländischer Geschäftsmann erklärt sich bereit, für eine Liegenschaft eine höhere Summe zu bezahlen, als in der Annonce angegeben. Was anfangs wie ein gutes Geschäft klingt, kann zum Verlust mehrerer Hunderttausend Franken führen. Die Begleitperson einer beinahe Betroffenen berichtet von der Masche der Betrüger.
Karin* wird von Vera* als unsichere und introvertierte Person beschrieben. Auch deshalb begleitete Vera ihre Freundin nach Mailand. Sie ist es, die dem WB die Geschichte des glücklicherweise nicht vollendeten Betrugsfalles erzählte. Karin selbst möchte nicht davon berichten, zu tief sitze die Scham über die Naivität und die fast verlorene Summe im sechsstelligen Frankenbereich.
Karin ist Witwe und hat eine Liegenschaft mit viel Umschwung in einem Bergdorf im Mittelwallis geerbt. Über Immobilienhändler versuchte sie das Einfamilienhaus zum Preis von 545 000 Schweizer Franken zu verkaufen. Lange fand sie dafür keinen Abnehmer.
Kurzerhand ergriff Karin die Initiative und stellte das Angebot privat ins Internet – und siehe da: Bereits nach wenigen Tagen kontaktierte sie ein italienischer Geschäftsmann, der grosses Interesse am Angebot bekundete und von der Abgeschiedenheit der Liegenschaft und den schönen Walliser Alpen schwärmte. Karin solle doch bitte nach Rom reisen, damit er
sie kennenlernen und das Geschäft persönlich abschliessen könne, sagte er ihr am Telefon.
«Zu dem Zeitpunkt hätte sie bereits misstrauisch werden müssen», sagt Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold. Denn Forderungen wie eine Reise ins Ausland für ein Immobiliengeschäft in der Schweiz seien doch sehr merkwürdig. «Sie hätte gleich nach dem Anruf die Polizei kontaktieren sollen.»
Empfang im Nobelrestaurant
So stiegen Karin und Vera Anfang August in den Zug nach Mailand. Nach Rom könne die berufstätige Karin unmöglich kommen, teilte sie dem vermeintlichen Geschäftsmann mit. So einigten sich die beiden Parteien auf ein vornehmes Restaurant in Mailand.
Mit Handkuss, sehr eloquent und in hervorragendem Deutsch begrüsste der unter dem Namen Ahmed auftretende Geschäftsmann die beiden Damen, bestellte Häppchen und Getränke. Er stamme aus Arabien, sagte er, baue ein Hotel in Italien und besitze diverse Hotelkomplexe in seiner Heimat.
Karins Anwesen würde er gerne seiner Tochter schenken, die in London als Schönheitschirurgin arbeitet, damit diese einen Ort habe, um sich zu erholen und abzuschalten. Freudig und gespannt hörten Karin und Vera dem rhetorisch begabten Ahmed zu und liessen sich von ihm und seinen Erzählungen um den Finger wickeln.
Gut vorbereitet zeigte Karin dem arabischen Geschäftsmann die Pläne des Anwesens und des Grundstückes sowie kürzlich geschossene Bilder der Liegenschaft. Diesen sowie den Erläuterungen über die kürzlich erledigten Renovierungsarbeiten schenkte Ahmed aber nicht so viel Beachtung.
Er habe gleich zum Finanziellen kommen wollen, erzählt Vera, und Karins Angebot um 5000 Franken überboten. Gerechtfertigt habe er dies mit dem Hinweis, sie hätte Reisekosten und andere finanzielle Umstände stemmen müssen, wodurch es nur fair sei, mehr zu bezahlen. Schliesslich schlug er vor, den Kauf über einen Schweizer Mittelsmann abzuwickeln.
«Wer Schwarzgeld akzeptiert, macht sich strafbar und muss mit einer Strafanzeige rechnen», sagt Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold. Denn oft wird bei solchen Rip-Deals auch die Bezahlung mit Schwarzgeld angeboten – wenn auch nur für einen Teil der Summe. Eine weitere Masche der Betrüger, um sicherzustellen, dass die Geschädigten nicht zur Polizei gehen.
65 000 Franken «Gewinn»
Gegen Ende des Gesprächs bat Ahmed plötzlich um 200 000 Schweizer Franken – und zwar im Vornherein, in bar und in grossen Noten. Einen Grund für diese Bitte habe er nicht genannt.
Etwas erstaunt und überrascht habe Karin ihm entgegnet, nicht über eine solche Summe zu verfügen und dieser Bitte nicht nachkommen zu können. Ahmed habe nicht lockergelassen: Er sei bereit, das Geld eins zu eins gegen Euros zu wechseln. Ein verlockendes Geschäft, wenn man berücksichtigt, dass der Frankenbetrag Anfang August knapp 175 000 Euro wert gewesen wäre. Darüber hinaus habe er noch 15 Prozent zusätzlich versprochen. Der Gesamtgewinn aus dem Geschäft hätte für Karin damit rund 65 000 Schweizer Franken betragen – noch ohne den von ihr verlangten Verkaufspreis für die Liegenschaft. Karin und Vera stutzten ob des Angebots, verblieben aber dennoch dabei, bereits am nächsten Tag wieder in Kontakt treten zu wollen.
«Devisenhandel bei Immobiliengeschäften ist sehr merkwürdig», so Arnold. Oft werde den Opfern dabei Falschgeld übergeben.
Rettendes Misstrauen
Auf dem Rückweg im EuroCity von Mailand ins Wallis stiessen Karin und Vera mit einer Flasche Rotwein auf den erfolgreichen Nachmittag an. Dennoch machte sich Misstrauen breit. Bei solch einem Angebot müsse etwas faul sein, dachten sich beide Frauen.
Bereits am nächsten Vormittag kam der Anruf aus Italien. Ahmed drängte auf einen frühzeitigen Geschäftsabschluss. Karin entgegnete, dass sie den Betrag unmöglich in kurzer Zeit auftreiben könne und sowieso noch einmal einige Nächte darüber schlafen wolle.
Die beiden Frauen hatten sich zwischenzeitlich im Internet schlau gemacht und waren auf Erfahrungsberichte früherer Geschädigter gestossen, welche auf ähnliche Art und Weise um bis zu sechsstellige Geldsummen betrogen worden waren. So war das Geschäft zumindest für Karin und Vera längst keine Option mehr.
Doch Ahmed drängte, rief Karin weiterhin täglich an, setzte sie unter Druck, wurde ausfällig. Auch Veras Telefonnummer brachte er in Erfahrung und drängte sie, ihre Freundin zu diesem Geschäft zu überreden. Erst auf die Information hin, dass Karin zwischenzeitlich einen neuen Interessenten für die Liegenschaft gefunden habe, gab der vermeintliche Geschäftsmann entnervt auf.
«Die Erfolgschance, ausgehändigtes Geld jemals wiederzusehen, ist verschwindend klein», sagt Rinaldo Arnold. Glücklicherweise hätten die beiden Frauen sich nicht zu diesem Tausch überreden lassen. Weder Karin noch Vera haben bis zum heutigen Tag Anzeige erstattet. «Betroffene sollten aber direkt zur Polizei gehen», so der Oberstaatsanwalt.
*Namen der Redaktion bekannt
Adrien Woeffray
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar