Schicksal | Sandro Bohnet verlor durch ein Osteosarkom sein Bein. Unterkriegen lässt er sich deshalb aber nicht
«Ich musste zwischen meinem Leben oder meinem Bein wählen»
NATERS | Sandro Bohnet hatte die Ausbildung zum Informatiker abgeschlossen, die Berufsmatura in der Tasche und die Rekrutenschule als Grenadier absolviert. Ein junger Mann mit vielen Plänen. Doch dann erkrankte er an Krebs.
Mit 21 Jahren wusste Sandro Bohnet schon ziemlich genau, wohin sein Weg führen sollte. Er wollte an einer Kunsthochschule weiterstudieren. Die Programmierung von Computerspielen und Apps faszinierte ihn. Im Jahr 2018 bereitete er sich auf die Aufnahmeprüfungen der Kunsthochschulen vor. Daneben arbeitete er für ein Unternehmen in Naters.
Doch dann kündigten sich plötzlich erste Anzeichen einer drohenden Veränderung an. Im Februar verbrachte er einen Tag auf der Belalp beim Snowboarden mit seinen Kollegen. «Als ich am nächsten Tag aufstehen wollte, jagte ein jäher Schmerz durch mein rechtes Bein. Ich knickte regelrecht ein vor Schmerz», erinnert sich Sandro. Er rappelte sich auf und dachte an eine Zerrung. Die starken Schmerzen in seinem Sprunggelenk wollten nicht weichen. Schonen, Einsalben, Kühlen – nichts half. Nach drei Wochen ging er zum Hausarzt. Das Bein wurde sorgfältig geröntgt. Auf den Röntgenbildern schien alles in Ordnung zu sein und so ging Sandro Bohnet in der Meinung nach Hause, es sei eine Sportverletzung, der mit Schmerzmitteln beizukommen sei. «Es ging mir einfach nicht besser. Im Mai begab ich mich wieder zum Hausarzt und nach weiteren Abklärungen wurde im Juli 2018 ein MRI (Magnetresonanztomografie) von meinem schmerzenden Sprunggelenk gemacht», schildert Sandro Bohnet den Verlauf. Aber selbst mit diesem bildgebenden Verfahren kam es nicht zu einem Befund.
Es wurde August und Sandro Bohnet begann in Olten den Vorkurs der Schule für Gestaltung. «Von einem Tag auf den andern schwoll mein Bein dick an und plötzlich schmerzte nicht mehr mein Sprunggelenk, sondern meine Wade», sagt Sandro Bohnet. Erneut wurde ein MRI gemacht. Dieses Mal aber nicht mehr vom Sprunggelenk, sondern von der Wade. «Unmittelbar nach der Untersuchung sagte schon ein Arzt zu mir: «Da ist etwas am Wachsen. Da klebt ein ziemliches Ding am Knochen. Aber Genaueres kann ich Ihnen noch nicht sagen.» Nach mehr als einem halben Jahr Schmerzen war Sandro Bohnet einerseits erleichtert, dass man endlich etwas gefunden hatte, andererseits war die Ungewissheit des Befunds beängstigend.
Gewissheit mit Folgen
Am Wochenende hatte er dann Gewissheit. Der Hausarzt kam zur Familie Bohnet vorbei und zeigte ihnen die MRI-Bilder am Computer. Der Befund: Osteosarkom, ein bösartiger Knochentumor. Wenn Sandro Bohnet von diesem Moment erzählt, klingt er sehr gefasst. Er sagt, das sei schon nicht so «gäbig» gewesen. «Ich dachte, Krebs ist keine Krankheit, die man nicht überleben kann. Mein Vater Marco hatte auch schon Krebs, und ihm geht es wieder sehr gut. Ich wollte mich jetzt ganz auf die Therapie konzentrieren und wieder gesund werden», sagt Sandro Bohnet. Geärgert habe er sich höchstens darüber, dass sich seine Ausbildung verzögern würde. Doch daran, die Chemotherapie neben der Schule zu machen, war nicht zu denken.
Schwierige Zeit
Sandro Bohnet wurde direkt ans Sarkomzentrum im Inselspital Bern verwiesen. Es wurden zwei Zyklen mit Chemotherapie verordnet, dann würde eine Operation anstehen. Worum es bei der Operation gehen könnte, wurde nie explizit ausgesprochen. Sandro Bohnet ging die Therapie zuversichtlich an. «Jeder, der schon einmal eine Chemotherapie machen musste, weiss, was das heisst.» Über die schwierige Zeit spricht er sachlich und ruhig. Er neigt nicht zur Dramatisierung. Sitzt man ihm gegenüber, muss man sich manchmal in Erinnerung rufen, dass da nicht ein in die Jahre gekommener weiser Mensch mit viel Lebenserfahrung sitzt, sondern ein junger, 23-jähriger Mann, mitten im Leben.
Die Chemotherapie zeigte zwar Wirkung und das Wachstum der Krebszellen wurde reduziert; aber nicht genug. Am 4. Januar 2019 wurde die Familie Bohnet zu einem Gespräch ins Inselspital eingeladen. «Zum ersten Mal wurde ausgesprochen, dass eine operationelle Entfernung der bösartigen Geschwulst nicht ausreichen würde. Das Wort Amputation fiel», erzählt Sandro Bohnet. Das sei ein ernüchternder Moment gewesen, formuliert er es. «Ich war immer sportlich: Snowboard, Judo, Turnverein, Joggen. Sport bedeutete mir sehr viel. Ich war auch gerne mit meinem Vater zum Strahlen in den Bergen unterwegs. Und jetzt sollte ich mein Bein verlieren?» Ihm sei zwar eine Träne über die Backe gelaufen, aber richtig weinen hätte er nicht gekonnt. «Man stellte mich vor die Wahl: Bein oder Leben. Da gab ich doch lieber mein Bein her», sagt Sandro Bohnet pragmatisch.
Harter Schlag auch für die Eltern
Für die Eltern Elisabeth und Marco Bohnet war diese Nachricht ein harter Schlag. Die Mutter sagt: «Ich hätte stark sein sollen und Sandro trösten. Aber ich hatte in dem Moment genug mit mir zu tun.» Vater Marco sagt dazu: «Ich war sehr froh, dass man uns direkt einen Patientencoach zur Seite stellte. So hatten wir eine Ansprechperson für all unsere Fragen und Anliegen. Wir hatten auch die Gelegenheit, eine junge Frau zu treffen, die vor sieben Jahren dieselbe Operation hatte. Zu sehen, wie positiv sie im Leben stand und wie sie ihr Leben mit einer Beinprothese meisterte, gab uns Hoffnung.»
Zehnstündige Operation
Der Tag vor der Operation war für die ganze Familie wohl einer der schwierigsten. «Ich sollte mein Bein schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr belasten. An dem Abend hätte ich aber so Lust gehabt, noch ein letztes Mal bis zur Erschöpfung auf beiden Beinen im Krankenhausflur hin- und herzurennen», erinnert sich Sandro Bohnet. «Am Vorabend der Operation aus dem Spital zu gehen und Sandro mit all seinen Ängsten und Sorgen alleine zu lassen, war für uns furchtbar», sagen die Eltern. Die Erinnerung an den Moment treibt ihnen immer noch Tränen in die Augen.
Zehn Stunden dauerte die Operation. Sandro Bohnet beschreibt sein langsames Aufwachen im Nebel der Schmerzmittel. Und dann irgendwann realisierte er, dass sein Bein ab dem Oberschenkel nicht mehr da war, auch wenn ihm sein Gehirn etwas anderes vormachte. «Ich lag im Spitalbett, die Beine ausgestreckt. Da kam meine Mutter und setzte sich auf den leeren Platz auf dem Bett, an dem eigentlich mein rechtes Bein hätte sein sollen. Da wurde mir fast übel. Das ging gar nicht und ich forderte sie auf, sofort aufzustehen.»
Es folgten zwei Wochen im Spital, dann mehrere Chemotherapie-Zyklen und dann vier Wochen Rehabilitation in Bellikon, wo er mit einer Beinprothese laufen lernte und sich mit Kraft- und Fitnesstraining auf das Alltagsleben vorbereitete.
Das alles ist jetzt ein Jahr her. Sandro Bohnet konnte immer auf die Unterstützung seiner Eltern und seiner beiden Brüder Philipp und Andreas zählen. Er hat sich ins Leben zurückgekämpft. In der schwierigen Zeit hat er viel echte Anteilnahme erfahren. Besonders gefreut hat ihn die Nachricht des Vereins «Bärgüf», der Krebspatienten solidarisch Hoffnung geben will, am Weihnachtstag 2019. Der Vorstand bot ihm an, eine spezielle Snowboard-Prothese und eine bessere Alltagsprothese zu finanzieren als die, die die Invalidenversicherung als nötig erachtete, um ihn wieder im Arbeitsprozess zu integrieren. «Mit der besseren Prothese könnte ich wieder Treppen laufen und Sport machen. Das möchte ich unbedingt, denn das hiesse für mich, wieder ein völlig normales Leben führen zu können», sagt Sandro. Für einen, der gerne Sport mache, sei es manchmal schwierig, das Höchsttempo eines Gehers zu akzeptieren, meint er augenzwinkernd. Aber so einfach geht das nicht. Sandro Bohnet muss nun den Entscheid der IV abwarten, ob sich die Kasse bereit erklärt, den Unterhalt und die Anpassungen des besseren Prothesenmodells zu übernehmen. Sandro Bohnet hofft sehr auf einen positiven Entscheid. Er sieht sich als «Stehaufmännchen». Inzwischen ist er im zweiten Semester des Vorkurses der Schule für Gestaltung. Wenn alles klappt, steigt er im August in der Zürcher Hochschule der Künste in den Studiengang Game Design ein. «Um Computerspiele zu programmieren, braucht es nicht zwingend zwei Beine», meint Sandro Bohnet mit einem Anflug von jugendlicher Unbekümmertheit.
Nathalie Benelli
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar