Bildung | Robert Lochmatter geht nach 17 Jahren als Brig-Gliser Schuldirektor in Pension

«Kinder werden zu Clowns»

Abtretender Pädagoge. Robert Lochmatter vertraut auf die Stärken der öffentlichen Schule, stellt die Notengebung aber grundsätzlich in Frage.
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Abtretender Pädagoge. Robert Lochmatter vertraut auf die Stärken der öffentlichen Schule, stellt die Notengebung aber grundsätzlich in Frage.
Foto: Walliser Bote

Quelle: WB 20.06.19 0
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Robert Lochmatter stand 42 Jahre im Schuldienst. Nun geht er in Pensio, blickt zurück auf schwierige Entscheidungen und auf kommende Herausforderungen.

Robert Lochmatter, weshalb haben Sie sich für den Beruf des Lehrers entschieden?

«Ich arbeite gerne mit Kindern, mit Menschen. Für mich kam kein anderer Beruf in Frage.»

Warum genau?

«Man kann viel bewirken und erhält viel zurück. Kinder sind authentisch, in einem gewissen Sinne formbar. Die Arbeit mit Kindern ist spannend. Besonders interessiert haben mich die lernschwachen Kinder, Kinder mit Lernproblemen und Verhaltensauffälligkeiten, deshalb war ich als Hilfsschullehrer tätig. Die Herausforderung war dankbarer, die Fortschritte besser ersichtlich.»

Weshalb sind Sie ein guter Pädagoge?

«Du musst Kinder lieben, die Menschen allgemein, das ist sicherlich die wichtigste Grundvoraussetzung. Eine liebevolle Konsequenz mit klaren Äusserungen gehört dazu. Und das Kind sollte nicht immer im Mittelpunkt stehen.»

Das steht aber entgegen dem allgemeinen Trend, vor allem seitens Eltern, den Kindern alles bieten zu wollen, sie jederzeit und überall unterhalten zu wollen?

«Stehen die Kinder allzu sehr oder ständig im Mittelpunkt, werden sie zu Clowns, zu Artisten in der Arena. Das ist dann nicht nur eine Chance, sondern eine Belastung.»

Was wünschen Sie den Kindern von heute?

«Dass sie möglichst Kind sein können, nicht ständig unter Beobachtung stehen und Leistung abliefern müssen. Der grosse Druck an sie kommt von überall – von der Schule, sehr oft von den Eltern und selbst im Verein wird Leistung gefordert.»

Was macht die Arbeit des Schuldirektors reizvoll?

«Als Schuldirektor begegne ich einer ungeheuren Breite an Themen. Die Arbeit ist vielseitig, führt vom banalen Problem bis hin zum schwerwiegenden Fall. Von der Diskussion über den Schulweg bis zum Überleben eines suizidgefährdeten Jugendlichen. Als Schuldirektor steckst du in einem Wechselbad an Gefühlen und Entscheidungen. Das oftmals an einem einzigen Tag.»

Was erfüllt Sie mit Blick mit Stolz?

«Ich kann eines mit Bestimmtheit sagen: Ich habe immer gerne gearbeitet. Diese positive Grundhaltung hat mich stets begleitet und ich durfte dadurch viele bereichernde Begegnungen mit Kindern, Lehrpersonen und Eltern geniessen.»

Wie gingen Sie mit schwierigen Situationen um?

«Solche habe ich jeweils als Herausforderung angenommen und versucht, darin einen aufbauenden Aspekt für die Weiterarbeit herauszunehmen. Selbstverständlich gab es auch die andere Seite; so etwa Todesfälle von Schulkindern oder Lehrpersonen. Ebenso gab es belastende Entscheidungen, die nicht immer leicht gefallen sind und nicht allen gefielen.»

Was für Entscheidungen sprechen Sie an?

«Beispielsweise fiel es mir schwer, einer Bewerberin, einem Bewerber mitteilen zu müssen, dass sie/er trotz der guten Qualifikation nicht zu einer Anstellung kommen kann. Eine nicht einfache Entscheidung war auch die Aufhebung der Schule in Brigerbad, heute ist dort zumindest wieder ein Kindergarten. Schwierig bleibt nach wie vor auch die Zuteilung der Kinder auf das Primarschulzentrum Brig oder Glis. Ich habe stets versucht, solche Angelegenheiten anhand von sachlichen Kriterien zu lösen; die Emotionen aber bleiben.»

Gabs auch persönliche Anfeindungen seitens der Eltern, Sie mussten ja Verantwortung übernehmen als Schuldirektor?

«Das nicht gerade, aber am Telefon musste ich mir manchmal schon Einiges anhören. Ein Vater hat mir mal spät abends unter Alkoholeinfluss mit Erschiessen gedroht; anderntags sich dann aber entschuldigt.»

Was überwiegt?

«Die positiven Erfahrungen und dankbaren Erlebnisse. So blicke ich auch mit einer gewissen Genugtuung auf die vergangenen Jahre zurück. Die Unterrichtsqualität ist dank vieler engagierter und menschlich wertvoller Lehrpersonen hoch und organisatorisch sind die Schulen Brig Süd gut aufgestellt.»

Auf was basiert diese Behauptung?

«Umfragen bestätigen dies, die wir jedes Jahr durchführen. Auch Rückmeldungen seitens der politischen Seite. Die Behörden der involvierten Gemeinden der Schulen Brig Süd achten auf eine zeitgemässe Infrastruktur, sie unterstützen Eltern und Lehrpersonen mit Schulsozialarbeit und begleiten den Direktionsrat mit einer Steuergruppe und einer regionalen Schulkommission.»

Was würden Sie in den Schulen Brig Süd noch angehen, wenn Sie Schuldirektor bleiben würden?

«Ich würde die Stärke der Schule mehr thematisieren, die Lernerfolge sichtbarer machen, neue Unterrichtsformen besser kommunizieren. Viele Kritiker kennen unsere Schule gar nicht oder gehen von einem Bild aus früheren Zeiten aus. Wir sollten vermehrt darüber berichten, wie Schule und Lehren heutzutage funktioniert. «Gutes Tun und darüber reden» wäre ein guter Ansatz.»

Privatschulen sind stärker gefordert, weil sie Kundschaft gewinnen müssen. Wie beobachten Sie die Entwicklung hin zu privaten Schulen wie die gd-Schule in Bratsch?

«Die Eröffnung einer gd-Schule stand auch hier zur Diskussion. Eine Privatschule ist grundsätzlich an und für sich nichts Negatives. Es braucht aber ein Angebot, das sich klar unterscheidet, das einen klaren Mehrwert schafft im Vergleich zu öffentlichen Schulen. Die blosse Unterscheidung von Unterrichtsformen genügt diesem Anspruch nicht.

Demnach braucht es eine Institution wie die gd-Schule nicht?

«Sie kann ein gutes Ventil sein für die grosse öffentliche Schule, für Eltern, die mit unserer grossen Schule unzufrieden sind. Für diese Eltern kann es ein Vorteil sein; für die Kinder wage ich es zu bezweifeln. Es gibt übrigens Eltern, die ihre Kinder nach Bratsch schickten und wieder zurück sind.»

Ihrer Ansicht nach liegt die Zukunft nicht in privaten, sondern in der öffentlichen Schule?

«Ja, ganz klar. Die öffentlichen Schulen haben ihre Stärken; neben der hohen Qualität, die letzthin den Walliser Schulen einmal mehr bestätigt wurde, hat sie auch eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. Kinder möchten und sollen dazu gehören – zur Gemeinschaft ihrer Umgebung. Die öffentliche Schule entwickelt sich ständig und kontinuierlich, sie lebt nicht kurzfristige Trends. In grossen Agglomerationen kann eine private Schule eine Lösung sein, nicht aber für Zermatt. Was da abgeht führt unweigerlich zu einer Zweiklassengesellschaft.»

Wo stehen die grössten Aufgaben der Schule an?

«Dem sich verstärkenden Mangel an qualifizierten Lehrpersonen muss entgegen gewirkt werden. Das Niveau der Schulen gehalten und ausgebaut werden. Die Schule muss sich hinterfragen. Wie soll individualisiertes Lernen verstärkt Beachtung finden, wie ist der Umgang mit den Hausaufgaben zu handhaben. Braucht es weiterhin Noten, ja oder nein? Es gibt viele weitere Aspekte.»

Die Schule ist stark entwicklungsfähig?

«Ja, die Schule muss sich entwickeln, weg vom Modell der 45 Minuten dauernden Lektionen. Auf Stufe Primarschule ist bereits viel erreicht, auf Stufe OS ist das Departement Darbellay gefordert.»

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

«Ich wünsche meinem Nachfolger Dominik Chanton und dem Direktionsrat einerseits die Geduld, Bewährtes zu erhalten. Andrerseits auch den Mut, Neues anzupacken und damit die Schulen Brig Süd nachhaltig zu stärken und kontinuierlich weiter zu entwickeln.»

Was werden sie vermissen?

«Es waren die Begegnungen und die Beziehungen, die diese Zeit für mich unvergesslich gemacht haben und mich dankbar zurückblicken lassen. Ich hoffe insbesondere, dass viele dieser Beziehungen über die Pension hinaus bestehen bleiben.»

Auf was freuen Sie sich persönlich?

«Ich will mir wieder mehr Zeit nehmen, um Sport zu treiben. Zudem freue ich mich auf «Kontrastabeit» zu meiner jetzigen kopflastigen Tätigkeit. Wir haben in Birgisch unser Elternhaus gekauft, da bin ich bereits am Umbauen, werde so oft wie möglich selber Hand anlegen.»

Daniel Zumoberhaus
20. Juni 2019, 15:50
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