BDM | Ein Dorf, oft im Abseits der Lokalpolitik, hat es allen gezeigt
Gamsens ganzer Stolz

Meister-Rasen. Die Brüder Richard und Walter Zeiter mit Robert Zentriegen (von links) kümmern sich um den Platz – ein Leben für den SV Gamsen.
Foto: WB / Alain Amherd

Meister-Trainer. Christian Nanzer, man ist endlich wer.
Foto: WB / Alain Amherd

Meister-Captain. Adrian Huber, in Gamsen wieder die Freude am Fussball entdeckt.
Foto: WB / Alain Amherd

Meister 2019. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte.
Foto: Walliser Bote

Meister-Team. Freunde sollt ihr sein.
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Meister-Ecke. Patrick Lengen (rechts) und Michael Imhasly führen sie kurz aus.
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Meister-Kampf. Gegen Gspon, jahrelang der Ligakrösus.
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Meister-Saison. Kicken, wenn der Himmel lila ist.
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Meister-Feier. Ausdauer bewiesen.
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Was musste diese Ortschaft nicht schon alles ertragen, lokalpolitisch wie sportlich. Jetzt wird der SV Gamsen zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte BDM-Meister. Ein Besuch auf dem besten Rasen der Liga zeigt: Hier geht es um so viel mehr als nur um Fussball.
Nockenschuhe klappern über die Betonplatte. Perskindol-Schwaden ziehen durch die überstellte Umkleide. «Jungs, kommt!» Die Mannschaft des SV Gamsen tritt zusammen in den Kreis, ein letztes Mal in dieser Meisterschaft. Einschwören auf den Gegner, die Ansprache ist nicht jugendfrei. Rivalitäten werden hier noch sorgfältig gepflegt. Draussen warten schon die Männer des FC Gspon. Willkommen in der Bergdorfmeisterschaft. Willkommen auf dem Sportplatz ARA. Am Zaun, der den Rasen vom MGBahn-Trassee trennt, hängt ein grosses Transparent: «SV Gamsen. Meister 2019».
Seit 30 Jahren kickt der Sportverein aus dem Talgrund gegen die Teams aus den Bergdörfern. Und es ist das erste Mal überhaupt in der Vereinsgeschichte, dass die Mannschaft am Ende der Saison ganz oben steht. Den FC Gspon, der in den letzten Jahren die Liga dominierte, liess man hinter sich. Genau wie Wiler, Zermatt und alle anderen.
Man wollte den SV nicht in der BDM
Die Bergler aus Gspon sind an diesem Samstag zwar hungriger. Sie gewinnen diesen Spitzenkampf, in dem es um nichts mehr geht, mit 6:2. «Gamsen hat sich diesen Titel aber verdient», sagt Gspon-Captain Diego Abgottspon nach dem Spiel. Die Teams sitzen jetzt in gemütlichen Runden. Die Gamsner feiern sich selbst bis weit in die Nacht hinein. Es ist Sonntagmorgen um 7.00 Uhr, als sich Meister-Trainer Christian Nanzer ins Bett legt.
Am Dienstag steht Training auf dem Programm. Es wartet noch der Super-Cup, ein Finalspiel zwischen dem BDM-Meister und dem Sieger der Gommer Fussballmeisterschaft. Zehn Spieler sind da, Flutlicht. Die Intensität auf dem Platz ist hoch. «Und das noch am Ende der Saison», schwärmt Nanzer, der von Beginn an auf die Eigeninitiative seiner Spieler vertraute. «Ich brauche die Jungs nicht zu pushen.» In der Mannschaft ist etwas entstanden. Und Nanzer liess es einfach geschehen. «Dieser Titel bedeutet mir mehr, als er einem eigentlich bedeuten dürfte», lacht der Trainer. «Klar: Es ist ‹nur› BDM. Aber für uns ist das einfach unglaublich.»
Nanzer, 41, spielte sein ganzes Leben lang für den Sportverein. Völlig erfolglos. Und jetzt Meister in seiner ersten Saison als Trainer. Erfolgsrezept? «Es ist die Freude am Kicken, der Zusammenhalt der Jungs. Ja, das hört sich jetzt kitschig an, aber es ist so. Gute Einzelspieler allein reichen da nicht. Denn die haben die anderen Vereine ja auch.»
Das Ziel für die nächste Saison ist klar: «Titelverteidigung». Der Trainer zögert nicht eine Sekunde mit seiner Ansage. «Was haben Sie sonst erwartet? Dass wir uns nun zum Ziel setzen, nicht abzusteigen?» Nanzer, Gamsner Spross, verkörpert das neue Selbstbewusstsein des Vereins. Und diesen Stolz spürt man überall rund um den Sportplatz ARA. Man ist endlich wer.
Hierfür mussten sie in Gamsen lange warten. Die ersten Gesuche, um in der BDM mitspielen zu dürfen, wurden Mitte der 1980er-Jahre noch abgelehnt. Zu Beginn wurde man von den Gegnern misstrauisch empfangen. Sie hatten Angst, dass sich der Dorfverein mit Aktivspielern aus Brig und Naters oder vom Brigerberg verstärkt. Und sowieso: Gamsen ist doch kein Bergdorf. Aber eben auch nicht gross genug, um eine Mannschaft für den Aktivfussball zu stellen. Geschweige denn Junioren auszubilden. Der SV Gamsen auf der Suche nach seinem Platz.
Den Rasen nennen sie «Wembley»
Gegründet wurde der Verein 1945. Zuvor gab es den Veloclub Gamsen. Zwei Wochen nach Kriegsende hielt man die erste GV ab. In den Jahren darauf ging man an die Skirennen auf dem Rohrberg und auf dem Simplon. 1966 nahmen zwei Mannschaften an einem Fussballturnier in Steg teil. Ab 1972 werden auch die Ehepartner von auswärts wohnenden Mitgliedern in den Verein aufgenommen. Dafür brauchte es eine Änderung der Vereinsstatuten.
Im Sommer 1985 installieren die Mitglieder den heutigen Fussballplatz hinter der Kläranlage. Dr. Werner Perrig, damals Verwaltungsratspräsident der ARA, gewährte dem Verein hier Gastrecht. Weil der frühere Platz im Bildacher dem geplanten Autobahnabschnitt zum Opfer fiel. Heute ist die Anlage mit der 2014 neu erstellten Kantine und Kabinen die modernste der Liga. Und neben dem Titel der ganze Stolz des Vereins.
In der Buvette sitzen die Brüder Walter (68) und Richard Zeiter (59) zusammen mit Robert Zentriegen (52) bei einem Bierchen. Alle drei Gamsner Fussballer der ersten Stunde. Alle drei waren sie auf diesem Sportplatz schon Spieler und Trainer. Heute sind sie die guten Seelen in diesem intensiven Vereinsleben. Mädchen für alles mit kurzärmligen Hemden.
Der Medientermin scheint ihnen zu Beginn nicht ganz zu behagen. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätten – im Gegenteil. Aber es seien so viele, die ja mithelfen würden, nicht nur sie drei. An den Spieltagen hinter der Bar und am Grill. Und auch die neue Kantine hätten die Vereinsmitglieder damals fast im Alleingang zusammengebaut. «1300 Stunden Fronarbeit», erinnert sich Walter. Beim jährlichen Putztag standen in diesem Jahr zwei Dutzend Mitglieder auf der Matte. «Danach war hier alles wieder blitzeblank.»
Dass viele Spieler der Meistermannschaft heute nicht Gamsner sind, sondern in Naters oder Brig wohnen, stört die drei Urgesteine überhaupt nicht. «Die Jungs nehmen diejenigen auf, die zum Team passen», lacht Walter. Christian, einer seiner Söhne, kickt immer noch mit. Bandagen stützen seine Knie. Richards Sohn Diego spielte früher auch. Jetzt wohnt er die meiste Zeit im Ausland, reiste in dieser Saison aber oft an den Wochenenden wieder zurück ins Wallis. Nur um die Spiele seines SV Gamsen zu sehen. Stefan, Richards Schwiegersohn, räumt hinten Ball und Gegner weg. Und wenn er zum Freistoss anläuft, möchte man nicht in der Mauer stehen. Die drei Senioren in der Buvette reden mehr über die Kameradschaft und den Zusammenhalt im Verein als über den sportlichen Erfolg. Stille Geniesser voller Stolz.
Walter und Robert kümmern sich um den Platz. In den Wochen vor den Heimspielen wird der Rasen hier zweimal gemäht. Es ist der beste der Liga, Trainer Nanzer nennt ihn ehrfürchtig «Wembley». Von Ausserberg bis Zermatt würde das kein BDM-Spieler bestreiten. «Wenn jemand hier nicht gut spielt, liegt es sicher nicht am Rasen», schmunzelt Robert. Die Runde ist stolz, dass ihre Arbeit von den Spielern geschätzt wird. Und dass sie so ihren Teil zum Erfolg beitragen.
Im Gespräch mit den Ur-Gamsnern wird aber auch deutlich, dass es bei diesem ersten BDM-Titel der Vereinsgeschichte um weit mehr geht als «nur» um Fussball. Eigentlich wollen sie nicht darüber sprechen. Aber man kann es hören, ganz sanft zwischen ihren klaren Sätzen. Und man kann es sehen in ihren Augen, die aufleuchten, wenn sie erzählen, wie es früher war und heute ist.
Im toten Winkel der Behörden
Gamsen musste in den letzten Jahren nicht nur sportlich so einiges ertragen, Auf- und Abstiege. Auch lokalpolitisch fühlt man sich westlich des Gliserstutzes oft im Abseits. Hier wird der Kehricht entsorgt und das Abwasser gereinigt. Der Kanton und die Stadtgemeinde Brig-Glis wollten zudem ein Asylzentrum in Gamsen einrichten. Die Gamsner mussten bis vor Gericht, um recht zu bekommen. Jetzt sei aber gut, dachte man damals.
Dann kam die Briger Stadtgemeinde mit ihrer Zonenkarte und präsentierte ihren Vorschlag, wie sie das Raumplanungsgesetz umzusetzen gedenkt: Grosse Flächen unmittelbar neben dem Dorfkern sollen ausgezont oder mit einem vorläufigen Bauverbot belegt werden. Hier wird Eigentum vernichtet. In Gamsen hadert man. Ein Blick auf die Karte reicht nämlich: Kein anderes Quartier auf dem Grund der Stadtgemeinde ist so krass von den Baulandauszonungen betroffen. Die Stadtplaner rechnen offensichtlich nicht mehr damit, dass sich die Ortschaft weiterentwickeln wird. Gamsen im toten Winkel der Behörden, einmal mehr.
Das bekannteste Mitglied des Vereins heisst derweil Viola Amherd, die heutige Bundesrätin. Aber falsche Hoffnungen macht man sich in der Kantine hinter der ARA keine. «Sie ist jetzt auf einem ganz anderen Level», sagt Robert. Er meint das weder ironisch noch despektierlich. Sondern so, wie es eben ist. Darum ist man hier auch so stolz, Meister zu sein. Man hat es ganz allein geschafft, auf dem Platz.
Genau deshalb spielt auch Adrian Huber hier. Der Gamsner «Capitano» war zuvor beim FC Naters, zweite und dritte Liga. «Hier ist es viel familiärer», sagt er, «in Gamsen habe ich die Freude am Fussball wieder entdeckt.» Und er geht mit gutem Beispiel voran. «Hubi», wie ihn hier alle rufen, war fast bei jedem Training dabei. «Für mich eine Selbstverständlichkeit.»
Nach dem letzten Spiel gegen Gspon verteilt der Briger Stadtrat Patrick Amoos Sieger-Zigarren. Dem CSPler werden Ambitionen auf das Stadtpräsidium nachgesagt. «Der Verein hat ein sehr gutes Einvernehmen mit dem Stadtrat», sagt Walter Zeiter. Das Gesuch damals für die neue Kantine wurde rasch behandelt. Den grossen Teil der Kosten übernahm die Gemeinde. Dafür ist man in Gamsen dankbar. Auch kleinere Unterhaltskosten rund um den Sportplatz übernimmt heute noch die Gemeinde.
Beim grossen FC Brig-Glis werden die Plätze indes von Gemeindeangestellten gepflegt. Beim SV Gamsen machen das die Brüder Zeiter und Robert Zentriegen. Und alle anderen Freiwilligen. Auch in der nächsten Saison. Egal, ob es mit der Titelverteidigung klappt.
David Biner
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