Gesellschaft | Eine Oberwalliser Swingerin erzählt, was in der Szene abgeht
«Hier gibt es nicht weniger Swinger als anderswo»

Verborgene Welt. Auch im Oberwallis existiert eine Swingerszene.
Foto: Illustration Gabriel Giger
Im Oberwallis gibt es keine öffentlichen Swingerclubs. Das heisst aber nicht, dass es keine Swingerszene gibt. Ein Gespräch mit einer Swingerin über Abgründe und Alltag in einer verborgenen Welt.
Petra M. ist eine gepflegte Erscheinung. Wenn sie am Kiosk Zigaretten kauft, wird sie schon länger nicht mehr nach ihrem Ausweis gefragt. An der Kinokasse bietet ihr aber auch noch keiner eine AHV-Ermässigung an. Sie steht mitten im Leben.
Die Wohnung, in der sie allein lebt, ist blitzblank, die Einrichtung eher verspielt. Sie hat es gern gemütlich und sauber. Kleine Elfen und Zwerge auf der Kommode bilden eine unschuldige Miniaturwelt. Mit lieblichen Mienen blicken sie Besuchern entgegen. Die Bilder an den Wänden zeigen Sehnsuchtsorte. Sie serviert Kaffee und selbst gemachtes Gebäck.
Während der Woche geht sie einem Beruf mit geregelten Arbeitszeiten nach. Es ist kein Job für Hochqualifizierte, aber sie mag diese Arbeit. Sie ist stolz, die Ausbildungsmodule geschafft zu haben. Das Gehalt könnte üppiger ausfallen, aber sie kommt zurecht. Das war nicht immer so. Jung war sie, als sie geheiratet hatte. Einen Lehrabschluss hatte sie damals nicht gemacht. Wozu auch? Sie sah ihr Leben vor sich: Hausfrau und Mutter wollte sie sein. Ihre Wunschvorstellungen schienen sich zu bewahrheiten, zumindest eine Zeit lang. Der Traummann tauchte in ihrem Leben auf. Es wurde Hochzeit gefeiert. Kinder kamen – doch der Mann ging. Wenn sie zurückdenkt, erinnert sie sich an schwierige Zeiten. Finanzielle Sorgen und die Überbelastungen einer Alleinerziehenden, die im Berufsleben Fuss fassen wollte, setzten ihr zu. Sie spricht Klartext: «Ich war oft frustriert und hatte das Gefühl, im Leben die Arschkarte gezogen zu haben. Also da musste doch noch was gehen. Das konnte es ja nicht gewesen sein.»
«Es war lange her, dass ich so etwas erlebt hatte»
Petra M.
Als sie Roger kennenlernte, war sie hin und weg. Unbekümmert schien er ihr. Die Leichtigkeit, mit der er durchs Leben ging und sich nahm, was er wollte, beeindruckte sie. Dass er sich für sie interessierte, schmeichelte ihr. Kleine Aufmerksamkeiten, Komplimente – es war lange her, dass sie so etwas erlebt hatte. «Er tat mir einfach gut», sagt sie. Sie bemerkte bald, dass sie nicht die einzige Frau war, die ihn attraktiv fand. «Aufblinkende SMS auf seinem Smartphone, vergessene Lippenstifte; so was halt.» Trotzdem blieb sie. Sein Leben schien ihr abenteuerlich. Nach Jahren des angepassten, gutbürgerlichen Daseins zog sie dieser Kontrast magisch an. In ihrem Leben hatte es bisher nur ihren Mann gegeben. Annäherungen im Ehebett hinter angelehnter Schlafzimmertür; nur ja nicht die Kinder wecken! Nun tat sich vor ihr eine neue reizvolle Welt auf, und die begann ihr zu gefallen.
Grenzüberschreitungen
Sie rückt ihre Kaffeetasse mit Blümchenmotiv ein wenig zur Seite, spielt mit dem verzierten Löffel und erzählt weiter. Sie erinnert sich nicht mehr, wann genau er ihr das erste Mal vorschlug, einen Swingerclub zu besuchen. Sie weiss nur noch, wie sie sich dabei gefühlt hat. «Mir war schlecht. In der Garderobe drohte sich mein Magen umzudrehen und meine Beine zitterten vor Aufregung», sagt Petra M. und fährt gedankenverloren durch ihre langen Haare. Doch irgendwie ging von dieser verruchten Welt auch ein Reiz aus. «Man geht dort nicht hin, um sich auf den Rücken zu legen», sagt sie flapsig. In den Clubs fänden sich auch für die verrücktesten Fantasien Gleichgesinnte. «Irgendwie geht es immer auch um Grenzüberschreitungen», lautet ihr Versuch einer Erklärung. Manchmal sei sie am nächsten Tag aufgewacht und hätte sich fast geschämt für das, was sie am Vorabend gemacht habe. Aber dann sei sie auch wieder stolz gewesen, dass sie nicht so ein 0815-Leben führe. Aufregend fand sie es allemal.
«Die Paare, die Swingerclubs besuchen, sehen völlig normal aus», sagt sie. Wenn sie in der Garderobe einträfen, könnte man auch denken, sie seien Mitglieder eines Turn- oder Gesangsvereins. Nur wenige der Clubbesucher würden auf der Strasse auffallen. Gründe, um einen Swingerclub zu besuchen, gebe es viele. «Häufig wollen Paare, die in einer langjährigen Beziehung leben, die Flaute im Bett bekämpfen. Sie möchten wieder gemeinsam etwas Aufregendes erleben», nennt Petra M. Motive, um die besagten Orte zu besuchen. «Das ist doch ehrlicher, als wenn sich einer der Partner auswärts einen neuen Kick sucht.»
Bei vielen Paaren seien es eher die Männer, die einen Swingerclub besuchen wollen. Die Frauen kämen oft einfach mit. Manchmal aus Angst, den Partner zu enttäuschen, oder noch schlimmer, ihn zu verlieren. Es gebe aber auch das Umgekehrte. «Paare, bei denen wirklich beide das Swingen gleichermassen bereichernd empfinden, sind eher wie ein Sechser im Lotto», sagt sie und lacht.
Im Oberwallis gebe es keinen Swingerclub. «Das heisst aber nicht, dass es hier keine Swingerszene gibt», betont sie. Regelmässig treffe sie Oberwalliser in Swingerclubs in der Deutschschweiz an. Die meisten hätten zudem ein Profil auf einer einschlägigen Internetseite. Hier organisieren Gleichgesinnte ihre Privatpartys. «Die finden dann meistens bei gut situierten Paaren in Einfamilienhäusern statt. Die Geräuschkulisse einer Swingerparty passt nicht unbedingt zu einer Viereinhalbzimmerwohnung in einem Block», sagt sie augenzwinkernd. Sie sei schon an vielen verschiedenen Orten im Oberwallis zu Gast gewesen, sowohl im Talgrund wie auch in Berggemeinden. «Der Ehrenkodex verlangt, dass man bei anderweitigem Aufeinandertreffen nicht verrät, woher man sich kennt», erklärt sie die Regeln.
«Im Oberwallis gibt es bestimmt nicht weniger Swinger als anderswo. Der Umgang damit ist einfach verschämter», ist sie überzeugt. «Hier gibt ja auch niemand zu, dass er Pornos schaut. Diese verklemmte Doppelmoral mag ich nicht», ereifert sie sich. Mit Swingerbesuchen verhalte es sich genau gleich. «Viele gehen hin, jedoch kaum einer spricht darüber.»
Eifersucht, ein heikles Thema
Ein heikles Thema in Swingerclubs sei die Eifersucht. Manche hätten Mühe damit zu sehen, mit welchem Vergnügen ihre Partner sich anderen hingäben. Manche Männer würden darauf bestehen auszuwählen, mit wem sich ihre Frau einlassen dürfe und mit wem nicht. Andere Männer wiederum würden besonders schöne Frauen nur herumzeigen und dann rechtsumkehrt mit ihnen verschwinden. «Die wollen nur sehen, dass ihre Freundinnen alle Männer verrückt machen», schildert sie das Verhalten einiger Teilnehmer. Fremde Haut zu spüren, ihre Fantasien auszuleben, das sei es, was sie immer wieder in dieser Szene verkehren liesse. «Irgendwann gerät man in einen Rausch und man will immer mehr davon.»
Petra M. spricht mit zunehmender Lockerheit über ihre Erfahrungen. Für sie ist das «Swingen» eine Freizeitbeschäftigung wie viele andere auch. Der Mahnfinger von Moralaposteln kümmert sie nicht. «Was erwachsene Menschen im gegenseitigen Einvernehmen miteinander tun, ist doch ihre Sache», sagt sie selbstbewusst. Inzwischen ist sie in der Szene keine Unbekannte mehr und sie ist gelassener geworden.
Toys und Techniken
In der Anfangszeit ging sie das Ganze an wie eine sportliche Disziplin. Sie wollte gut sein. Ihre Schilderungen, wie sie sich mit Toys und Techniken vertraut machte, erinnern an das gründliche Studieren einer Gebrauchsanleitung für Haushaltsgeräte. Laut lachend erzählt sie auch über Kurioses, Pannen und Peinlichkeiten. «Manchmal sitze ich eine Weile nur da und betrachte die Frauen und Männer, wie sie Gott oder der Schönheitschirurg geschaffen hat. Neben dem einfallslosen Einheitsbrei der Alltagsbekleidung finde ich nackte Körper mit all ihren Eigenheiten und Ausprägungen faszinierend», sagt sie.
«Dort habe ich als Frau die Macht»Petra M.
Petra M.s Blick hält stand. Ihre Stimme trägt. Und so spricht sie irgendwann vom Gefühl, das sie antreibt: «Dort habe ich als Frau die Macht. Die Männer sind mir ausgeliefert. Ich habe schon so manchen Direktor betteln gehört.» Begehrenswert zu sein, ist ihr wichtig. Dafür macht sie einiges: Haare färben, tätowierte Augenbrauen, gebräunte Haut, lackierte Nägel und eine epilierte Bikinizone sind das Mindeste. Wenn es denn die Finanzen erlaubten, liesse sie sich gerne die Brüste machen. Ein wenig Fett absaugen, fände sie auch nicht schlecht. «In meinem Alter kriegt man das vom Sport allein einfach nicht mehr weg.» Über Ängste spricht sie spärlich: «Ich fürchte mich davor, dass mir jüngere Frauen, die noch verrücktere Spielchen mitmachen, den Rang ablaufen.»
Schmerzmittel und leistungssteigernde Substanzen
Grenzen zieht sie im Swingermilieu dennoch. «Alles will und kann ich nicht mitmachen. Es gibt Frauen, die schlucken vor dem Besuch jede Menge Schmerzmittel. Da hört bei mir der Spass auf.» Bei den Männern in der Szene sind eher leistungssteigernde Mittel verbreitet. Von Viagra bis Kokain schmeissen manche der Swinger so einiges rein. Aber über diese dunklen Seiten mag sie nicht lange sprechen. Viel lieber redet sie über die positiven Kontakte in der Szene, über interessante Gespräche, über Männer, die zuhören und die sie respektvoll behandeln, über Paare, die sich hier kennengelernt haben.
Roger verschwand irgendwann wieder aus ihrem Leben. Die Clubbesuche blieben. «Da haben sich inzwischen Freundschaften entwickelt. Man kennt sich und freut sich, einander wiederzusehen. Ich muss jetzt nicht mehr Rücksicht nehmen, was mein Partner für Vorstellungen hat. Ich lebe aus, was ich möchte.» Zudem sei es schwierig, im mittleren Alter noch einen vernünftigen Mann zu finden. «Die guten Männer sind vergeben und die auf dem freien Markt haben alle irgendeine Macke», sagt sie mit einem Anflug von Bitterkeit. So aber hätte sie zumindest von Zeit zu Zeit Spass.
Nur manchmal am Sonntag, wenn sie wieder allein ist, wenn sie nicht mehr die Macht über das Begehren anderer hat und die Swingenden mit ihren Partnern oder Kindern auf dem Sonntagsspaziergang sind, dann beschleicht sie die Leere. «Aber Leere empfinden ja auch Frauen, die in einer öden Beziehung gefangen sind», tröstet sie sich.
Die Namen im Text wurden zum Schutz der Personen verändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.
Nathalie Benelli
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