Grossraubtiere | Gemeindepräsident und Viehhalter Gerhard Kiechler übt Kritik an der kantonalen Herdenschutzberatung
«Taucht ein Wolf auf, muss sofort per SMS-Dienst informiert werden»

Trügerische Idylle. Gerhard Kiechler inmitten seiner Mutterkuhherde, in der vor zwei Tagen ein Wolf in der Nacht für Unruhe sorgte.
Foto: WB/Andrea Soltermann
In den zurückliegenden Wochen haben ein oder mehrere Wölfe im Goms sieben Schafe gerissen. Überraschenderweise fanden die Angriffe auf Nutztiere nicht auf den Sömmerungsalpen, sondern im Talgrund in der Nähe von Siedlungen statt.
Sascha Wellig, Wildtierbiologe beim Kanton und zuständig für das Wolfsmonitoring im Oberwallis, bestätigt die Rissserie. «Im Goms wurden insgesamt sieben Schafe gerissen, zwei Tiere werden noch vermisst», erklärt er auf Anfrage des «Walliser Boten». Diese Risse fanden in den letzten drei Wochen statt und erstrecken sich von der Gemeinde Fieschertal bis in die Gemeinde Obergoms.
«Angriffe meist in ungeschützten Situationen»
Auffallend dabei ist, dass die Wolfsangriffe nicht auf einer der vielen Sömmerungsalpen der Region stattfanden, sondern in der Talebene, wo die Schafe laut Wellig «meist in nicht geschützten Situationen angegriffen wurden. Überall, wo Wölfe vorhanden sind, wird solches Verhalten festgestellt.»
Im Weiteren soll ein Wolf vor zwei Tagen nachts eine Gruppe von Kühen mit Kälbern aufgeschreckt haben, ohne dabei ein Tier verletzt zu haben. Wellig kann dies so nicht bestätigen: «Dem zuständigen Wildhüter wurde mitgeteilt, dass eine Kuhherde während der Nacht unruhig war. Ob diese Unruhe durch die Präsenz eines Wolfs verursacht wurde, konnten wir jedoch nicht überprüfen.»
Mehrere Wölfe?
Ob sich im Goms derzeit einer oder mehrere Wölfe aufhalten, bleibt vorerst offen. «Sichtbeobachtungen zufolge wurden im Goms nur Einzelwölfe beobachtet. Es ist jedoch nicht klar, ob es sich um jeweils dasselbe Individuum handelt. Möglicherweise werden die genetischen Resultate der Speichelproben, welche von den gerissenen Schafen entnommen wurden, aufzeigen können, ob es sich um einen oder mehrere Wölfe handelt», führt Wellig weiter aus.
Einer der betroffenen Nutztierhalter ist Schafbauer Andreas Kämpfen, dessen Stall unweit des Dorfes Geschinen liegt. Während er seine 300-köpfige Schafherde auf der Alp Moosmatte von einem Hirten mit Hund beaufsichtigen lässt, hält er eine Gruppe von neun Tieren in einer Flexinetumzäunung im Tal. «Als ich morgens beim Stall ankam, waren alle Schafe verschwunden, der elektrifizierte Hag war niedergetrampelt. Erst nachmittags habe ich vier von ihnen oberhalb von Geschinen entdeckt. Anderntags wurde ich von Drittpersonen informiert, dass sich ein weiteres Schaf im Wald oberhalb der Dorfschaft befinde. Dort fand ich dann auch ein totes Schaf.» Ein weiteres seiner Tiere fand er erst am dritten Tag, während zwei weitere noch vermisst werden.
Tagelanges Suchen nach verschreckten Schafen
Kämpfen ärgert sich darüber, dass er einige Tage damit verbringen musste, die weit verstreuten Nutztiere zu suchen. «Als Vollerwerbslandwirt hätte ich andere Arbeit zu tun als Schafe, die vom Wolf in alle Himmelsrichtungen gejagt wurden, zu suchen.» Dabei ist er natürlich im Zugzwang, entschädigt werden ihm nur gerissene Tiere, die er der Wildhut vorweisen kann. Bei vermissten Tieren bleibt er auf dem angerichteten Schaden sitzen.
«Auch Pilzsammler und Wanderer möchten Informationen zu einem Wolf in der Region»
Gerhard Kiechler
In einem weiteren Fall, der erst wenige Tage zurückliegt, machte sich ein Wolf nachts auf einer Weide mit Kühen und Kälbern zu schaffen. Davon ist Besitzer Gerhard Kiechler, der gleichzeitig auch Präsident der Gemeinde Goms ist, überzeugt. «Ich wohne in unmittelbarer Nähe zu der Weide, wo ich derzeit meine 17-köpfige Mutterkuhherde halte. Wir sind nachts vom ungewohnt lauten Gebrüll einer Kuh aus dem Schlaf gerissen worden. Ihrem Mutterinstinkt folgend hat sie vermutlich einen Wolf vertrieben, der sich den Kälbern näherte.» Nach den Tumulten dieser Nacht musste ein Kalb, das sich am Fuss verletzt hatte, anderentags tierärztlich versorgt werden.
Warndienst wie beim Wetter
In diesem Zusammenhang übt Kiechler Kritik an der Informationspolitik der staatlichen Stellen. «Erst gestern, also drei Wochen nach dem ersten von sieben Wolfsrissen im Goms, hat die kantonale Herdenschutzberatung den Alpverantwortlichen im Goms in einer Mail dazu geraten, Heimweiden und Alpen nach den Empfehlungen der Agridea zu schützen.» Auch er selbst sei erst am Tag nach dem Besuch des Wolfes bei seinen Kühen auf Anfrage hin vom Wildhüter der Region darüber in Kenntnis gesetzt worden. In der Zwischenzeit ist die Gemeinde Goms selbst aktiv geworden und hat alle Bewirtschafter in ihrer Gemeinde über die Wolfspräsenz informiert.
Kiechler regt an, dass der Kanton nach dem Beispiel von Warndiensten zu Lawinen, zu Hitzewellen oder Unwettern auch einen SMS-Dienst zur Präsenz von Grossraubtieren einrichtet. «Jedermann und jedefrau könnte sich dort anmelden und auch wieder abmelden. Ich gehe davon aus, dass sich nicht nur Nutztierhalter für die Präsenz von Wölfen in einer Region interessieren, sondern auch breite Kreise in der Bevölkerung.» Und schiebt gleich ein Beispiel hinterher: «In der Region Goms sind zurzeit viele Pilzsammler unterwegs. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch sie wissen möchten, ob sie sich in Gebieten aufhalten, wo es zu einer Zufallsbegegnung mit einem Wolf kommen könnte.» Dasselbe gelte auch für Wanderer oder Hündeler.
Norbert Zengaffinen
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