Naters/Oberwallis | Frontalinterview zur Selbstbestimmungsinitiative

«Die Initiative ist notwendig, weil die direkte Demokratie in Gefahr ist»

Am 25. November wird über die Selbstbestimmungsinitiative abgestimmt.
1/3

Am 25. November wird über die Selbstbestimmungsinitiative abgestimmt.
Foto: RZ

Nationalrat Franz Ruppen befürwortet die Initiative.
2/3

Nationalrat Franz Ruppen befürwortet die Initiative.
Foto: RZ

Felix Ruppen ist gegen die Initiative.
3/3

Felix Ruppen ist gegen die Initiative.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Am 25. November wird über die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative, abgestimmt. Franz Ruppen von den Befürwortern diskutiert mit Felix Ruppen von den Initiativgegnern, was ein «Ja» für die Schweiz bedeuten würde.

Franz Ruppen, weshalb soll die Selbstbestimmungsinitiative angenommen werden?

Die Initiative ist notwendig, weil das Erfolgsmodell Schweiz mit seiner direkten Demokratie in Gefahr ist. Ich verweise auf ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2012. Eine Kammer des Bundesgerichts beschloss mit einem 3:2-Entscheid der Richter, dass bei einem Konflikt Landesrecht versus internationales Recht das internationale Recht der Bundesverfassung generell vorgeht. Mit diesem Entscheid von 2012, entgegen der bisherigen Praxis wohlgemerkt, machte das Bundesgericht eine politische Abwägung. Das Bundesgericht hat sich selber zum Gesetzgeber gemacht und damit Parlament und Volk entmachtet. Das muss dringend korrigiert werden! Es geht um die Grundsatzfrage, ob wir unsere direkte Demokratie und damit unser Stimmrecht behalten wollen, oder ob das Ausland über uns entscheidet.

Wie sah denn die Regelung vor 2012 aus?

Der Bundesrat hat noch 2010 bestätigt: In der Schweiz gilt der Vorrang der Bundesverfassung vor dem nicht zwingenden Völkerrecht (zu den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts zählen etwa das Folter- und das Sklavereiverbot; Anm. d Redaktion). So schrieb der Bundesrat 2010 in seinem Bericht zum Verhältnis von Völkerrecht zu Landesrecht, dass Verfassungsbestimmungen (also beispielsweise nach einer angenommenen Volksabstimmung), die in Konflikt zu internationalem Recht stehen, dennoch umzusetzen sind. Der Bundesverfassung gebührt also gegenüber völkerrechtlichen Verträgen der Vorrang. Dies ist übrigens überall so. In keinem Staat der Welt wird dem Völkerrecht uneingeschränkt der Vorrang gegenüber dem Landesrecht eingeräumt.

Felix Ruppen, die SVP steht als Befürworterin ziemlich alleine da. Alle anderen grossen Parteien, sprich FDP, SP und CVP, haben sich gegen die Initiative ausgesprochen. Wieso?

Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Dieses Erfolgsmodell wird durch die Selbstbestimmungsinitiative gefährdet. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz ihre zahlreichen internationalen Verträge bei einem «Widerspruch» zur Verfassung neu verhandeln und nötigenfalls kündigen muss. Damit setzt die Initiative zahlreiche gute Verträge aufs Spiel. Sie gefährdet so den Ruf der Schweiz als verlässlicher Partner. Diese Unsicherheit würde sich auch negativ auf den Wirtschaftsstandort Schweiz auswirken. Die Initiative ist unklar formuliert und schafft damit statt Selbstbestimmung Rechtsunsicherheit.

Was versteht man denn genau unter dem Völkerrecht?

Felix Ruppen: Wollen Staaten miteinander arbeiten, so schliessen sie einen Vertrag ab. Unter Völkerrecht versteht man das Recht, welches zwischen mindestens zwei Staaten vereinbart wurde. Die Schweiz hat eine ganze Reihe von internationalen Verträgen abgeschlossen, um ihre Interessen zu sichern. Aktuell sind es laut Bundesrat ungefähr 4000 bilaterale Verträge und rund 1000 multilaterale Verträge.

Franz Ruppen: Der Begriff Völkerrecht kann verwirrend sein: Man darf nicht Völkerrecht mit den Volksrechten verwechseln. Denn Völkerrecht – also internationales Recht – bestimmen ein paar Funktionäre, Experten und Professoren, aber niemals die Völker! Unsere Bundesverfassung ist demokratisch legitimiert. Das internationale Recht hat ein grosses Demokratiedefizit. Und um noch auf die Bemerkung von Felix zurückzukommen, dass die Annahme der Initiative zahlreiche internationale Verträge gefährden würde. Economiesuisse behauptet sogar, 600 Verträge seien in Gefahr. Das ist völlig falsch! Fakt ist, Stand heute gibt es wohl nur einen einzigen Vertrag, der bei einer Annahme der Initiative verändert werden müsste: die Personenfreizügigkeit. Alle anderen Verträge wurden ja vom Bundesrat und von der Verwaltung auf ihre Verfassungskonformität überprüft und könnten weiterlaufen.

Felix Ruppen hat es erwähnt, der Schweiz ist es mit dem Status quo bisher sehr gut ergangen. Glauben Sie wirklich, dass in der Schweiz die direkte Demokratie den Bach runtergeht?

Franz Ruppen: Ich gebe Felix recht, wenn er sagt, wir sind mit dem Status quo gut gefahren. Es kommt jetzt darauf an, wie der Status quo definiert wird. Für mich gilt er bis 2012. Die direkte Demokratie ist ein Garant für Freiheit, für Sicherheit und für wirtschaftliche Prosperität. Ich finde, ein Volk von fünf Millionen Stimmbürgern trifft die besseren Entscheidungen als ein paar wenige Politiker oder Experten. Aber es ist richtig, ich stelle in den letzten Jahren eine schleichende Entmachtung des Volkes fest und sorge mich um die direkte Demokratie. Besonders auch für die grossen Wirtschaftsverbände wäre es bequemer, wenn sie das Volk nicht fragen müssten. Das Stimmvolk hat in der Vergangenheit einige Entscheide gefällt, die der Grossindustrie nicht gepasst haben.

«Die Initiative ist unklar formuliert und schafft statt Selbstbestimmung Rechtsunsicherheit» Felix Ruppen

Felix Ruppen, teilen Sie die Bedenken von Franz Ruppen, muss etwas geändert werden?

Nein. Der Schweiz geht es auch im Jahr 2018 hervorragend, ich habe da keinen Unterschied seit 2012 feststellen können. Unsere Wirtschaft floriert immer noch. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit den bestehenden Gesetzen gut weiterarbeiten können. Der bilaterale Weg ist eine Erfolgsgeschichte. Dies soll nicht durch eine derartige Initiative gefährdet werden, die die Schweiz zu einem unberechenbaren Partner machen und sie möglicherweise international isolieren würde.

Würde die Schweiz bei Annahme der Initiative auf der internationalen Bühne also zu einem unberechenbaren Partner werden?

Franz Ruppen: Unberechenbar ist, wenn Volksentscheide nicht umgesetzt werden. Aber genau das ist zentral für eine funktionierende direkte Demokratie: Entscheidungen des Volkes müssen respektiert und umgesetzt werden. Wie gesagt: Wir wollen nur zurück zum Zustand vor 2012. Niemand behauptet ernsthaft, dass unser Land damals isoliert oder gar ein Unrechtsstaat war.

Ein weiterer Aspekt ist die Auswirkung der Initiative auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

Felix Ruppen: Mit der Initiative droht eine Schwächung des internationalen Menschenrechtsschutzes, namentlich der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Eine Annahme der Initiative könnte dazu führen, dass die Schweiz Bestimmungen der EMRK andauernd und systematisch nicht mehr anwenden kann. Auf lange Sicht wäre sogar ein Ausschluss der Schweiz aus dem Europarat möglich, was einer Kündigung der EMRK gleichkäme – ein denkbar schlechtes Signal an unsere eigene Bevölkerung, aber auch gegenüber allen anderen Staaten. Die Möglichkeit, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als obersten Hüter der EMRK zu gelangen, wo wohlgemerkt auch ein Schweizer Richter sitzt, bietet Schutz vor staatlicher Willkür. Natürlich kann über den einen oder anderen Entscheid diskutiert werden. Wenn wir uns die vergangenen Jahre aber einmal anschauen: Nur in 1,6 Prozent aller Fälle hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Beschwerde gegen die Schweiz gut­geheissen.

Was sagen Sie dazu, Franz Ruppen, würden die Menschenrechte in der Schweiz künftig weniger geachtet werden, wenn die Initiative angenommen wird?

Die Mitsprache der Bürger ist auch ein Menschenrecht. Wenn Volksentscheide missachtet werden, so ist dies meiner Meinung nach auch ein Angriff auf die Menschenrechte. Dazu muss gesagt sein, dass sämtliche Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als Grundrechte in der Schweizer Bundesverfassung enthalten sind und in der Schweiz von der Gesellschaft, den Behörden, den Gerichten und allen politischen Parteien respektiert und berücksichtigt werden. Mehr noch, viele Grundrechte in der Bundesverfassung gehen weiter als die EMRK. Lediglich einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und seine eigenwillige Praxis sorgen in einem direktdemokratischen Land wie der Schweiz gelegentlich für Kopfschütteln. Und was interessant ist: Sogar die EU ist nicht Mitglied bei der EMRK. Dies wird in einem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs der EU damit begründet, dass ein Beitritt der EU in die EMRK die Autonomie des Unionsrechts verletzen würde. Die EU hält also an ihrer Selbstbestimmung fest! Diese Haltung ist nachvollziehbar, sie muss jedoch auch für die Schweiz gelten. Nicht nur die EU darf und soll auf ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Souveränität pochen, sondern auch die Schweiz.

Felix Ruppen, was würde passieren, wenn die Selbstbestimmungsinitiative angenommen wird?

Wie viele andere kleine Länder hat auch die Schweiz um bilaterale Verträge gekämpft. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz internationale Verträge bei einem «Widerspruch» zur Verfassung neu verhandelt und nötigenfalls kündigt. Das macht die Schweiz abhängig vom Goodwill von anderen Ländern. Oder es ist eine Einladung für die andere Seite, Gegenforderungen zu stellen. Die Initiative hält Gerichte und Verwaltungsbehörden an, sich über gewisse internationale Verträge hinwegzusetzen. Das könnte als Aufforderung zum Vertragsbruch verstanden werden, widerspricht unserer Tradition und schwächt die Position der Schweiz: Hält sie ihre Vereinbarungen nicht mehr ein, darf sie das von ihren Vertragspartnern auch nicht mehr erwarten.

Franz Ruppen, was würde sich Ihrer Meinung nach bei einer Annahme der Initiative ändern?

Es wäre festgelegt, dass die Bundesverfassung die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist. Die Bundesverfassung steht – wie bis 2012 – über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Niemand dürfte mehr mit der Ausrede kommen, eine vom Volk angenommene Volksinitiative wäre nicht umsetzbar, weil sie internationales Recht verletzen würde. Es geht also darum, die bewährte Ordnung wiederherzustellen und so die direkte Demokratie und Selbstbestimmung der Schweiz zu stärken!

Frank O. Salzgeber

Artikel

Infos

Zur Person

Vorname Franz
Name Ruppen
Partei SVP
Funktion Nationalrat und Gemeindepräsident von Naters

Zur Person

Vorname Felix
Name Ruppen
Partei CVP
Funktion Vizepräsident Walliser Gewerbeverband, ehemaliger Grossratspräsident

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login

Sitemap

Impressum

MENGIS GRUPPE

Pomonastrasse 12
3930 Visp
Tel. +41 (0)27 948 30 30
Fax. +41 (0)27 948 30 31