Frontal | Blitzingen/Nepal

«Ich hörte die Leute schreien: ‹Erdbeben – ein Erdbeben›»

Chhokpa Sherpa war mittendrin, als in Nepal die Erde bebte.
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Chhokpa Sherpa war mittendrin, als in Nepal die Erde bebte.
Foto: RZ

Peter Gschwendtner und Chhokpa Sherpa.
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Peter Gschwendtner und Chhokpa Sherpa.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Er war mittendrin, als in Nepal die Erde bebte. Seine Familie verlor ihr Haus und lebt nun in einem Zelt. Trotzdem hofft Chhokpa Sherpa (30), dass eines Tages wieder alles so wird, wie es vor dem Beben war. Die RZ sprach mit ihm während eines ­Urlaubs in Blitzingen.

Chhokpa Sherpa, Sie weilen derzeit im Urlaub bei Peter Gschwendtner im Hotel Castle in Blitzingen. Woher kennen Sie sich?

Bei unserem ersten Treffen waren wir in Nepal auf einer Expedition. Das war in diesem Jahr. Ich bin dadurch natürlich sehr erfreut, dass mich Peter dann in die Schweiz eingeladen hat und geniesse die Zeit hier nun sehr.

Wie lange bleiben Sie im Wallis?

Ungefähr für zwei Monate. Doch ich werde auch noch Deutschland und Italien besuchen. In Europa sind verschiedene Länder sehr nahe beisammen, das will ich ausnützen.

Sie sind bereits seit einigen Tagen im Goms. Wie gefällt es Ihnen?

Sehr gut. Ich darf hier an einem sehr ruhigen Ort ein paar Ferientage verbringen, das schätze ich sehr. Die ganze Region ist wunderschön und der Ausblick wirklich phänomenal.

Wie schmeckt Ihnen das Essen? Es ist anders als jenes in Nepal.

Das Essen ist fein. Peter ist ein ausgezeichneter Koch, diesbezüglich kann ich mich nun wirklich nicht beschweren.

Wie nehmen Sie die Schweizer Bevölkerung wahr?

Ich mag die Schweiz und die Leute, die in diesem Land leben, sehr. Was mir zudem aufgefallen ist: Die Leute haben sich bisher durchaus hilfsbereit gezeigt. Mein erster Eindruck ist wirklich sehr positiv.

Wie in Nepal gibt es auch im Wallis viele Berge. Waren Sie schon auf einem Walliser Berg?

Nein. Doch die Berge gefallen mir sehr. Bestimmt werde ich auf einen einmal hinaufsteigen.

In Ihrer Heimat haben Sie jedoch schon mehrere Berge bestiegen, oder?

Ja. Ich unterstütze in meiner Heimat auch viele Touristen, die auf die Berge steigen wollen, indem ich sie ein Stück weit begleite. Mein höchster Gipfel war bisher 6300 Meter hoch.

Welches war der schönste Platz, den Sie bisher im Goms gesehen haben?

Ganz ehrlich: Das ist das Hotel Castle, wo ich derzeit wohnen darf. Die Aussicht von hier aus ist wunderschön. Ich geniesse dieses traumhafte Panorama und liebe diesen Platz wirklich.

«Das Haus meiner Familie in Nepal wurde total zerstört»

Wir reden mit Ihnen auch über den 25. April. Die Welt war schockiert über das Ausmass eines Erdbebens in Nepal, welches mehrere Tausend Todesopfer forderte. Wo waren Sie, als die Erde bebte?

Als das Beben begann, war ich in der Nähe eines Zeltes auf einer Expedition.

Sherpas Stimme zittert nun. Es ist offensichtlich, dass ihn das verheerende Beben vor zweieinhalb Monaten sehr beschäftigt und aufwühlt. Er wirkt sichtlich nervös.

Wie erlebten Sie die folgenden Minuten?

Viele Leute flüchteten in die Zelte, das war jedoch die falsche Wahl, denn viele Zelte waren danach zerstört. Ich jedoch war noch mit einer anderen Gruppe unterwegs; mehreren Leuten wurde schwindlig. Und viele von ihnen schrien: «Erdbeben. Ein Erd­beben.»

Inwiefern erinnern Sie sich noch an die Stunden nach dem ersten starken Beben?

Kurz ausgedrückt fanden wir dann eine beispiellose Zerstörung von allem, was wir vorher noch hatten, vor. Das waren schreckliche Bilder. Ein Licht in dieser schwierigen Zeit erhielten wir von vielen europäischen Ländern, die uns unterstützten. Dazu gehört auch die Schweiz. Nepal seinerseits hat in meinen Augen viel zu wenig Unterstützung angeboten.

«Die Zahl der Todesopfer wurde stets angepasst – ich hatte grosses Glück»

Wie konnten die Schweizer in dieser schwierigen Situation helfen?

Zuerst gilt es zu sagen, dass die Schweiz uns in dieser schwierigen Zeit sehr geholfen hat. Dank der gros­sen Solidarität konnten wir einzelne Gebäude wieder aufstellen, dafür danke ich im Namen meines Landes. Ohne das nötige Geld aus Europa – darunter vieles aus der Schweiz – wären viele Aufbauaktionen schlicht unmöglich gewesen. Ich betone jedoch, dass die Schweiz ein Land ist, welches uns in unterschiedlichen Situationen schon vor dem Beben geholfen hat.

Wann haben Sie nach dem Beben wieder Kontakt mit Ihrer Familie gefunden?

Ein Freund von mir hatte ein Telefon dabei, sodass ich mein engstes Umfeld schon kurze Zeit nach dem Beben kontaktieren konnte. Gottlob gab es trotz zahlreichen schlechten Nachrichten dann auch eine gute.Welche?
Meine Familie und meine Freunde erzählten mir, dass alles in unserem Dorf zerstört sei. Unser Haus, die Schule, das ganze Dorf eben, einfach wirklich alles. Aber es habe in unserem engsten Umfeld keine Todesopfer gegeben. Erst später, als die Zahl der ­Todesopfer immer wieder nach oben korrigiert wurde, wusste ich, dass jeder Überlebende grosses Glück im Unglück hatte.

Wie lebt Ihre Familie jetzt?

Sie lebt in Zelten, wie der Grossteil der Bevölkerung. Diese Zelte befinden sich jedoch nicht im Dorf, sondern ausserhalb des Dorfes. Es handelt sich um Riesenzelte, in denen viele Leute Unterschlupf gefunden haben.

Haben Sie derzeit mit Ihrer Familie Kontakt?

Ja. Wir haben per E-Mail regelmässig Kontakt. Ich weiss, dass es ihnen zurzeit den Umständen entsprechend gut geht.

«Irgendeinmal werde ich auch im Wallis auf einen Berg steigen»

Wird Ihr Heimatland eines Tages wieder so sein, wie es vor dem Erdbeben war?

Diese Frage ist zurzeit sehr schwierig zu beantworten. Das Erdbeben fand vor weniger als drei Monaten statt, zurzeit befindet sich in Nepal vieles wieder im Aufbau. Doch die Leute hoffen natürlich sehr, dass es eines Tages wieder so wird wie früher. Auch ich rechne fest damit, dass es in meinem Heimatland eines Tages wieder so sein wird, wie es früher war. Das wäre sehr wichtig für Land und Leute.

Und Sie werden nach Ihrem Aufenthalt in der Schweiz auch wieder in den Bergen von Nepal arbeiten.

Ja, das werde ich. Auf einer Höhe von über 2500 Metern werde ich wieder verschiedene Touristen auf ihren Touren begleiten. Nach dem Erdbeben kommen jedoch weniger Touristen in unsere Region.

Welche Touristen sind die freundlichsten?

Diejenigen aus Europa. Ich zähle sie wirklich zu den sympathischsten. Sie sind meist offen und sehr freundlich.

Die Leute in Ihrem Heimatland und der umliegenden Region sind bekannt dafür, viel und auch hart zu arbeiten. Wie lange dauert für Sie ein Arbeitstag?

Das variiert. Doch die meisten Arbeitstage dauern bei uns zwischen 10 und 12 Stunden.

Ein ganzes Jahr lang?

Ja. Ferien, wie es in Europa meist üblich ist, kennen wir gar nicht oder wann, dann nur ein paar wenige Tage. Doch immerhin haben die Leute Urlaub, welche zu uns als Touristen kommen.

Peter Gschwendtner lud Chhokpa Sherpa für zwei Monate nach Blitzingen ein.

Simon Kalbermatten

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Infos

Zur Person

Vorname Chhopka
Name Sherpa
Geburtsdatum 26. Oktober 1985
Familie verheiratet, zwei Kinder
Wohnort Tapting-Solokhumbu
Hobbies Trekking

Nachgehakt

Die Berge in Nepal sind schöner als jene im Wallis. Ja
Die Walliser Küche schmeckt ausgezeichnet. Ja
Im nächsten Leben werde ich ein Gommer. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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