Region | Zermatt

"Jeder Einsatz am Berg birgt eine gewisse Gefahr"

Anjan Truffer ist Rettungschef bei der Air Zermatt.
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Anjan Truffer ist Rettungschef bei der Air Zermatt.
Foto: RZ

Quelle: RZ 1

Er hat die Nachfolge von Bruno Jelk angetreten und ist neuer­ Rettungschef von Zermatt. Anjan Truffer (41) spricht über seinen Vorgänger, die neue Herausforderung, das Matterhorn-Jubiläum und die ­Gefahren am Berg.

Anjan Truffer, Zermatt feiert das Matterhorn und sich selbst. Was verbinden Sie mit den Feierlichkeiten zur 150-Jahr-Erstbesteigung des Matterhorns?
Die Leistung der Erstbesteiger darf beim Jubiläum nicht ausser Acht gelassen werden. Es ist bewundernswert, was sie geleistet haben. Vor allem wenn man bedenkt, mit welch bescheidenen Mitteln sie den Berg bezwungen haben.

Im Schatten der Feierlichkeiten stehen die mehr als 500 Todesopfer, die der Berg forderte. Wie gefährlich ist das Matterhorn?
Das Matterhorn ist nicht gefährlicher als jeder andere Berg. Gefährlich wird es erst, wenn Bergsteiger um jeden Preis den Berg erklimmen wollen und dabei nicht die nötige Vorsicht walten lassen. Dazu kommen mangelnde Ausrüstung und Selbstüberschätzung.

Mit anderen Worten: Es besteht ein erhöhtes Risiko am Berg?
Die grösste Gefahr am Berg sind die Alpinisten, die alleine und ohne die nötige Erfahrung das Matterhorn besteigen wollen. Vor allem durch die Hitze der vergangenen Wochen sind die Verhältnisse sehr trocken. Die Folge ist, dass am «Hore» eine grosse Steinschlaggefahr herrscht. Wenn erfahrene Berggänger unterwegs sind, ist das an sich kein Problem. Wenn aber unerfahrene Bergsteiger am Berg sind und einen Steinschlag auslösen, ist das ein grosses Risiko und kann Leben gefährden.

Wann standen Sie zum letzten Mal auf dem Matterhorn?
Ich stand erst vor wenigen Tagen auf dem Gipfel. Die Verhältnisse sind momentan top.

Sie haben schon mit 14 Jahren als Hüttenjunge das Matterhorn bezwungen und sind mittlerweile mehr als 120-mal auf dem «Hore» gestanden. Reizt Sie der Berg immer noch?
Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung, das Matterhorn in Angriff zu nehmen. Das Gästeklientel ist jedes Mal anders und das Erlebnis Matterhorn an sich ist immer einzigartig.

An Tagen mit idealem Bergwetter besteigen in der Hauptsaison bis zu 200 Alpinisten den Berg. Jetzt wurde die Zahl der Schlafplätze in der neuen Hörnlihütte von ehemals 170 auf 130 Plätze reduziert. Damit soll der Run aufs Matterhorn gebrochen werden...
Diese Massnahme hat verschiedene Gründe, wird aber sicher dazu beitragen, die Qualität der Tour aufzuwerten und das Sicherheitsrisiko zu mindern. Zudem wurde das wilde Campieren rund um die Hörnlihütte verboten. Aufgrund dieser Massnahmen erhofft man sich eine gewisse Entlastung am Berg. Und obschon wir seit mehr als drei Wochen herrliches Sommerwetter und sehr gute Bedingungen haben, hält sich der Ansturm bis jetzt in Grenzen.

Sie kamen schon früh mit dem Alpinismus in Kontakt und verbrachten die Schulferien oft bei Ihrem Onkel in der Hörnlihütte...
Ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit. Mit zehn Jahren habe ich meinen ersten Sommer in der Hörnlihütte verbracht. Ich habe früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen und mitzuhelfen. Aber ich habe auch die Freiheiten da oben in vollen Zügen genossen.

Bereits um vier Uhr früh sind Sie aufgestanden, um den Bergsteigern das Frühstück zuzubereiten...
Das gehörte mitunter zu meinen Aufgaben. Nachdem die Bergsteiger dann die Hütte verlassen hatten, bin ich wieder schlafen gegangen. Zudem konnte ich mir einen kleinen Zustupf dazuverdienen, indem ich den Bergsteigern, die vom Gipfel zurückgekehrt sind, die Seile zusammengelegt habe.

Sie waren einst jüngster Bergführer der Region und standen schon mit 20 Jahren mit Ihrem ersten Gast auf dem Matterhorn...
Das hat sich so ergeben. Meine Kollegen waren zwei, drei Jahre älter als ich und wir haben uns gegenseitig angespornt, das Bergführerbrevet zu machen.

Als Bergführer waren Sie auch viel auf Expeditionen in Patagonien, Grönland, Alaska oder im Himalaja unterwegs....
Das mache ich auch heute noch. Es ist Teil meiner Arbeit und eine gute Abwechslung. Mit meiner neuen Aufgabe als Rettungschef und wegen meiner Familie werde ich aber künftig nicht mehr so viel im Ausland unterwegs sein. Während meinem Auslandaufenthalt habe ich aber ein gutes Team, das auch während meiner Abwesenheit die Aufgaben voll erfüllt.

Seit 17 Jahren verbringen Sie die Wintermonate in Kanada. Warum?
Kanada ist meine zweite Heimat. Es ist die Freiheit, die Uneingeschränktheit, die mich an diesem Land faszinieren. Hier bei uns beginnt die Heliski-Saison meistens erst so richtig ab Ende Februar, während man in Kanada über einen längeren Zeitraum diesem Sport frönen kann.

Das Heliskiing ist in der Schweiz umstritten. Umweltschutzverbände wie Mountain Wilderness protestieren schon seit Jahren dagegen. Wie stehen Sie dazu?
Wenn sich die Umweltschutzverbände durchsetzen, verlieren wir einen grossen wirtschaftlichen Zweig. Darum ist es wichtig, dass uns das Heliskiing erhalten bleibt. Es ist nicht nur eine Touristenattraktion, sondern hat auch einen wichtigen wirtschaftspolitischen Hintergrund. Zudem sind solche Trainingsflüge für die Piloten der Helikopterunternehmen sehr wichtig. Es wäre wünschenswert, wenn die Umweltschutzverbände auch die wirtschaftlichen Sorgen und Nöte der Bergbevölkerung nicht ausser Acht lassen und unsere Anliegen wahrnehmen würden.

Seit Anfang Jahr sind Sie Rettungschef von Zermatt. Wie sind Sie dazu gekommen?
Das hat sich so ergeben. Nachdem ein Nachfolger für Bruno Jelk gesucht wurde, habe ich mich mit dem Gedanken auseinandergesetzt, seine Nachfolge anzutreten. Schliesslich habe ich den Zuschlag als Rettungschef erhalten.

Waren Sie schon vorher im Rettungswesen tätig?
Ich bin schon lange im Rettungswesen tätig. Das jetzige Rettungsteam wurde von Bruno Jelk so formiert. Er hat jeden Einzelnen angefragt, ob er Interesse habe, da mitzuwirken. Heute haben wir ein Team von Experten und gut ausgebildeten Rettungskräften.

Die Fussstapfen Ihres Vorgängers sind ziemlich gross. Haben Sie Respekt vor dieser Aufgabe?
In der Tat. Bruno ist heute weltweit eine Koryphäe und hat das Rettungswesen geprägt wie kaum ein anderer. Allein die Erfindung des «Dreibeins», das bei einer Rettung aus einer Gletscherspalte zum Einsatz kommt, ist einzigartig. Nichtsdestotrotz werde ich meinen eigenen Weg gehen und versuchen, mich als Rettungschef gemeinsam mit meinem Team zu etablieren. Bruno und ich haben ein sehr gutes Verhältnis und dadurch kann ich bei Bedarf jederzeit auf ihn zurückgreifen.

Wie erleben Sie die Arbeit am Berg als Retter?
Die Arbeit als Retter am Berg hat sich nicht verändert. Ich arbeite mit professionellen Leuten zusammen und insofern kann ich mich auf mein Team verlassen. Im letzten Halbjahr musste ich zusätzlich mehr organisatorische Aufgaben bewältigen.

Wie viele Rettungseinsätze fallen in der Regel an?
Das ist sehr unterschiedlich. Je nach Saison und Wetter sind mehr oder weniger Berggänger unterwegs. Im Sommer haben wir im Schnitt zwischen einem und fünf Einsätzen pro Tag. Allein die letzte Woche hatten wir aber 14 Einsätze zu bewältigen. Da ist das ganze Team gefordert.

Ist Ihre Arbeit mittlerweile Routine?
Nein, die Rettungsarbeit ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Jeder Einsatz muss genau geplant und besprochen werden. Nur so sind wir in der Lage, unsere Arbeit genau auszuführen. Eine gewisse Anspannung ist jedes Mal vorhanden.

Zeigen Sie nach einem Rettungseinsatz auch mal Emotionen?
Wenn wir bei einem Einsatz einen Toten bergen, dann spielt der Faktor Zeit eine untergeordnete Rolle. Aber wenn wir zu einem Einsatz gerufen werden, bei dem jede Sekunde zählt und wir der betroffenen Person rechtzeitig helfen können, dann spürt man eine grosse Genugtuung. Wenn wir im Gegenzug zu spät eintreffen, ist der Frust gross. Aber wir sind auch nur Menschen. Wir versuchen immer unser Bestes, aber können leider nicht immer rechtzeitig helfen.

Wie gehen Sie mit der Gefahr am Berg um?
Jeder Einsatz birgt eine gewisse Gefahr. Aber aufgrund unserer Erfahrung können wir viele Gefahren eliminieren. Vor allem was die äusseren Verhältnisse angeht. Und wenn es die Situation erfordert, müssen wir einen Einsatz halt verschieben.

Wird man in zehn, zwanzig Jahren auch ein Buch über Sie lesen wie über Ihren Vorgänger Bruno Jelk?
Ich glaube nicht, dass es über mich so viel zu schreiben gibt (lacht).

Walter Bellwald

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Infos

Zur Person

Vorname Anjan
Name Truffer
Geburtsdatum 7. September 1974
Familie Verheiratet, drei Kinder
Beruf Bergführer
Funktion Rettungschef Zermatt
Hobbies Klettern, Biken, Ski fahren

Nachgehackt

Das Freilichtschauspiel «The Matterhorn Story» habe ich gesehen.  Nein
Ich würde gerne nach Kanada auswandern.  Nein
Bruno Jelk ist mein Vorbild. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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Kommentare

  • Martin - 40

    Dass Bruno Jelk das Dreibein erfunden haben soll, ist Blödsinn - selbst Beat Perren, Gründer der Air Zermatt, bezeichnete in einem Interview Walter Habegger als Erfinder des Dreibeins.

    Bruno Jelk hat es nur weiterentwickelt, zusammen mit anderen - hier wäre wohl als Erstes der Bergretter und Metallbauer Toni Fux aus Visp zu nennen, der aktiv an der Weiterentwicklung beteiligt war und in dessen Unternehmen viele Dreibeine (und andere Rettungsgeräte) gefertigt wurden.

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