Frontal | Zermatt
«Viele Aggressionen richten sich gegen die Polizei»
Er ist Kommandant der Regionalpolizei Zermatt, die seit drei Jahren im Nikolaital für Ruhe und Ordnung sorgt. Jean-Pierre Allet (37) über die Einsätze während der Hochsaison und das steigende Aggressionspotenzial.
Jean-Pierre Allet, in Zermatt herrscht Hochbetrieb. Wie erleben Sie als Kommandant der Regionalpolizei diese Zeit?
Wir haben alle Hände voll zu tun. Diesen Winter hat es sehr viel Schnee gegeben. Die Folge waren tagelange Sperrungen und viele Leute wurden ausgeflogen. Hier hat die Regionalpolizei zusammen mit der Gemeinde, der Feuerwehr, der Kantonspolizei, der Air Zermatt, Zermatt Tourismus, dem Gemeindeführungsstab sowie mit den weiteren öffentlichen Leistungsträgern wertvolle Arbeit geleistet, um die Situation zu meistern. Zwischen allen Partnern hat man sich sehr gut ergänzt. Es gab denn auch wenig Reklamationen der Gäste. Nur die Medien haben die ganze Situation ein wenig aufgebauscht.
Zermatt zählt während der Hochsaison zwischen 30 000 und 35 000 Einwohner aus verschiedenen Kulturen. Wie funktioniert das Nebeneinander?
Bei so vielen Leuten ist es unumgänglich, dass es im Ausgang zu Reibereien und Unstimmigkeiten kommt. Darum müssen wir regelmässig (vor allem am Wochenende) ausrücken, um bei Schlägereien einzugreifen und Streitereien zu schlichten.
Die Nachtruhestörung ist ein Thema, welches Einheimische und Gäste gleichermassen beschäftigt. Hat man die Sache im Griff oder artet es zwischendurch aus?
Es kommt auf die jeweilige Situation an. Aber im Grossen und Ganzen haben wir die Sache unter Kontrolle. Was wir merken, ist die Tatsache, dass die Hemmschwelle gegenüber uns Polizisten immer kleiner wird. Früher hatten die Leute viel mehr Respekt vor den uniformierten Beamten. Heute richten sich viele Aggressionen auch gegen uns und wir werden beschimpft oder im Extremfall sogar angegriffen.
Wie wehren Sie sich gegen die Angreifer?
Wenn es die Situation erfordert, müssen wir auch mal handgreiflich werden. Aber im Normalfall kann man die Streithähne mit Worten beruhigen.
Dass dabei Gäste aus verschiedenen Kulturen aufeinandertreffen, macht die Sache nicht einfacher…
Es sind nicht irgendwelche Leute mit Migrationshintergrund oder andere Ausländer, welche uns das Leben schwer machen, sondern Jugendliche aus der Schweiz. Vor allem junge Leute aus der Romandie sind sehr aufmüpfig. Wir werden bespuckt, beschimpft oder sogar getreten. Natürlich spielt der Alkohol dabei eine Rolle und auch Drogen sind oft im Spiel. Aber das entschuldigt kein Vergehen.
Wie ist Ihr Credo bei solchen Einsätzen? Tendieren Sie zu null Toleranz?
Nein. Ich appelliere an meine Leute, bei ihren Einsätzen den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Wir waren auch mal jung und haben über die Stränge geschlagen. Darum muss man nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schiessen und hart eingreifen. Dadurch wird die Situation zum Teil nur noch verschlimmert. Unsere Aufgabe ist es, sich einen Überblick der Situation zu verschaffen und erst dann einzugreifen. In erster Linie sorgen wir dafür, dass eine Situation nicht eskaliert.
Konkret: Wie oft mussten Sie diesen Winter ausrücken, um Streit zu schlichten?
Das waren bis jetzt so zwischen 50 und 80 Einsätze. Aber nicht nur bei Schlägereien oder anderen Streitigkeiten sind wir vor Ort, in letzter Zeit müssen wir immer öfter bei Fällen von häuslicher Gewalt ausrücken.
Gehen solche Einsätze an die Substanz?
Ganz klar. Wenn solche Einsätze über einen längeren Zeitraum gehen, dann wird man mit der Zeit ausgelaugt. Wir sind auch nur Menschen. Aber wir tauschen uns gegenseitig immer wieder aus und können uns dadurch aufbauen.
Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit manchmal auch als Spielball der Politik. Ich denke in erster Linie bei der Nachtruhestörung…
Es ist unsere Aufgabe, auf den Strassen der diversen Gemeinden, die zu unserer Regionalpolizei gehören, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Politik unterstützt und schätzt unsere Arbeit sehr und wir bekommen den nötigen Rückhalt in allen Talgemeinden.
Während es bei Schlägereien oder anderen Zwistigkeiten um persönliche Befindlichkeiten geht, wurde im vergangenen Oktober ein Uhrengeschäft in Zermatt geplündert. Gehen Sie bei solchen Fällen der Kapo unterstützend zur Hand?
Die Zusammenarbeit mit der Kapo ist sehr gut. Im besagten Fall waren wir direkt vor Ort und haben die Kapo unterstützt. Auch die Erfolgsquote ist sehr hoch. Fast jeder Überfall in den letzten Jahren konnte aufgeklärt und die Einbrecher zur Rechenschaft gezogen werden.
Wechseln wir das Thema: Während der Hauptsaison sind die Strassen in Zermatt zum Bersten voll. Neben Fussgängern sind auch viele Elektrofahrzeuge unterwegs. Ist hier ein geregeltes Nebeneinander überhaupt möglich?
Ich denke schon. Je nach Stosszeiten sind die Strassen zwar proppenvoll, aber die Fahrer der Elektrofahrzeuge nehmen im Grossen und Ganzen Rücksicht auf die Fussgänger. Natürlich gibt es ab und an eine Ausnahme. Das ist leider nicht auszuschliessen. Aber es passieren sehr wenig Unfälle.
Über 520 Elektrofahrzeuge sind auf den Strassen unterwegs. Hat Zermatt trotz Autofreiheit ein Verkehrsproblem?
Nein, Zermatt hat kein Verkehrsproblem. Das Gewerbe wächst zwar stetig und damit steigt auch das Verkehrsaufkommen im Dorf. Aber die Fahrer sind sensibilisiert auf die Fussgänger und nehmen entsprechend Rücksicht. Die Statistiken zeigen, dass Zermatt sehr verkehrssicher ist.
Eigentlich müssen die Fahrzeuge auf 20 km/h plombiert sein. Gefühlsmässig fahren einige aber doppelt so schnell. Gibt es auch Radarkontrollen im Matterhorndorf?
Ja, es gibt Kontrollen. Und die Fahrer werden auch entsprechend gebüsst. Die Fahrzeuge sind zwar plombiert, aber je nach Gefälle der Strasse kann es durchaus vorkommen, dass ein Fahrzeug zu schnell unterwegs ist. Aber in der Regel halten sich die Fahrer an das Tempolimit.
Auch Ihre Einheit fährt ein Elektrofahrzeug, das bei den Touristen ein beliebtes Fotosujet ist. Haben Sie sich daran gewöhnt?
Vor allem junge Kollegen sind anfangs ein bisschen irritiert, wenn die Touristen sie in Uniform und vor dem Fahrzeug filmen oder fotografieren. Aber sie gewöhnen sich schnell daran. Unser Elektrofahrzeug ist in der Tat ein beliebtes Sujet. Wir bekommen auch Anfragen von Polizeizeitschriften aus aller Welt, die Daten oder Bilder unseres Elektrofahrzeugs wollen. Das ist schon sehr speziell. Neben dem Elektrofahrzeug umfasst unser Fahrzeugpark zwei Elektro-Bikes und vier weitere Einsatzfahrzeuge.
Seit drei Jahren ist die Regionalpolizei Zermatt im Einsatz, das heisst, Ihre Agenten sind für die ganze Region bis St. Niklaus und Grächen zuständig (ausser Randa). Hat sich diese Form der Zusammenarbeit bewährt?
Auf jeden Fall. Durch das gemeinsame Auftreten können wir Synergien nutzen und sind präsenter. Entsprechend gut ist das Echo der zuständigen Gemeindeverantwortlichen. Wir tauschen uns zweimal jährlich mit den jeweiligen Behörden aus.
Wie viele Patrouillen stehen täglich im Einsatz?
Zwei Patrouillen stehen regelmässig im Einsatz. Eine Patrouille leistet ihren Dienst in den Talgemeinden Täsch, Herbriggen, St. Niklaus und Grächen. In Grächen sind wir mit ähnlichen Aufgaben konfrontiert wie in Zermatt, das heisst, auch hier gibt es durch die grosse Anzahl von Touristen Nachtruhestörungen und Auseinandersetzungen.
Wie steht es um die Rekrutierung des Polizeinachwuchses? Ist es durch die Ausweitung des Einsatzgebietes einfacher oder schwieriger, neue Leute für die Polizeiarbeit zu begeistern?
Durch die Ausweitung des Einsatzgebietes haben wir ein grösseres Echo. Man merkt bei der Eingabe der Bewerbung, dass sich die jungen Leute mehr für die Polizeiarbeit interessieren. Das hat sicher auch mit der Vielfalt der Aufgaben zu tun.
Trotzdem läuft die Regionalpolizei Gefahr, dass die Aspiranten nach ihrer Ausbildung zur Kapo wechseln. Wie kann man dieser Kultur entgegenwirken?
Das hat sich seit Langem gelegt und hat unser Korps seit mehreren Jahren nicht mehr betroffen. Bei der Kantonspolizei hat man natürlich ein grösseres Wirkungsfeld und mehr Abwechslung. Auch die Möglichkeit, sich auf ein Aufgabenfeld zu spezialisieren, ist grösser. Allerdings hat auch die Regionalisierung ihren Reiz. Wir sind mit 13 Agenten das grösste Regionalkorps im Oberwallis. Dadurch haben wir die Möglichkeit, dass man sich auch auf ein Spezialgebiet fokussieren kann. Das fordern und fördern wir.
Die Wintersaison zieht sich hin. Sind Sie froh, wenn es wieder ein paar ruhigere Tage gibt?
(lacht) Natürlich sind wir nicht unglücklich darüber, wenn es wieder ein bisschen ruhiger zu- und hergeht. Aber es gehört zu unserer Aufgabe, während der Hochsaison für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Das machen wir auch gerne.
In den nächsten Jahren soll die Videoüberwachung in Zermatt ausgebaut werden. Begrüssen Sie diese Massnahme?
Ja, das erleichtert unsere Arbeit massiv. Wir haben schon heute an die zwanzig Kameras. Diese Zahl soll verdoppelt werden. Dadurch beugen wir grobem Unfug vor und verstärken die Sicherheit im Matterhorndorf.
Sie sind nicht nur Kommandant der Regionalpolizei Zermatt, sondern auch Präsident der International Police Association (IPA) Schweiz. Was hat es mit diesem Amt auf sich?
Die International Police Association Schweiz pflegt einen regen Austausch mit nationalen und internationalen Polizeikorps und fördert kulturelle Beziehungen und den beruflichen Erfahrungsaustausch. Aber auch auf interkommunaler Ebene haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit und helfen uns, wenn nötig, gegenseitig aus.
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Kommentare
Emilio Grandi-Vener, Fiesch - ↑35↓25
Wir gratulieren dem Polizeikommendanten im Nikolai- und Mattertal.
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