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Das Leid anerkennen

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Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden in der Schweiz Kinder auf Dorfplätzen versteigert, von den Eltern weggegeben und als Verdingkinder auf Bauernhöfe verteilt. In erster Linie traf es die Ärmsten unter den Armen: Kinder aus mittellosen Familien, Waisen oder uneheliche «Goofen», die von der Gesellschaft ignoriert oder geächtet wurden.
Auf den Bauernhöfen wurden viele zur Kinderarbeit gezwungen, als Dienstmädchen oder Verdingbub ausgebeutet, teilweise schwer misshandelt oder sexuell missbraucht. Viele Kinder starben aufgrund der körperlichen Anstrengungen oder Missbräuche, andere haben schwere Beeinträchtigungen davongetragen. Sie leiden bis heute unter den Peinigungen und Misshandlungen, die sie in den Jugendjahren erleben mussten.
Einer von ihnen ist Friedrich Dreier, der heute in Ernen lebt. Der bald 60-jährige Mann ist zusammen mit anderen Kindern und ­Jugendlichen in einem Heim aufgewachsen. Ohne Liebe, ohne Wärme, ohne Verständnis. Demütigungen, Schläge, Hunger und sexuelle Nötigung standen auf der Tagesordnung.
Friedrich Dreier wurde täglich eingeimpft, wie wertlos, schlecht, faul und überflüssig er in seinem Dasein war. Auch als Verdingbub ging das Elend weiter. Er musste täglich hart anpacken und Hunger leiden. Es folgte, was folgen musste: Dreier gab sich dem Alkohol hin und konsumierte Drogen. Nur mit Glück und dank seinem unerschütterlichen Willen und Glauben schaffte er es, doch noch auf die rechte Bahn zu kommen. Jetzt hat er seine schrecklichen Erlebnisse niedergeschrieben.
Dass die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen jetzt einen Solidaritätsbeitrag erhalten sollen, lindert die seelischen Schmerzen der Betroffenen zwar nicht. Es ist aber zumindest ein Zeichen von Respekt und Anstand diesen Menschen gegenüber.

Walter Bellwald

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