Politik | Wie die Umlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene vor 25 Jahren ihren Anfang nahm

Alpen-Initiative startete im Oberwallis

Hohe Genugtuung. Andreas Weissen mit dem symbolischen Teufel der Alpen-Initiative aus der Schöllenenschlucht.
1/1

Hohe Genugtuung. Andreas Weissen mit dem symbolischen Teufel der Alpen-Initiative aus der Schöllenenschlucht.
Foto: Walliser Bote

Quelle: WB /tr 24.02.19 0
Artikel teilen

WALLIS/BERN | Die natio­nale Verlagerungspolitik des Schwerverkehrs auf die Schiene gilt heute europaweit als Erfolgsmodell. Die Alpen-Initiative leistete dazu einen massgeblichen Beitrag. Im Februar 1994 wurde sie vom Stimmvolk ­angenommen.

Die politische Schweiz war perplex. Bundesrat und Parlament hatten sich vehement gegen
die Alpen-Initiative eingesetzt. Trotzdem fand sie bei 52 Prozent des Stimmvolkes eine Mehrheit. Die Alpen-Initiative erreichte als erst zehntes Volksbegehren bei Volk und Ständen Zustimmung. Andreas Weissen, langjähriger Präsident des Vereins Alpen-Initiative und Koordinator des damaligen Abstimmungskampfes, erinnert daran, dass die Idee im Oberwallis ihren Ursprung hatte.

Andreas Weissen, wie kam es zur Idee der Alpen-­Initiative?

«1987 waren grosse Unwetterschäden zu verzeichnen, im Oberwallis etwa in Münster. Im Kanton Uri war die Gotthardstrasse, deren Tunnel im September 1980 eröffnet worden war, über Wochen unbefahrbar. Der ganze Verkehr wich auf die San-Bernardino-Route aus. Im Bündnerland sorgten die langen Lastwagenkolonnen für grossen Unmut. Die OGUV (Oberwalliser Gruppe für Umwelt und Verkehr) machte sich Sorgen über die künftige Verkehrssituation im Wallis nach Beendigung des Autobahnbaus, zumal der Simplon bereits sehr gut ausgebaut war. Wir wollten den Umständen, wie sie in den Kantonen Uri, Tessin und Graubünden herrschten, vorbeugen. Wir sahen fürs Wallis die letzte Chance, sich gegen die Laster zu wehren.»

Und dann?

«Im Dezember 1987 luden wir gleich gesinnte Kreise aus den drei genannten Kantonen nach Andermatt zu einer Besprechung ein. Wir wollten eine Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene besprechen. Für uns war klar, dass dafür der Bau eines Eisenbahntunnels nicht genügt. Es mussten politisch andere Rahmenbedingungen gesetzt werden, denn die Strasse war im Vergleich zur Schiene zu billig. So entstand die Idee, eine Volksinitiative zu lancieren.»

Selbst Umweltverbände hatten dagegen Bedenken.

«Der VCS (Verkehrsclub der Schweiz) wie der WWF hielten von der Idee wenig, als wir im Dezember 1988 bei ihnen vorsprachen. Sie fanden zudem den Entwurf des Verfassungstextes schlecht. Sie sagten uns, die Zeit der Volksinitiativen sei vorbei. Man gehe besser nach Brüssel demonstrieren und baut an den Autobahnen Verkehrsblockaden auf, um auf die Umweltanliegen aufmerksam zu machen. Da wirkte noch
der Geist der zwei Jahre zuvor chancenlos gebliebenen Kleeblatt-Initiative nach.»

Sie liessen sich nicht ­entmutigen?

«Ich versprach, eine Unterschriftensammlung zu starten, sofern wir dafür 50 000 Franken zusammenbekommen würden. An der GV der OGUV im Januar 1989 kamen von den anwesenden Mitgliedern spontan 37 000 Franken zusammen, aus dem Unterwallis spendete eine Einzelperson 5000 Franken. Innert zwei Monaten waren wir auf 47 000 Franken. Das war für uns der Startschuss, in Naters ein Umweltsekretariat zu eröffnen, bei dem neben der OGUV auch Pro Natura, WWF und VCS mitmachten. Ich erhielt eine Anstellung zu 25 Prozent und konnte zwei weitere Personen für die administrativen und telefonischen Arbeiten anstellen. Der Stundenlohn lag einheitlich bei 17 Franken.»

Die Sammlung wurde zum Erfolg.

«Im Mai 1989 wurde die Aktion in der Schöllenenschlucht wirkungsvoll lanciert. Wir wollten mit starken Bildern kommunizieren. Also hiess es, der Teufel bringe den Alpenübergängen in Form von Lastwagen das Laster zurück. Das vom Briger Josef Loretan geschaffene Logo ‹iniziativa da las alps› nutzte für eine nationale politische Aktion erstmals die rätoromanische Sprache. Unser Anliegen wurde gehört. Innert einem Jahr hatten wir 117 000 Unterschriften beisammen. Im Mai 1990 brachten wir sie mit einer Maultier-Karawane von Brig nach Bern.»

Wo man euch nicht weiter ernst nahm…

«Die dachten, da seien ein paar schräge Umweltschützer aus den Alpentälern unterwegs, die man nicht weiter beachten müsse.»

Was machte Sie stark?

«Parteien, Parlament und Bundesrat erkannten nicht oder zu spät, dass wir einen sehr starken Namen gewählt hatten. Wir machten die Alpen zum Thema, entfachten Warnfeuer in den Alpen, organisierten Wanderungen. Es ging um weit mehr als den üblichen drei­monatigen Abstimmungskampf. Zudem war der Umwelt-Gedanke im Initiativtext verfassungswürdig formuliert worden. Wir schrieben verbindliche Grundsätze fest mit der Hebelwirkung einer zehnjährigen Umsetzungsfrist.»

Der Abstimmungskampf verlief hoch emotional.

«In der Tat. Wir hatten uns viel überlegt, arbeiteten mit starken Bildern. Zudem stellten wir dem damaligen Verkehrsminister Adolf Ogi beispielsweise in der ‹Arena› Gegner gegenüber, die er nicht kannte. Das hat in irritiert. Ogi war immer am stärksten, wenn er auf die Leute direkt eingehen konnte. Wir wollten aber nicht den üblichen Schlagabtausch zwischen Bürgerlichen und Linken. Neben Helmut Hubacher, dem damaligen SP-Präsidenten, tauchten so in der zweiten Reihe ein Bündner Bio-Bauer namens Andrea Hämmerle auf, der Urner Landammann Hansruedi Stadler oder auch Esther Waeber-Kalbermatten. Die damalige linke Prominenz hielt sich weitgehend zurück – teils sogar auf unsere klare Anweisung.»

Was war Ihre konkrete Aufgabe als Präsident des Vereins Alpen-Initiative?

«Ich habe den Abstimmungskampf koordiniert. Mit Kam­pagnenleiter Erwin R. Müller konnte ich einen Mann engagieren, der damals genau der richtige war. Er hatte Erfahrung, verfügte über wert-
­volles Adressenmaterial und schaltete bedenkenlos Insera-
te und Plakate. Das war für
den Erfolg letztlich wohl ­entscheidend.»

Wie hoch war das Budget für die Abstimmung?

«Das ist nicht einfach zu sagen, weil auch in den Regionen teils unabhängig Geld gesammelt und investiert wurde. Meine Vorgabe war ein maximales Defizit von 300 000 Franken. Mehr würden wir nicht verkraften können, insbesondere nicht
bei einer Niederlage. Am Ende wurden wohl zwei bis drei Millionen Franken ausgegeben, das Defizit überschritt eine ­Million.»

Wie konnten Sie das ­stemmen?

«Wir erhielten Rechnungen mit sechsstelligen Beträgen. Ich sagte der APG (Allgemeine Plakatgesellschaft) und der ­Publicitas (Printwerbung), sie könnten uns gleich in den Konkurs treiben. Denn unser einziges Vermögen als Verein waren ein Computer und Büromobiliar aus der Brockenstube für 500 Franken. Würde man uns jedoch Zeit geben, bezahlten wir die offenen Posten. Mit einem Spendenaufruf kam das benötigte Geld zusammen. Innert Jahresfrist zahlten wir die Million.»

Woher kam dieses Geld?

«Ausser 50 000 Franken von der Pro Natura erhielten wir keine grossen Beträge. Viele Menschen, die unser Vorgehen als richtig und wichtig erachteten, haben uns aber mit ihren Beiträgen ihre Solidarität gezeigt.»

Sie scheuten sich im Abstimmungskampf auch nicht davor, selbst Bundesrat Adolf Ogi an den Karren zu fahren…

«Ganz so schlimm war es nicht. Reto Gamma und ich hatten mit ihm Meinungsverschiedenheiten wegen der NEAT. Ogi wollte das Volk mal im Grundsatz darüber befinden lassen. Auch die Finanzierung sei später zu klären. Wir Alpenschützer wollten im Voraus Instrumente definieren, welche die Güter später auf die Strasse zwingen. Da gab es schon ‹Chritz›.»

Sie haben Ogi seither trotzdem mehrmals ­gelobt.

«Er hatte als Bundesrat die ­Meinung der Regierung zu ver­treten. Ganze drei bürgerliche Parlamentarier waren auf unserer Seite. Da konnte er nicht gut anders. Danach engagierte er sich sehr stark für die Verlagerung des Schwer­verkehrs auf die Schiene. Ogi machte als einziger Bundesrat europäisch Verkehrspolitik. Er hat im Ausland intensiv um das Verständnis der Schweizer Position geworben.»

Zeigten seine Nachfolger Moritz Leuenberger und Doris Leuthard weniger Engagement?

«Zum Glück hatten wir Ogi. Ohne ihn hätten wir am Lötschberg auch keinen Basistunnel. Im Vergleich dazu wirkte Moritz Leuenberger lustlos, und Doris Leuthard hat die ­Verlagerungspolitik teils gar demontiert. Ich hoffe sehr,
dass Simonetta Sommaruga hier wieder andere Schwerpunkte setzt.»

Wurden Sie als eines der Gesichter der Alpen-Initiative eigentlich mal beschimpft oder gar ­bedroht?

«Nein. Nie. Ich machte ja ­vornehmlich auch die Hintergrundarbeit. Aber ganz naiv waren wir schon nicht. Die Unterschriftenbögen etwa hatten wir nie in unserem Umweltsekretariat in Naters ­gelagert.»

Zum 25-jährigen Bestehen der Alpen-Initiative zeigten sich die Verantwortlichen zumindest zum Teil zufrieden. Das Ziel, nur noch 650 000 Lastwagen jährlich die Alpen queren zu lassen, ist aber nach wie vor in weiter Ferne.

«Die 650 000 Lastwagen sind eine Grösse, die das Parlament festgesetzt hat. Es orientierte sich 1994 an der damaligen Zahl im Wissen, dass sie sprunghaft ansteigen wird. Für die Umsetzung der Initiative bis 2004 war es also recht ehrgeizig. Die Fahrten stiegen denn in der Folge auch bis auf 1,3 Millionen jährlich an. Inzwischen sind wir bei einer ­Million, Tendenz sinkend. Das wurde nur dank der Alpen-Initiative möglich. Sie hat auch die heutige Top-Bahninfrastruktur und die LSVA möglich gemacht. Sie sehen ja den direkten Vergleich am Brenner mit jährlich drei Millionen Lastwagen.»

Die Alpentransitbörse könnte die Fahrten massgeblich reduzieren. Sie kommt aber nicht aus den Startlöchern.

«Leider. Das System käme einer Kontingentierung gleich. Der Preis pro Fahrt liesse sich entsprechend der Nachfrage ersteigern. Genauso wichtig aber ist, dass die Bahnen endlich durchgehende Transportketten anbieten. Ab einer Distanz von 200 Kilometern muss die Bahn konkurrenzfähig werden. Das haben wir schon vor 25 Jahren so definiert.»

Sie selbst haben sich in den letzten Jahren vom Verein Alpen-Initiative ­zurückgezogen.

«Ich war zehn Jahre ihr Präsident, dann fast nochmals so lange Vizepräsident. Als der Alpenschutz europäisch zum Thema wurde, habe ich mich auf die Arbeit in dieser Kommission konzentriert. Es ist sicher ein Erfolg, dass die nationale Definition, die Verkehrsbelastung auf ein unschädliches Mass für Mensch und Umwelt zu begrenzen, im Ausland heute mit dem Begriff ­‹erträglich› ebenfalls als unbestritten gilt.»

Welche Beziehung des Vereins Alpen-Initiative besteht heute noch konkret zum Oberwallis?

«Die Geschäftsführung ist in Altdorf. In Brig führen wir ­weiterhin Verkauf und Versand der verschiedenen Produkte unter dem Label der Alpen-Initiative. Das ist immerhin ein Umsatz von zwei Millionen Franken jährlich.»

Was wünschen Sie sich für die Alpen-Initiative in Zukunft?

«Die ganze Klimawandel-Diskussion wird unseren Anliegen helfen. Sinnlose Transporte müssen aufhören. Die Themen Langlebigkeit und Regionalität werden an Bedeutung gewinnen. Das ist kein Wunsch, sondern eine Feststellung.»

Thomas Rieder
24. Februar 2019, 18:03
Artikel teilen

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login
Corona Infoseite

Wallis: Abgesagt oder verschoben wegen Corona

Veranstaltungen

  • Hier ansehen.
  • Newsticker
  • Meistgelesen
  • 20:00 Ab morgen ein neues News-Portal für das Oberwallis
  • 19:45 Polizei löst Party auf
  • 17:00 Eine Region – ein News-Portal
  • 16:21 Update: Flächenbrand in Törbel verläuft glimpflich
  • 12:47 Staubtrockene erste Aprilhälfte
  • 09:58 Türkischer Präsident Erdogan lehnt Rücktritt seines Innenministers ab
  1. Mehr als «Winke-Winke»
  2. «Ich wurde fünf Stunden lang brutal vergewaltigt»
  3. Stolze 13 Kilometer
  4. Zwangsversteigerung unter Polizeischutz
  5. Ehemaliger Leiter der Zermatter Wasserwerke vor Gericht
  6. Polizei löst Party auf
Aktuelle Verkehrsmeldungen

Kolumne | Diese Woche zum Thema:

Offene Fragen zur Corona-Pandemie

Peter Bodenmann und Oskar Freysinger schreiben bis auf weiteres im Walliser Bote.

RZ | Der ehemalige SP-Schweiz-Präsident und Hotelier Peter Bodenmann und Alt-Staatsrat und [...]

Oberwalliser Baby-Galerie

Valentina SalzmannAleksandar PaškuljevićMichel Zuber
zur Baby-Galerie
Anmeldung - WB Newsletter

Walliser Bote - Newsletter

    Täglich informiert mit dem WB-Newsletter!
  • Jetzt registrieren unter: www.1815.ch/newsletter

1815.märt - Jetzt inserieren

Hier können Sie Ihre Inserate direkt, günstig und flexibel im Walliser Bote und der Rhone Zeitung aufgeben.

Logo WalliserBote
  • Walliser Bote - Stellen
  • Walliser Bote - Immobilien
  • Walliser Bote - 5 Liber
  • Walliser Bote - Fahrzeuge
  • Walliser Bote - Diverses
  • Walliser Bote - Erotik
Logo Rhonezeitung
  • Rhone Zeitung - Inserate
  • Rhone Zeitung - 5 Liber
  • Rhone Zeitung - Baby Galerie - Kostenlos

Publikationen 2020

  • WB Publikationen 2020 [PDF]
  • RZ Publikationen 2020 [PDF]
Tweets von @1815_online
Rotten Verlag News

Kultur Wallis

    mehr

    Kursangebote

    Fehler beim laden der XML Datei

    mehr

    Das Walliser Erlebnismagazin

    Bergluft

    • Bergluft Nr. 30 [PDF]
    • Bergluft Nr. 29 [PDF]
    • Bergluft Nr. 28 [PDF]
    • Bergluft Nr. 27 [PDF]
    • Bergluft Nr. 26 [PDF]
    • Bergluft Nr. 25 [PDF]
    • Bergluft Nr. 24 [PDF]
    • Bergluft Nr. 23 [PDF]
    Alpen-Initiative startete im Oberwallis | 1815.ch
    • Login
    • ePaper
    • Babies
    • Umfragen
    • Videos
    • Bilder
    • Wetter
    • Suchen
    • 1815 Märt
    • Abo
    • Werbung
    • Newsletter
    • Impressum
    • Kontakt
    • Leser-Reporter
    Mengis Gruppe: Pomona Media AG
    Rotten Verlags AG
    Alpmedia AG
    1815.ch
    Wetter-Cam
    : °/°
    • Login
    • Abo
    • Werbung
    • Newsletter
    • Kontakt
    • Leser-Reporter
    • Babies
    • Umfragen
    • Bilder
    • Videos
    • Sie sind hier:
    • Home
    • News
    • Newsletter
    • wb
    • Alpen-Initiative startete im Oberwallis

    Sitemap

    Impressum

    NEWS

    • Wallis
    • Schweiz
    • Ausland
    • Sport

    ABONNEMENTS

    • Aboservice
    • Alle Aboangebote
    • Probeabo
    • Ferienumleitung
    • Adresse ändern

    VERLAG & SERVICES

    • Regio Info
    • RSS
    • Werbung
    • Tarifdoku: WB, RZ, 1815

    MENGIS GRUPPE

    Pomonastrasse 12
    3930 Visp
    Tel. +41 (0)27 948 30 30
    Fax. +41 (0)27 948 30 31
    • Kontakt

     

    • Mengis Druck und Verlag AG
    • Rotten Verlags AG
    • Alpmedia AG

    © 2025 Mengis Druck und Verlag AG - Alle Rechte vorbehalten | Kontakt | Impressum | Datenschutzerklärung | AGB Abo | AGB Werbung | AGB 1815.club | AGB Rotten Verlags AG

    Website by update AG, Zürich