Beschaffungswesen | Das ASTRA bricht Arbeitsvergabe ab, weil alle drei Unternehmungen kein gültiges Angebot einreichten
«Das erstaunt uns selbst auch…»

Ampel auf Rot. Das Bundesamt für Strassen stoppt das Vergabeverfahren für die Sanierung der Mittenbächgalerie.
Foto: Walliser Bote
Ried-Brig | Zurück auf Feld eins: Das ASTRA muss die Arbeitsvergabe für das Los «Mittenbäch» nochmals ausschreiben. Kein Angebot hat die «administrativen Voraussetzungen erfüllt», obwohl drei erfahrene Unternehmen Offerten einreichten. Die Branche staunt – das ASTRA versucht es nun im Einladungsverfahren.
Am 22. März 2019 schrieb das Bundesamt für Strassen ASTRA in Thun das Los «Mittenbäch» auf der Nordseite des Simplonpasses aus. Bis Mitte Mai lief die Eingabefrist. Die Offertöffnung war am 17. Mai 2019. Im Rahmen des Erhaltungsprojektes «Mittenbäch» soll ein Abschnitt von rund einem Kilometer Länge auf der Simplonstrasse instand gesetzt werden. Er umfasst die Mittenbächgalerie, mehrere Stützmauern, das Strassentrassee sowie eine Unterhaltsstrasse.
Geplant sind Arbeiten wie Betoninstandsetzungen, punktuelle Verstärkungsmassnahmen und neue Abdichtungen des bestehenden Bauwerks. Die vorhandenen Bauwerksanker sollen ersetzt sowie die Fahrbahn und die entsprechende Entwässerung komplett erneuert werden. Des Weiteren sollen das Fahrzeugrückhaltesystem ausgewechselt, die beiden Stützmauern instand gesetzt sowie die bestehenden Felsanker ersetzt werden. Keine aussergewöhnlichen oder gar komplizierten Arbeiten in einem relativ einfachen Gelände. Ein Los, wie es am Simplon bereits mehrfach ausgeschrieben wurde.
Die Frutiger AG lag an erster Stelle
Am Dienstag war nun auf der elektronischen Plattform SIMAP von Bund, Kantonen und Gemeinden für das öffentliche Beschaffungswesen zu lesen, dass das Vergabeverfahren abgebrochen wird: «Kein anforderungsgerechtes Angebot ist eingegangen. Keines der Angebote erfüllte die administrativen Voraussetzungen.» Das ASTRA konnte aus «beschaffungsrechtlichen und verfahrenstechnischen Gründen» nicht zu allen Punkten Stellung beziehen.
Der «Walliser Bote» weiss: Offerten haben die Frutiger AG, die Walpen AG und die Zengaffinen AG hinterlegt. Das günstigste Angebot reichte Frutiger ein, gefolgt von Walpen und Zengaffinen. Das tiefste Angebot lag bei zwölf Millionen Franken. Das teuerste bei 17 Millionen Franken, also fast 50 Prozent höher.
Der Abbruch des Vergabeverfahrens löste in der Oberwalliser Baubranche grosse Verwunderung aus. Weil es sich um drei Renommierte handelt und die Frutiger AG das günstigste Angebot machte. Die ARGE Frutiger/Interalp hat in den letzten Jahren am Simplonpass häufig bei Arbeitsvergaben gesiegt. Interalp gehört allerdings seit Juni 2017 zur Volken Group. Vorwürfe, das ASTRA halte sich nicht an die Spielregeln, tauch(t)en immer wieder auf. Insbesondere, dass einzelne Mitbewerber bei Ausschreibungen dank Insiderwissen einen Vorteil gehabt hätten.
ASTRA: «Legen den Firmen die Gründe dar»
Das ASTRA bestätigte auf Anfrage nur, dass sich drei Unternehmen an der Ausschreibung beteiligten. Dass man mit dem Abbruch eine Unternehmung habe schützen wollen, weil diese einen Fehler machte und ausgeschlossen werden musste, verneint Mark Siegenthaler, Beauftragter Information & Kommunikation der ASTRA-Filiale in Thun: «Das Verfahren musste abgebrochen werden, weil alle eingereichten Angebote die administrativen Vorgaben nicht erfüllt hatten. Das heisst, es wurden ein oder mehrere Kriterien, die gemäss Ausschreibung zwingend zum Ausschluss führen, nicht beachtet respektive wurde dagegen verstossen. Wir mussten daher diese Angebote ausschliessen.»
Dass gleich drei renommierte Unternehmen kein anforderungsgerechtes Angebot eingegeben haben, löst auch beim ASTRA Überraschung aus: «Das erstaunt uns selbst auch. Mit einem genaueren Abgleich der Angebote mit den Ausschreibungsunterlagen hätte ein Ausschluss problemlos vermieden werden können.» Laut Siegenthaler kommt ein Ausschluss aller Unternehmungen «relativ selten» vor. Die Unternehmen vorher auf Mängel hinzuweisen, so Siegenthaler, «wäre in diesem Fall illegal gewesen und hätte gegen das Beschaffungsrecht verstossen». Denn derartige Nachbesserungen von Angeboten seien nicht zugelassen. Die Unternehmen hat man informiert, ohne detaillierte Begründung. «Wir sind jedoch gerne bereit und auch gesetzlich verpflichtet, den Unternehmungen die Gründe anlässlich eines Debriefings darzulegen», sagt Siegenthaler.
Nun im Einladungsverfahren statt freihändig
Das ASTRA will das Verfahren neu ausschreiben: «Ein Beschaffungsverfahren darf nur unter bestimmten Voraussetzungen wiederholt werden, welche im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.» Gemäss der Verordnung über das Beschaffungswesen wäre die Vergabestelle berechtigt, den «Auftrag in so einem Fall freihändig zu vergeben», betont Siegenthaler: «Wir haben uns aber entschieden, ein Einladungsverfahren durchzuführen, damit der Wettbewerb trotzdem spielen kann.»
Das Einladungsverfahren soll voraussichtlich im August erfolgen. Die Namen der eingeladenen Unternehmer werden laut Siegenthaler bei einem Einladungsverfahren nie bekannt gegeben. Er geht davon aus, dass die erneute Ausschreibung keine Auswirkungen auf die Realisierung hat. Der Baubeginn ist für den Frühling 2020 geplant – falls es keine Beschwerden gibt…
54 Monate warten auf einen Gerichtsentscheid
Denn diese könn(t)en Arbeitsvergaben massiv verzögern, wie ein aktuelles Beispiel auf der Südseite des Simplonpasses zeigt. Beim Bundesverwaltungsgericht ist immer noch eine Beschwerde gegen die Arbeitsvergabe für die Sanierung des Abschnitts «Casermetta» in der Gondoschlucht hängig. Das Projekt, mit rund 35 Millionen Franken veranschlagt, ist im September 2014 durch das ASTRA im offenen Verfahren ausgeschrieben worden. Der Abschnitt erstreckt sich über eine Länge von knapp zwei Kilometern, wovon 95 Prozent der Strecke in Galerien, Tunnels und über Brücken verlaufen.
Der Preis des berücksichtigten Angebots lag bei 32,8 Millionen Franken (ohne Mehrwertsteuer). Der Zuschlag im November 2014 ging an die ARGE Frutiger/Interalp. Gegen die Zuschlagsverfügung erhoben die Mitglieder der unterlegenen ARGE am 11. Dezember 2014 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Der Vorwurf der unterlegenen Unternehmen: Das ASTRA habe sich nicht an die Spielregeln gehalten. 54 Monate (!) nach der Einsprache haben die St. Galler Richter immer noch nicht entschieden.
Stillschweigen auch bei der Bundesanwaltschaft
Am Simplon kam es in der Vergangenheit bei Baulosen immer wieder zu massiven Nachforderungen. Die Sanierung der Kaltwassergalerie etwa kostete 2014 statt gut zwölf Millionen Franken am Ende 23 Millionen Franken.
Licht ins Dunkel könnte die Bundesanwaltschaft bringen. Denn sie ermittelt seit Juli 2015, also seit mehr als vier Jahren, ebenfalls. Vor 40 Monaten, am 17. März 2016, verhaftete die Bundesanwaltschaft dann zwei ASTRA-Angestellte und den ehemaligen Geschäftsführer der Interalp Bau AG. Das Strafverfahren wurde laut der Bundesanwaltschaft bereits im Frühjahr 2015 im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen die Arbeitsvergabe am Simplon eröffnet. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der aktiven und passiven Bestechung schweizerischer Amtsträger sowie wegen des Verdachts der ungetreuen Amtsführung.
Herold Bieler
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