Steinbockjagd | Mal Forschungsmitarbeiter, mal Tierfotograf und geläuterter Ex-Jäger – wie es eben ins Skript passt
Die Rollenspielchen der Uni-Bern-Biologen

Sendungsbewusst. Bio-Professor Raphaël Arlettaz.
Foto: Walliser Bote

Rollenspiel. Stéphane Mettaz mal als Tierfotograf und Ex-Jäger...
Foto: Screenshot SRF

...mal als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Arlettaz und der Uni Bern.
Foto: Screeshot Kanal9

Steinbockjagd. Arlettaz will von der Welle der Empörung profitieren.
Foto: Keystone
Der umstrittene Beitrag von RTS über die Steinbockjagd im Wallis zeigt, wie sich der Bio-Professor Raphaël Arlettaz in der Medienwelt einnistet, um mit seinen Thesen ein breites Publikum zu erreichen. Blick hinter die Kulissen dieses grossen Schauspiels.
Die Gastjäger und Wildhüter prosten sich über den toten Steinbock zu. Weisswein, dahinter die Walliser Bergwelt. Spätestens an dieser Stelle des RTS-Beitrags über die verkauften Steinbockabschüsse im Wallis müssen sich alle Zuschauer daheim auf dem Sofa peinlich berührt fühlen, mindestens. Denn in den Minuten zuvor gab es schlechte Abschüsse und leidende Tiere zu sehen, eine Trophäenjägerin aus den USA, die Zebras, Löwen und auch Walliser Steinböcke abknallt, und die irgendetwas von «Lebenskreislauf» schwafelt.
Dazu kommt das viele Geld. Das Business spüle pro Jahr 650000 Franken in die Kasse des Kantons, lehrt uns der Beitrag, der Anfang November ausgestrahlt worden ist und für eine Riesen-Welle der Empörung sorgte. Ein dreckiges Business. Ein Skandal. Aber das Böse darf nicht siegen. Bühne frei also für das Gute. Und Schnitt.
«Handfeste Interessen»
Die Kamera ist jetzt nahe bei einem Mann, der die Journalisten (und mit ihnen die Zuschauer) ganz weit hinauf in die Berge führt. Gross gewachsen, kantiges Gesicht. Der Alpen-Verklärer Albrecht von Haller hätte ihn in seinen Gedichten im frühen 18. Jahrhundert nicht besser erfinden können.
«Der ehemalige Jäger und Naturliebhaber», erklärt uns die Erzählstimme aus dem Off, habe «sein Gewehr vor vielen Jahren an den Nagel gehängt». Wir sind beruhigt, weil Subtext: Ein geläuterter Mann, ein Aussteiger, der die «Tricks» dieser Safari-Szene kennt und sie uns nun verraten wird. Die Offstimme sagt: Für den Mann – er wird gerade beim friedlichen Beobachten von Steinböcken gezeigt – seien solche Jagdsafaris «eine Plünderung der Alpen». Jawohl.
Die Sequenz endet mit der Bemerkung, dass das grosse Männchen der Herde einige Tage nach dem Dreh verschwunden sei. Aber wohin? Für den edelmütigen Held ein klarer Fall: «Es wurde wegen seiner Hörner abgeschossen.» Schnitt.
Was die Zuschauer des RTS-Beitrags nicht erfahren: Der Mann, der ihnen den Weg der moralischen Überlegenheit weist und als Tierfotograf vorgestellt wird, ist auch Forschungsmitarbeiter bei der Uni Bern, im Departement für Biologie. Als solcher taucht er ein paar Wochen nach dem Steinbock-Bericht beim Lokalsender Kanal9 wieder auf. Dieses Mal geht es um Steinadler. Und die Aufgabe des Uni-Mitarbeiters ist es hier, die Vögel einzufangen und sie mit GPS-Sendern zu versehen. Gar nicht so einfach.
Die Bilder von den Adlern, wie sie minutenlang in der Falle ausharren müssen, werden den Zuschauern vorenthalten. Auch der Köder, ein Fuchskadaver, wird nur angedeutet. Man muss ja nicht gleich übertreiben. Und solche Bilder passen ja auch nicht zu den Tierfreunden der Berner Uni. Selbst die Forschung fordert ihren Tribut. Absolutes Verständnis.
Beim Projekt geht es übrigens darum, das Flugverhalten der Vögel zu erkunden. Um zu verhindern, dass künftig Windräder in ihren Flugbahnen gebaut werden. Interessant. Schnitt.
Jetzt sehen wir den Adler mit verklebten Krallen und einer Haube über Kopf und Augen. Damit er bei der GPS-Ausstattung sich nicht gestresst fühlt, heisst es im Off. Putzige Kerle. Schnitt.
Auftritt Prof. Dr. Raphaël Arlettaz. Er erklärt die Hintergründe des Projekts. Der Walliser Wissenschafter ist der Geschäftsführer des Bio-Departements an der Uni Bern. Und damit auch der Vorgesetzte seines Feldarbeiters, der Steinadler besendert und sich bereit erklärt hatte, in seiner Freizeit mit einem RTS-Kamerateam den bösen Steinbock-Jägern nachzustellen.
Wie in anderen Medienhäusern auch, heisst es in den Leitlinien beim Schweizer Fernsehen, dass Interessenbindungen von Protagonisten gegenüber dem Publikum offengelegt werden müssen. «Expertinnen und Experten helfen uns, Ereignisse oder Sachverhalte zu erklären», steht da geschrieben, «ihre Einordnungen sind aber auch mit Wertungen und manchmal mit handfesten Interessen verbunden, die wir offenlegen müssen.»
In diesem Fall heisst das: Wenn der Ex-Jäger und Tierfotograf nebenbei Präsident des FC Fully wäre, spielte das beim Thema Steinbockjagd keine Rolle. Dass er für Arlettaz die wissenschaftliche Feldarbeit ausführt, ist aber ein interessantes Detail. Zumal er im RTS-Bericht nicht nur über die «Schiessbuden»-Jagd schimpft. Sondern auch wildbiologische Aspekte ins Feld führt.
Die ausländischen Trophäenjäger hätten es vor allem auf die alten Böcke abgesehen, wegen ihrer grossen Hörner. Diese spielten aber bei der Fortpflanzung eine wichtige Rolle. Diese Jagd-Praxis, so seine Botschaft im Beitrag, sei deshalb eine Gefahr für die Walliser Steinbock-Population. Ein interessanter Punkt. Aber wie kommt der Mann darauf? Sind wohl einfach ein paar Gedanken, die man sich als Naturliebhaber halt so macht, wenn man jahrelang durchs Gebirge streift. Er muss es ja wissen.Wie ist dieser Steinbock-Versteher aber in den Beitrag gelangt? Und warum wird seine Verbindung zu Arlettaz und der Uni Bern nicht genannt?
Man habe bei der Schweizerischen Gesellschaft der Naturfotografen nachgefragt, ob irgendwer für den Dreh mitkommen will, sagt François Roulet, Chefredaktor der Sendung «Mise au point», auf Anfrage. Daraufhin habe sich dann Stéphane Mettaz, so heisst der Mann, gemeldet. Dieser äussere sich im Beitrag aber als Tierfotograf in seiner Freizeit und als Bürger, so Roulet weiter. «Es erschien uns daher nicht als zweckmässig, ihn mit seinem Beruf vorzustellen.»
Ähnlich tönt es bei Raphaël Arlettaz. Stéphane Mettaz habe ihn informiert, dass er im Beitrag mitmache, schreibt der Professor auf Anfrage. Dieser äussere sich dort aber als Privatperson und nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter seines Teams. Er selbst, so Arlettaz, habe den Beitrag erst bei dessen Ausstrahlung gesehen – «wie ein ganz normaler Zuschauer».
Jagdgesetz im Visier
Umso schneller dann seine Reaktion. Nicht eine Woche nach der Ausstrahlung des RTS-Beitrags – die Öffentlichkeit ist immer noch empört – hat der Professor hierzu gleich ein Papier parat, das er den Medien herumreicht. Diese Steinbock-Safaris seien aus biologischer und wildregulatorischer Sicht nicht nachhaltig, schreibt er dort. Aber ganz sicher ist er sich offenbar auch nicht. Nur ein «fundiertes Forschungsprojekt» könne die tatsächlichen Auswirkungen der Trophäenjagd auf die Walliser Steinbock-Population aufzeigen. Eine interessante Wende im dritten Akt. Denn wer könnte dieses Forschungprojekt denn leiten?
Mit seinem inoffiziellen Antrag für Forschungsgelder schaffte es der selbstlose Professor in den Tagen darauf immerhin in die Tageszeitungen «Le Temps», «Nouvelliste», selbst bis zum «Tagesanzeiger». Allein diese drei Titel haben eine kumulierte Reichweite von weit über einer halben Mio. Leser. Seine Thesen und Forderungen sind schweizweit platziert. Brillant.
Das verzerrte Bild über die Steinbockjagd im Wallis hat aber noch ganz andere Interpretationsebenen. Die Zuschauer werden die Bilder noch im Kopf haben, wenn sie dereinst über das Jagdgesetz abstimmen werden. Auch Arlettaz bekämpft das Gesetz, das unter anderem den Schutz von Wölfen lockern soll. Abstimmungskampf auf der Bühne des Schweizer Fernsehens und einer Universität, beides Institutionen, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Das ist ganz grosses Kino.
David Biner
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