Gesundheitspolitik | Mit Stéphane Rossini soll es mit der AHV-Sanierung nun endlich klappen
Ein alter Bekannter für eine neue Reform

Parteigenossen. Stéphane Rossini (links), damals als Nationalrat, und Bundesrat Alain Berset. (Bild: März 2012)
Foto: Keystone
Der frühere Walliser Nationalrat Stéphane Rossini hat gute Chancen, dass er neuer Monsieur AHV wird. Kommenden Mittwoch wird der Bundesrat darüber befinden. Es ist nicht das erste Mal, dass Rossini für diesen Job im Gespräch ist.
Nach der Niederlage bei den Staatsratswahlen 2017 war es etwas still geworden um den früheren SP-Nationalrat und Sozialpolitiker aus Haute-Nendaz, Stéphane Rossini. Aber jetzt sieht alles danach aus, als feiere er schon bald in Bundesbern ein spektakuläres Comeback. Läuft es nach Plan, soll Rossini neuer Chef des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) werden. Das ist einer der prestigeträchtigsten und schwierigsten Job der Bundesverwaltung. Das BSV ist für die Reform der Altersvorsorge (AHV) zuständig. Kommenden Mittwoch will Sozialminister Alain Berset (SP) dem Gesamtbundesrat Rossini zur Wahl vorschlagen – als Nachfolger des aktuellen BSV-Direktors, Jürg Brechbühl. Dieser hat bereits im Februar angekündigt, dass er in Pension geht, sobald ein Nachfolger gefunden ist, spätestens aber Ende 2019.
Brechbühl war gewissermassen der geistige Vater des gescheiterten Reformprojektes «Altersvorsorge 2020». Dieses wurde 2017 von den Stimmbürgern abgelehnt. Nun nimmt Berset Anlauf zu einer neuen Reform und ein neuer Monsieur AHV soll ihm dabei zur Seite stehen. Noch muss der Bundesrat zwar entscheiden, aber mit dem früheren SP-Nationalrat und Nationalratspräsidenten Stéphane Rossini käme ein Mann an die Spitze des Bundesamtes für Sozialversicherungen, der sich mit Sozialversicherungen und Altersvorsorge bestens auskennt.
Sein AHV-Konzept sorgte für Aufsehen
Als Nationalrat war Rossini in der gesundheitspolitischen Kommission (SGK) des Nationalrates einer der Tenöre des linken Lagers. Was aber auch nicht verwundert, wenn man den Werdegang des heute 55-Jährigen kennt: Der gelernte Politikwissenschaftler doktorierte in Sozialwissenschaften und verfasste in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Schriften zu Sozialstaat und Sozialversicherungen. Nebst seinen politischen Ämtern arbeitete Rossini auch als Dozent an der Lausanner Fachhochschule für Soziale Arbeit (Haute école de travail social et de la santé) und an der Universität in Genf.
Die AHV-Reform stand früh schon ganz oben auf seiner politischen Agenda. Als er 1999 in den Nationalrat gewählt wurde, feilte das BSV gerade an der 11. AHV-Revision. Damals hatte im Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) noch Pascale Couchepin (FDP) das Sagen. Die zentralen Punkte von Couchepins 11. AHV-Revision: Anhebung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre; Einschränkungen bei den Witwenrenten. Ratsneuling Rossini lancierte damals kühn ein ganz anderes, viel beachtetes Konzept: «Wir müssen von der Diskussion um das Rentenalter wegkommen», lautete sein Credo. Für den Bezug einer Altersrente sollte, so Rossinis Überlegungen, nicht mehr das Alter massgebend sein, sondern die Zahl der Beitragsjahre. Wer insgesamt 40 Beitragsjahre geleistet habe, dürfe (frühestens ab 60 Jahren) in Pension gehen. Er stiess damit jedoch auch parteiintern auf Widerstand. Aber auch Couchepin erlitt mit seinen Plänen Schiffbruch. Das Stimmvolk lehnte die Revision 2004 mit fast 68 Prozent der Stimmen ab. Couchepins zweiter Versuch zur 11. AHV-Revision scheiterte 2010 am Veto von SP und SVP bereits im Parlament.
Rossini war schon mal als BSV-Chef im Gespräch
Ab 2012 übernahm Rossinis Parteikollege Alain Berset im EDI das Ruder. Und der Freiburger hatte grosse Pläne, er wollte AHV und 2. Säule (Pensionskasse) in einem Aufwisch reformieren. Und Rossini war ein erstes Mal im Gespräch für den Spitzenjob im BSV. Aber Berset entschied sich für Jürg Brechbühl. Ob Rossini enttäuscht war, weiss man nicht, er liess sich jedenfalls nichts anmerken. Im Gegenteil: Rossini stellte sich stramm hinter Bersets Altersreform. Rossini fand Bersets Plan intelligent: Das rücke AHV und 2. Säule wieder näher aneinander. Das Gesamtpaket schaffe Möglichkeiten für jede Menge Kreuzkonzessionen. Und dann scheiterte auch Bersets Reform. Rossini, inzwischen aus dem Nationalrat zurückgetreten, als Kandidat für den Staatsrat gescheitert, wurde für seine Loyalität von Berset belohnt: Er setzte ihn zuerst an die Spitze der Eidgenössischen Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, später auch von Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut. Jetzt will er dem Walliser sogar das wichtige BSV anvertrauen.
Dabei heisst es in Bern, dass die beiden nicht gerade enge Freunde seien und wohl kaum miteinander in die Ferien verreisen würden. Es habe eine gewisse Rivalität zwischen Berset und Rossini bestanden, seit sie 2011 bei der Nachfolge von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als Kandidaten gegeneinander kämpften, sagen Eingeweihte. Rossini blieb damals in der parteiinternen Ausmarchung hängen. Aber der Pulverdampf hat sich seither wohl wieder gelegt, sonst würde Berset dem Walliser nicht sein wichtigstes Reformwerk anvertrauen. Der SP-Bundesrat hat am Mittwoch vor einer Woche bereits ein erstes Aussprachepapier zu seiner neuen AHV-Reform im Bundesrat zur Debatte gestellt. Offiziell ist das Papier noch unter Verschluss, aber inoffiziell ist bereits durchgesickert, dass die Meinungen der einzelnen Bundesräte weit auseinandergehen. So will Finanzminister Ueli Maurer (SVP) gemäss bundesratsnahen Kreisen nebst der Erhöhung des Rentenalters für Frauen (65) auch eine Erhöhung des Rentenalters für Männer (66). Er will damit Einsparungen von 2,5 Milliarden Franken realisieren. Simonetta Sommaruga (SP) fordert für die Erhöhung des Frauenrentenalters dagegen Kompensationen von insgesamt gegen 1,1 Milliarden Franken. Und davon profitieren soll vor allem die Übergangsgeneration. Rossini, der diese Reform als BSV-Direktor zu einem guten Ende bringen soll, muss also einen schwierigen Spagat vollziehen und dabei auch über seinen parteipolitischen Schatten springen.
Denn so unbestritten Rossinis Fähigkeiten und Qualifikationen für den Job sind: Sein rotes Parteibüchlein könnte im bürgerlichen Lager Misstrauen wecken – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Reform, wo es jetzt schon Zoff gibt, obwohl die Debatte noch gar nicht richtig begonnen hat.
Hubert Mooser
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