Gesellschaft | Die letzte Einreise
Auf Kinderhilfswerk «Kovive» kommt Veränderung zu

Wiedervereint. Die deutschen Kinder mit ihren Gastfamilien, «Kovive»-Mitarbeiterin Alberta Grand und Reisebegleitung.
Foto: Walliser Bote
Gestern sind zwei Kinder aus Mitteldeutschland in Brig eingetroffen, die einen Teil des Sommers bei einer Walliser Familie verbringen. Nach langjähriger Geschichte war dies die letzte Ankunft von Ferienkindern aus dem Ausland.
Organisiert von «Kovive» wird seit vielen Jahrzehnten das Ferienprogramm für Kinder aus schwierigen Lebenssituationen durchgeführt. Alberta Grand ist schon lange dabei und setzt sich mit viel Herzblut für ihr Anliegen ein. Doch die gestrige Einfahrt des Zuges aus Deutschland war für sie ein spezieller Moment, da es das letzte Mal war, dass Kinder aus dem Ausland durch «Kovive» in die Schweiz reisen. Ab jetzt wird sich das Angebot auf Schweizer Kinder beschränken.
Neues Beziehungsnetz aufbauen
Die Geschichte von «Kovive» begann im Jahr 1956, als ein Mönch Zeuge der Lebensumstände von Kindern der Pariser Armut wurde. So beschloss er, Schweizer Gastfamilien zu suchen, um diesen Kindern sorglose Ferien zu ermöglichen. Seither ist «Kovive» als Schweizer Kinderhilfswerk bekannt. Als Ziel soll einem sozial benachteiligten Kind Geborgenheit, Schutz und Zukunftsperspektive geboten werden. Die Schweizer Gastfamilien übernehmen für eine gewisse Zeit die Fürsorge der Kinder, wobei diesen ermöglicht wird, unbeschwerte Tage zu verbringen.
Alle profitieren vom Austausch
Alberta Grand ist seit über 20 Jahren als freiwillige Mitarbeiterin bei «Kovive» tätig. In dieser Zeit hat sie sich mit passionierter Hingabe engagiert und bereits selbst als Gastfamilie Kindern ein temporäres Zuhause gegeben. Auch in diesem Jahr wird sie einen Jungen aus Frankreich aufnehmen. Auf die Frage, wie sie damit umgehe, dass dies die letzte Ankunft ausländischer Kinder sei, stellte sich ihre Stimmung sichtlich traurig, und sie musste eine Träne unterdrücken: «Es ist ein sehr emotionaler Moment für mich, da ich in all den Jahren viele Kinder in der Schweiz begrüsst habe. Dies wird nun zu Ende sein.» Beim Gedanken an die Kinder, die in Kürze eintreffen sollten, fügte sie hinzu, dass es jedoch ein Moment der Freude sein solle. «Wir sind froh, dass die Kinder bald eintreffen. Beim Empfang ist es wichtig, dies den Kindern zu spüren zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie willkommen sind.» Allgemein sei die Kommunikation zwischen Gastfamilie und Kind einer der wichtigsten Faktoren, die zu einer gelungenen Erfahrung beitragen.
Dies sei auch eine sprachliche Frage «Den Gastfamilien ist freigestellt, ob sie ein Kind mit derselben Muttersprache aufnehmen wollen. Ich bin zweisprachig, lebe jedoch im Oberwallis. Wir hatten schon mehrere französische Kinder in unserer Familie, wovon alle profitiert haben. Zum kulturellen Austausch gehört nun einmal auch die Sprache. Meine eigenen Kinder konnten so ihr Französisch brauchen, und unsere Gastkinder konnten sogar ein wenig Deutsch lernen», erklärte Grand schmunzelnd. Auch allgemein würden nicht nur die Kinder vom Programm profitieren. Zum einen finde ein kultureller Austausch statt, zum anderen würden auch die Schweizer Familien von den Kindern lernen können. Dabei werde einem bewusst, dass vieles nicht selbstverständlich ist.
Versteckte Armut auch in der Schweiz
In der Zukunft werden keine ausländischen Kinder mehr beteiligt sein. Dies habe damit zu tun, dass die Partnerorganisationen im Ausland Probleme mit der Beschaffung von Mitarbeitern haben. Daraus folge, dass nun alle Kinder, die bei «Kovive»-Programmen mitmachen, aus der Schweiz stammen, wobei jedoch auch Migranten und Flüchtlinge berücksichtigt werden würden. Auch in der Schweiz käme nämlich mehr versteckte Armut vor als gedacht, weswegen es auch hier Kinder gebe, die von einem Sommeraufenthalt bei einer Gastfamilie profitieren würden. Die Suche nach Gastfamilien sei jedoch nicht einfach. Als Grand zum ersten Mal dabei war, hätten sich um die 50 Familien beteiligt. Heute seien es bloss noch zehn bis zwanzig.
«Ich wünsche den Kindern, dass sie einen schönen letzten Sommer mit ihren Gastfamilien in der Schweiz verbringen», sagt Grand. Sie erhofft sich, dass die Kinder mit den Familien auch danach in Kontakt bleiben.
Anika Ruppen
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar