Politik | Amt für Gleichstellung will Frauen in der Politik fördern
«Ist diese Situation normal?»
Sie sind eine absolute Minderheit: Frauen in der Politik. Das Kantonale Amt für Gleichstellung und Familie will daran etwas ändern und organisierte am Mittwochabend ein Speed-Sharing für Politikerinnen und Interessierte. Die Frauen im Oberwallis sollen sich vernetzen.
Nachdem der Frauenanteil im Stände- und Nationalrat in den 1990er-Jahren stetig gewachsen ist, scheint er seit rund 15 Jahren mehr oder weniger zu stagnieren, im Ständerat ist er gar rückläufig. Derzeit zählt das Bundesparlament 32 Prozent Nationalrätinnen und 15,2 Prozent Ständerätinnen. In konservativen Kantonen wie dem Wallis ist der Anteil der Politikerinnen noch tiefer. In den Oberwalliser Gemeinderäten sitzen 15,2 Prozent Frauen. Im Kantonsparlament sind es seit den letzten Grossratswahlen nur mehr 5,9 Prozent. Aus Sicht des Kantonalen Amts für Gleichstellung und Familie (KAGF) ist dies auf Dauer kein akzeptabler Zustand. Man will mehr Frauen in der Politik – und auch mehr Frauen in Führungsgremien. Aus diesem Grund organisierte das KAGF am Mittwochabend ein Speed-Sharing für Politikerinnen im Oberwallis. Bereits politisch engagierte und interessierte Frauen erhielten im Konferenzraum der Raiffeisenbank in der Visper Bahnhofstrasse die Gelegenheit, sich mit erfahrenen Politikerinnen wie Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten, Nationalrätin Viola Amherd oder Grossrätin Doris Schmidhalter-Näfen auszutauschen, nützliche Tipps zu erhalten und, was ganz wichtig sei, sich zu vernetzen.
Fehlender Wille?
«Oft wird gesagt, Frauen wollten sich nicht in der Politik engagieren. Ihre Anwesenheit beweist mir das Gegenteil. Engagierte Frauen gibt es auch im Wallis», richtete Isabelle Darbellay Métrailler, Amtschefin des KAGF, das Wort an die gut 30 Frauen im Saal. Ein Argument, das oft fällt, sobald der tiefe Frauenanteil zur Sprache kommt. Auf diese Weise wird auf die Frage «Was muss gegen diese Situation getan werden?» den Frauen der Schwarze Peter zugeschoben. Vielleicht stelle man damit aber auch die falsche Frage, hält Darbellay Métrailler fest. Richtiger wären aus ihrer Sicht folgende: «Ist man mit der aktuellen Situation zufrieden? Ist diese Situation normal? Und ist es das, was wir uns für unsere Demokratie wünschen?» Falls die Antwort auf diese Fragen ein «Ja» ist, sei die Lösung ganz simpel: «Dann muss man nichts tun», bringt es Darbellay Métrailler lapidar auf den Punkt. Sei man mit dieser Situation jedoch nicht zufrieden, müssten Massnahmen ergriffen werden. «Die Parteien wären die ersten Betroffenen», so die Amtschefin. Die Frauen müssten dort auf allen Stufen präsenter sein. «Sie müssen in den Parteien eine Rolle spielen. Und sie müssen es wagen, dort ihren Platz zu fordern. Denn sie haben das gleiche Recht wie ihre Parteikollegen», lautet ihr Appell an die Anwesenden.
Sich Gehör verschaffen
In den jeweils sieben Minuten dauernden Runden, in denen die Teilnehmerinnen durch die acht Tische der erfahrenen Politikerinnen rotierten, erfuhren sie aus erster Hand, wie man mit alltäglichem Sexismus umgeht, wie mit Medien und wie man öffentlich auftritt. Ein besonderes Augenmerk lag aber auch auf dem Faktor Zeit: Wie ist das Zeitmanagement zu bewerkstelligen? Und wie Familie, Arbeit und Politik unter einen Hut zu bringen?
Strebe man als Frau ein höheres Amt an, sei das Risiko «anzuecken» deutlich höher, beschrieb die heutige Nationalrätin und ehemalige Briger Stadtpräsidentin Viola Amherd ihre persönlichen Erfahrungen: In ihren Anfangsjahren habe sie immer wieder erlebt, wie einer ihrer Themeninputs einfach überhört worden sei. Als dasselbe Thema zehn Minuten später von einem Mann eingebracht worden sei, wurde plötzlich darüber diskutiert, so Amherd. Von ähnlichen Erfahrungen wusste Brigitte Hauser-Süess, ehemalige Präsidentin der CVP-Frauen Schweiz und einst persönliche Beraterin von Doris Leuthard, zu berichten: Sie sei bereits in jungen Jahren bei der Christlichdemokratischen Volkspartei in die Politik eingestiegen. Wenn sie damals einen Input gebracht habe, der den Männern in den Kram gepasst habe, sei darüber debattiert worden. Einen unerwünschten Input hingegen habe man einfach übergangen, schliesslich sei er ja «nur» von einer Frau gekommen, schildert sie. «Als Frau in der Politik braucht man schon Humor und darf die Dinge nicht zu persönlich nehmen», fügt Hauser-Süess an.
Eine nicht minder grosse Ungleichbehandlung sieht Doris Schmidhalter-Näfen beim Thema der Vereinbarkeit. «Ich habe nie erlebt, dass die Vereinbarkeit von Familie, Arbeit und Politik an einer von Männern dominierten Veranstaltung je ein Thema gewesen wäre», so Schmidhalter-Näfen. Doch so sei die Gesellschaft nun einmal.
Vereinbarkeit von Familie, Arbeit und Politik
Wie sie die Situation gemeistert hat? Mit einem 40-Prozent-Job und einem sehr guten Team auf der Arbeit. So habe sie Familie und Politik immer gut unter einen Hut gebracht, ist sie überzeugt. Eine gute Organisation und eine klare Kommunikation seien dafür von zentraler Bedeutung.
Und dank einem deutlich verbesserten Angebot im Bereich der Kinderbetreuung sind Familie, Politik und Arbeit heutzutage einfacher zu koordinieren, ist die Grossrätin überzeugt. Als ihre Kinder klein waren, habe in diesem Bereich ein grosses Vakuum vorgeherrscht. Ebenfalls gehapert habe es beim Angebot von Teilzeitjobs für Männer. Das sei damals kaum ein Thema gewesen. Und auch heute noch viel zu wenig, wie Schmidhalter-Näfen findet. «Dabei will die junge Generation oft nicht mehr hundert Prozent arbeiten und sich die Kindererziehung aufteilen. Die Jungen müssen deshalb Druck auf die Wirtschaft machen», so Schmidhalter-Näfen.
Wie es mit dem Zeitmanagement klappt, erfuhren die Teilnehmerinnen schliesslich von Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten. Als Frau dürfe man dabei nicht in die Falle tappen, zu viele Dinge auf einmal machen zu wollen. Mit der Familie und der Politik würden aber sicherlich immer wieder viele Sachen parallel laufen, so die Staatsrätin, die als Politikerin in Bezug auf die Familie einen ganz besonderen Druck verspürt hat, wie sie preisgibt: «Als Politikerin möchte man ganz besonders eine gute Mutter sein», so Waeber-Kalbermatten. Um in einer immer schnelllebigeren Welt noch mit allem hinterherzukommen, plane sie für sich regelmässig einen Tag ein, an dem sie sich den angestauten Anfragen und dem Informationsaustausch widme.
Uneinigkeit bei Quoten
Während all der kurzweiligen Diskussionsrunden erörterten die Teilnehmerinnen noch zahlreiche weitere Gründe, weshalb nicht mehr Frauen in der Politik aktiv sind. Im Gegensatz zu Männern hätten Frauen die Erwartung an sich selbst, alles schon perfekt zu beherrschen, wenn sie eine Aufgabe in Angriff nehmen würden, lautete der eine Grund. Frauen seien so sozialisiert, sich in Männerrunden zurückzuhalten, ein anderer. In den politischen Ämtern und wirtschaftlichen Positionen müssten jeweils auch Männer weichen, damit mehr Frauen Platz hätten, ein nächster.
Im Kampf gegen den stagnierenden Frauenanteil spricht sich Viola Amherd inzwischen für Frauenquoten aus: «Ich bin für Quoten. Ohne passiert ja nichts», so die Nationalrätin. «Und gemischte Führungsgremien performen erwiesenermassen besser», ergänzt sie. In diesem Punkt waren sich nicht alle Anwesenden einig. In einem anderen dafür umso mehr: Es braucht mehr Frauen in der Politik!
Martin Schmidt
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