Bau | Gemeinschaftswohnhaus für Familien und Betagte – mit Schafwolle, Walliser Holz und Kies aus dem Rotten
Kloster St. Ursula ermöglicht einzigartiges Wohnhaus

Fortgeschritten. Am 25. August erfolgt der Tag der offenen Tür. Im April 2019 soll das Gebäude bezugsbereit sein.
Foto: Walliser Bote
Ein Kloster als Bauherr: Was mit dem Bau von Schulen und Internaten früher an der Tagesordnung war, hat heute Seltenheitswert. Eine der wenigen Ausnahmen entsteht derzeit an der Briger Riedbachstrasse.
Der erste Eindruck täuscht gewaltig. Von Weitem betrachtet, sieht die Baustelle an der Riedbachstrasse 26 nicht aussergewöhnlich aus. Der enorm hohe Holzanteil für einen Wohnblock in Brig-Glis mag ins Auge stechen – kommt aber hinter noch sichtbaren Dämmelementen und dem Baugerüst aktuell nicht voll zur Geltung. Auch an dem auf der Ostseite bereits angefangenen, für Brig-Glis untypischen Holzschindeldach wird der eine oder andere Blick hängen bleiben. Viel mehr dürfte einem zufälligen Passanten nicht auffallen. Dabei könnte sich das Gebäude kaum mehr von den Mietwohnungsblöcken, die nach wie vor wie Pilze aus dem Oberwalliser Talgrund schiessen, unterscheiden. Hier nimmt ein Mehrfamilienhaus Gestalt an, das beinahe komplett aus einheimischen Materialien gebaut wird: Dämmelemente aus regionaler Schafwolle, Lärchenholz aus dem Goms und Kies für den Beton aus dem Rottenbett. Die Nutzung von einheimischen Ressourcen wie Holz und Stein war früher gang und gäbe. Heutzutage wird der Grossteil der Baumaterialien für gewöhnlich von weit weg herbeitransportiert. «Es sei gar nicht mehr möglich, mit Holz und Stein aus der Region ein Haus zu bauen, habe ich in meinem Architekturstudium gelernt», sagt Leentje Walliser. Mit dem Wohngebäude an der Riedbachstrasse 26 will sie den Gegenbeweis erbringen.
«Sinnvoll investieren»
Möglich gemacht wird das Projekt durch den Bauherrn, das Kloster St. Ursula. Nachdem das Kloster vor rund drei Jahren das Klosterbad und weitere Immobilien an den Kanton Wallis verkauft hat, liegen Millionen auf dem Konto: «Geld, das wir sinnvoll investieren wollen», sagt die Oberin, Schwester Nicole Glenz. Ursprünglich geplant war ein Sozialbau mit Wohnungen für die Stiftung Emera, für betreutes Wohnen im Alter sowie für Familien mit mehreren Kindern, die sich eine Wohnung in der notwendigen Grösse sonst nicht leisten können. Das Projekt hat sich in der Zwischenzeit ein wenig gewandelt. Auch, weil die Emera das ehemalige Kapuzinerkloster in Brig beziehen wird. «Statt von einem Sozialbau reden wir inzwischen von einem Gemeinschaftsbau», so die Schwester. Das Kloster will die zehn Wohneinheiten zu verhältnismässig günstigen Preisen an Grossfamilien und Betagte vermieten, die Freude an einem Haus mit Gemeinschaftsräumen haben und viel Wert auf Nachhaltigkeit legen. «Wir wollen etwas machen, das unserer Kultur und Region entspricht», so Schwester Glenz.
Langlebiges Gebäude
Solche Ziele sind nur erreichbar, weil das Kloster in einem längeren Zeithorizont als institutionelle Anleger denkt. Während sich die Investitionen von Spekulationsbauten innerhalb von nur 25 Jahren amortisieren müssen und danach auch die Langlebigkeit der Bausubstanz bemessen wird, soll die Überbauung an der Riedbachstrasse 26 mindestens ein Jahrhundert überdauern. Natürlich will auch das Kloster mit seiner Investition Geld verdienen, dort stört es aber niemanden, wenn die Gewinnschwelle erst nach 40 Jahren erreicht ist. Deshalb kann durchgehend teureres Lärchenholz aus dem Oberwallis verbaut werden: Auch die Böden, Decken und Wände in den Wohnungen sind aus dem nachhaltigen Baumaterial. «Wir wollen möglichst CO2-neutral bauen», so Leentje Walliser. Da in der Region seit Längerem keine Steinplatten für Dächer mehr hergestellt werden und die Herbeischaffung aus Italien nicht im Sinne der CO2-neutralen Bauweise gewesen wäre, wich das Architekturbüro beim Dach auf Holzschindeln aus dem Goms aus. Etwas, das es so in Brig-Glis sonst nicht gibt. Dass das Gebäude deshalb aber wie ein Fremdkörper im Ort wirken könnte, glaubt die Architektin nicht: «Wenn man mit der nötigen Achtsamkeit vorgeht, kann man alles machen.» Solange sich ein harmonisches Bild ergebe. Das Gemeinschaftshaus bilde die östliche Grenze eines grossen Wiesenareals, das im Nordwesten von einer grossen Stallung, im Südwesten vom ehemaligen Klosterbad und im Norden von zwei historischen Bauten eingeschlossen wird und zusammen mit diesen Gebäuden eben diese harmonische Einheit forme, so Leentje.
«Bezug zum Heizen»
Das Architekturbüro hat sich jede Menge Gedanken darüber gemacht, wie ein Gebäude am besten alt werden kann. Als Ergebnis wurde die kurzlebige Technik von der Konstruktion getrennt. Kabel und Leitungen führen durch sechs Verteilschächte – auf jeder Etage einer – und von dort wiederum in kleine Schächte in den Wohnungen. Auf diese Weise kann die ganze schnelllebige Technik ausgetauscht werden, ohne dass dabei die Böden oder andere Bereiche des Gebäudes zu Schaden kommen. Aus demselben Grund wird auch auf die Integration allerhand technischer Spielereien verzichtet, die, sobald sie nicht mehr funktionieren oder überholt sind, nicht ohne grössere Eingriffe in die Bausubstanz ersetzbar sind. Ressourcen schonen und Energie sparen sollen auch die gemeinsame Waschküche und der grosse Estrich, in dem die Wäsche zum Trocknen aufgehängt werden kann. Geheizt wird teilweise mit Radiatoren. Dazu verfügen die Wohnungen auch über einen Giltsteinofen. «So hat man einen direkten Bezug zum Heizen», sagt Leentje Walliser. Ein Element, so ist sie überzeugt, das zum Wohlbefinden der Bewohner beiträgt. Genauso wie der gemeinsame Gemüsegarten, der im Westen des Hauses geplant ist, sowie der Obstbaumgarten im Osten. Einerseits bilden die Gärten Begegnungsräume für die Hausbewohner. Andererseits würden sie einen direkten Bezug zur Natur schaffen. Genauso, wie die einheimischen Baumaterialien bei den Bauarbeitern einen direkteren Bezug zum Gebäude schaffen und identitätsstiftend seien. Das Gemeinschaftshaus soll im April 2019 bezugsbereit sein.
Martin Schmidt
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