Gesellschaft | Homosexuelle Paare dürfen offiziell Eltern werden – eine Oberwalliserin berichtet von ihren Erfahrungen
Mamas und Papas im Doppelpack

Grünes Licht. Schweizweit wurden bereits rund 100 Gesuche von gleichgeschlechtlichen Paaren eingereicht
Foto: zvg
Bald werden im Wallis die ersten Kinder offiziell zwei Mamas oder zwei Papas haben. Seit Anfang des Jahres ist die Stiefkindadoption auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich. Einige Gesuche sind bereits in Sitten eingegangen.
Es war ein stiller, aber wichtiger Schritt. Seit dem 1. Januar 2018 ist das geänderte Adoptionsrecht in Kraft. Dies ermöglicht es unverheirateten Paaren, nachdem sie drei Jahre lang zusammengelebt haben, ein Stiefkind zu adoptieren. Neu gilt das Gesetz auch für gleichgeschlechtliche Paare.
Wie die Zahlen zeigen, wird das Angebot rege genutzt. Schweizweit gingen bereits rund hundert Gesuche ein. Die grosse Mehrheit davon sind Frauen, die sich ihren Kinderwunsch mittels einer Samenspende ermöglicht haben. Die Partnerin darf nun das Kind offiziell anerkennen. Das Kind erhält eine zweite Mutter. Und die Familie ist damit auch durch das Gesetz abgesichert.
So war es auch bei Sandra und Debora Heiss aus Brig-Glis, die seit zwei Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Direkt nachdem das abgeänderte Gesetz im Januar in Kraft getreten ist, haben sie damit begonnen, ihr Adoptionsgesuch einzureichen.
«Meine Partnerin Sandra hat durch eine anonyme Samenspende ein Kind zur Welt gebracht», sagt Debora Heiss. Da es gleichgeschlechtlichen Paaren in der Schweiz nicht erlaubt ist, durch Samenspenden ein Kind zu kriegen, musste Sandra dafür nach Kopenhagen reisen. Das alles sei auch mit Stress und einem finanziellen Aufwand verbunden. «Es wäre wünschenswert, wenn die Befruchtungen auch in der Schweiz möglich wären.»
Väter in rechtlicher Grauzone
Aber auch bei Vätern wird das neue Recht genutzt. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtete, seien in den angefragten Kantonen zehn Gesuche von Männerpaaren eingegangen. Mittels einer Leihmutter werden die Kinder oftmals im Ausland geboren, wobei sie sich hier in einer rechtlichen Grauzone befinden. Dies, weil die Leihmutterschaft in der Schweiz verboten ist. Durch das neue Adoptionsrecht darf sich neben dem biologischen Vater der Partner als zweiter Vater einschreiben lassen. So entschieden sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wie auch das Bundesgericht.
Allein im Kanton Bern sind in diesem Jahr 38 Gesuche von gleichgeschlechtlichen Paaren eingegangen. Die schweizweit eingereichten rund 100 Gesuche sind viele – besonders wenn man beachtet, dass die Zahl an Adoptionen in den letzten Jahren immer stärker gesunken ist. Vor zwanzig Jahren wurden schweizweit noch über 1000 Kinder pro Jahr adoptiert. Im letzten Jahr waren es nur noch rund 300, davon 200 Stiefkinder.
Fünf Gesuche im Wallis
Wie das Amt für Kinderschutz in Sitten auf Anfrage mitteilt, sind seit Anfang des Jahres in Sitten fünf Gesuche von gleichgeschlechtlichen Paaren eingegangen. Zwar sind diese alle noch im normalen Bewilligungsverfahren, sollten aber schon bald durchgewinkt werden. So gibt es im Wallis schon bald die ersten Familien, die offiziell zwei Väter oder zwei Mütter haben.
Eine davon wird die Familie von Sandra und Debora Heiss sein. Der definitive Entscheid werde für sie eine grosse Erleichterung sein. Sie hätten die Stiefkindadoption nicht beantragt, damit sie eine richtige Mama werde. Es gehe um die rechtliche Absicherung, nicht um die emotionale Bindung. «Es ist schon jetzt mein Kind», sagt Debora. «Würde meiner Partnerin etwas passieren, hätte ich aber keine Rechte.»
Gegenüber dem Tages-Anzeiger sagte die Geschäftsführerin vom Dachverband Regenbogenfamilien, Maria von Känel: «Wir sind froh, dass die rechtliche Absicherung von Regenbogenfamilien endlich möglich ist.»
Bald «Ehe für alle»?
Bei den Diskussionen rund um das aktuelle Adoptionsrecht waren die Lager im Frühjahr 2016 noch gespalten. So warnte damals etwa der CVP-Ständerat Beat Rieder und sprach von Salamitaktik. Und dass bald auch einer gemeinschaftlichen Adoption durch homosexuelle Paare nichts mehr im Wege stehe. Gegenüber dem SRF sagte er damals: «Schlussendlich haben wir eine Gesellschaft, die alles allen jederzeit ermöglicht. Ich bin nicht für eine solche Gesellschaft. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die klassische Familie ein Ideal ist, das man verteidigen kann und muss.»
Schon bald könnte aber die letzte Hürde fallen. So sammelt etwa die Operation Libero Unterschriften, um die Ehe für alle auch in der Schweiz zur Realität werden zu lassen. Und somit auch gleichgeschlechtliche Paare fremde Kinder adoptieren dürfen. In der Petition schreiben sie: «Es ist höchste Zeit, dass sich auch in der Schweiz Liebe und Realität durchsetzen. Wir finden es wichtig, dass alle Menschen, egal welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, in der Schweiz heiraten dürfen. Wir fordern die bedingungslose Öffnung der Ehe und die Gewährung aller damit verbundenen Rechte.»
Für Sandra und Debora Heiss wäre eine «Ehe für alle» ebenfalls wünschenswert. «Es wäre schön, wenn gleichgeschlechtliche Partnerschaften endlich gleich behandelt werden wie eine normale Ehe.» Das zeige sich auch in den kleinen Details. So hatte Debora bei der Geburt ihres Sohnes kein Anrecht auf Vaterschaftsurlaub.
Die Toleranz wächst
Die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» der grünliberalen Fraktion wird im Parlament wieder für Diskussionen sorgen. Diese würde automatisch auch die Adoption fremder Kinder für homosexuelle Paare erlauben. Die Kommission im Nationalrat hat sich Anfang Juli dafür ausgesprochen, die Gesetzesrevision für die Öffnung der Ehe nicht in einer einmaligen Revision, sondern in zwei oder mehr Etappen anzugehen.
Für die LGBT-Bewegung wäre dies ein wichtiger Schritt. Eine Umfrage des Dachverbands der Regenbogenfamilien hat ergeben, dass rund ein Viertel der Paare sich ein Kind durch Adoption wünschen würde. Zurzeit ist ein Drittel der Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen durch eine Samenspende im Ausland zustande gekommen. Ein weiteres Drittel der Kinder ist aus einer früheren heterosexuellen Beziehung.
Für Sandra und Debora Heiss war es klar, dass sie ein eigenes Kind zur Welt bringen wollen. «Für homosexuelle Paare sollte aber auch die Möglichkeit bestehen, fremde Kinder zu adoptieren. Besonders bei Männern würde dies neue Möglichkeiten schaffen. Denn diese haben heute keine andere Wahl, als auf eine Leihmutterschaft auszuweichen.»
Die beiden sind überzeugt, dass sich durch die veränderten Gesetze auch in der Gesellschaft einiges bewegt. In ihrem eigenen Umfeld haben sie bisher überhaupt keine schlechten Erfahrungen gemacht. «Die Toleranz wird immer grösser», sagt Debora.
mgo
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