Forstwirtschaft | Es standen einmal «Teelä» im Visper Telwald. Doch wo sind sie hin?
«Manche nennen uns Baummörder»

Der Forstwart. Joel Inderkummen fällt einen «Konkurrenten». Um mehr Licht und Platz für stärkere Bäume zu schaffen.
Foto: WB / Alain Amherd

Der Chef. Revierförster Martin Imesch erklärt, weshalb der Mensch den Wald pflegen muss.
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Der Vorarbeiter. Fabian Andereggen beaufsichtigt die Arbeit des Forstwarts und gibt Anweisungen.
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Der Tatort. Der Visper Telwald gilt als prioritärer Schutzwald. Er hat sich von einem Nadel- in einen Laubwald gewandelt.
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Im Februar wurden im Telwald nach 25 Jahren wieder einmal schwache Bäume gefällt. Was hinter dem Eingriff in die Natur steckt und was er bewirken soll, erklärt Revierförster Martin Imesch.
Fährt man in Visp die Terbinerstrasse hinauf am Spital vorbei weiter in Richtung Visperterminen, rückt bergseitig bald einmal der Telwald ins Blickfeld. Ein Schutzwald. Dort steht zwischen dem Geäst in einem Hang ein Forstwart in seiner Arbeits- und Schutzmontur. Ein Mitarbeiter von Martin Imesch. In den Händen hält er die Motorsäge, die nichts mehr von der Stille übrig lässt, wenn sie erst einmal angeworfen wurde. Der Telwald. Ein Wald, in dem kaum noch «Teelä» stehen, wie die Föhren im Visper Dialekt genannt werden.
Laub statt Nadeln – ein Schutzwald im Wandel
Forscher sprechen im Zusammenhang mit dem Föhrensterben von einer «Komplexkrankheit», also von mehreren Umwelteinflüssen, die den Waldföhren auf die Rinde rücken. Zwischen 2001 und 2006 wurden dazu in der Region Visp Untersuchungen angestellt. Von den Wissenschaftlern der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf.
Aber Föhren sind die Vergangenheit des Telwalds. Einige stehen noch da, aber nicht mehr viele. Schwache Exemplare hat man schon vor Jahren einmal entfernt und so den Laubbäumen wie der aufstrebenden Flaumeiche ein besseres Wachstum ermöglicht. Ein Nadelwald wird zum Laubwald.
Die Rolle des prioritären Schutzwalds ist geblieben, deshalb erhält man überhaupt Gelder von Bund und Kanton für die «Schutzwaldpflege nach minimalen Pflegezielen». Schützen soll er primär vor Steinschlag, denn kleinere Steine hätten es immer wieder bis hinunter zu den Häusern geschafft, sagt Martin Imesch, Revierförster Visp und Umgebung.
«Einige haben uns damals kritisiert, als wir die schwachen und toten Föhren gefällt und herausgenommen haben, aber heute sehen wir, dass es die richtige Entscheidung war», erzählt er. Das war beim Ersteingriff in diesem Waldstück vor rund 25 Jahren. Der Waldbestand befand sich damals schon in der Umwandlung vom Nadel- zum Laubwald. Denn seit rund 40 Jahren führen Trockenheit, der Konkurrenzkampf unter den Bäumen, Mistelbefall, Schadstoffe in der Luft und Borkenkäferbefall dazu, dass diese Baumart flächenweise abstirbt.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu einem Föhrensterben. Dieses war auf die Fluor-Emissionen zurückzuführen, welche die Inbetriebnahme der Aluminiumfabriken in Chippis und Steg mit sich brachten. Damals war ein Faktor allein der Auslöser. Nachdem in diesen Werken Filteranlagen eingebaut wurden, traten die Schäden nicht mehr auf. «Heute sind die Einwirkungen komplexerer Natur», sagt Imesch.
In höhere Lagen
Und nicht nur in Visp sterben seit den 80er-Jahren die Föhren, auch in anderen Höhenregionen von 600 bis 1000 Metern im Wallis und in anderen Regionen der Alpen. «Laubhölzer wie die Eichen, die hier mehrheitlich stehen, sind resistenter gegen Trockenheit, Pilze oder Insekten», so der Revierförster. Durch den Ersteingriff hat man Licht geschaffen, sodass sich das stärkere Laubholz besser entwickeln konnte: «Als die Föhren abstarben, haben wir gezielt den Laubholzbestand gefördert und konnten so die Schutzfunktion des Waldes durchgehend aufrechterhalten.»
Forscher der Forschungsanstalt WSL haben die ökologischen Folgen von Umwelteinflüssen auf die Waldentwicklung im Wallis und in anderen Regionen der Schweiz untersucht. Demnach sterben Föhren vor allem in Tieflagen. Deshalb werde sich der Föhrenwaldgürtel in höhere Lagen verschieben. Weiter unten werde sich vorerst die Flaumeiche durchsetzen können. Sollte die Trockenheit zunehmen, werde aber auch sie leiden.
Schutzfunktion weiter stabilisieren
Solange sie dem Wetter aber noch standhält, kann der Mensch die Bedingungen der Flaumeiche verbessern. Deshalb wurden im Februar wieder die Sägen angesetzt und die stärksten Laubbäume im Telwald in einem zweiten Eingriff weiter gefördert. Um so den gesamten Bestand noch besser zu stabilisieren. In zwei Jahren, so Imesch, sehe man davon nicht mehr viel.
Als der junge Forstwart beginnt, die Motorsäge zu schwingen, sieht es zuerst so aus, als versuchte er, die Luft zu zerschneiden. Tatsächlich befreit er den Raum von kleinerem Geäst. Den Raum, in den die Flaumeiche gleich fallen wird. Die Holzspäne fliegen und sammeln sich in den Hosenfalten des Waldarbeiters. Das Knacken von Holz, der Baum fällt, prallt auf und liegt dann ruhig da. Welke Laubblätter wirbeln durch die Luft. Nur noch ein paar Äste werden abgesägt. «Der Konkurrent» wurde aus dem Verkehr gezogen.
So werden im Försterjargon Bäume genannt, welche die stärkeren «Kandidaten» konkurrenzieren, die für Stabilität sorgen sollen. Die gefällte Eiche hat die Kriterien nicht erfüllt, um als Stabilitätsträger im Schutzwald durchzugehen. Dafür hätte sie einen grösseren Stammumfang vorweisen, aufrechter und strammer gen Himmel ragen und mit einer besser ausgebildeten, also umfangreicheren Baumkrone bestückt sein müssen. So wurde sie nun dem Sonnenlicht entzogen und von ihren Wurzeln getrennt. Und quer liegen gelassen.
Ziel der Aktion ist es, die Stabilität und damit die Schutzfunktion des Waldes zu verbessern. Deshalb werden die Schwächeren gefällt, bleiben aber in diesem Fall dem Waldbestand erhalten. Die liegen gelassenen Ex-Konkurrenten helfen dabei, das Geröll aufzuhalten, das vom Berg herunterkommt. «Statt teure Kunstbauten wie Steinschlagnetze zu installieren», erklärt Imesch.
Der rücksichtslose Wald
Und auch die entstandenen Lücken erfüllen ihren Zweck: Die räumliche Auflockerung schafft mehr Licht und mehr Platz für die stärkeren Bäume. Können sich diese nämlich nicht auch in die Breite entwickeln, würden sie mit der Zeit sehr instabil und mit ihnen der gesamte Bestand: «Wenn wir 40, 50 Jahre lang nicht eingreifen, entstehen so mehr oder weniger lange, schlanke Latten.»
Und wenn man es ganz unterlassen würde zu handeln? Regelt das der Wald nicht auch allein? Überlässt man den Wald zu lange sich selbst, entwickle er sich zum Urwald und kollabiere irgendwann, bevor alles wieder von Neuem entsteht, erzählen die Forstarbeiter. «Manchmal werden wir als Baummörder bezeichnet», nimmt Imesch die Kritik auf. Ja, es sei immer ein Eingriff, sagt er. Die Natur reguliere sich schon selbst, aber ohne Rücksicht auf die Menschen. «Der Wald braucht den Menschen nicht, aber der Mensch den Wald.»
Werden die prioritären Schutzwälder nicht gepflegt und in Richtung mehr Stabilität ausgeformt, wächst die Steinschlag- und Lawinengefahr: «Wozu ein fehlender Schutzwald führen kann, hat man in Eyholz gesehen. Nach dem grossen Brand. Nach einem Jahr, als es wieder begann zu grünen, dachten manche, alles sei halb so schlimm.» Dann kamen im Winter die Unwetter, der Hang geriet ins Rutschen und brachte Material bis hinunter in die Talebene. Weil die Bestockung fehlte.
Geringer Spielraum
Im Wallis hinke man in der Waldpflege überall hinterher. An den meisten Stellen hat man noch nie oder vielleicht vor 60 oder noch mehr Jahren zum letzten Mal eingegriffen. Oft weiss man gar nicht, ob und wann Waldstücke zuletzt gepflegt wurden. Dabei sollte dies im Idealfall etwa alle 30 Jahre geschehen. Der Nachholbedarf sei gross, aber die finanziellen Mittel sehr begrenzt. «Man muss sich an minimale Pflegeziele halten.» Dieses Waldstück hier sei ein Glücksfall: Der letzte Eingriff liegt erst rund
25 Jahre zurück. Das ist im Wald eine kurze Zeitspanne. «Ein Eingriff unter diesen Umständen ist bedeutend weniger aufwendig.»
Wie knapp die Mittel sind, wird klar, wenn man sich die Zahlen ansieht. Die Waldeigentümer – in diesem Fall die Burgerschaft Visp – werden für die Schutzwaldbewirtschaftung von Bund und Kanton mit
9000 Franken pro Hektar unterstützt. Weil hier das Holz nicht gerüstet und abtransportiert werden muss – wie etwa im Fichtenwald wegen der Gefahr des Käferbefalls –, kommt man mit etwa 8500 Franken pro Hektar gut durch. Wenn die Bäume rausmüssen, kann der Hektar bis zwischen 20 000 und 30 000 Franken kosten. «Da reicht das Geld nie und nimmer», so Imesch. Doch mit diesen öffentlichen Geldern werden die Forstarbeiter auch weiterhin die Schutzwälder in der Region pflegen. Harte Eingriffe sind da unvermeidlich.
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