Alpinismus | Trotz zweier Hitzewellen und Forderung nach Sperrung des «Hore»
«Zahl der Bergtoten am ‹Hore› liegt unter dem langjährigen Schnitt»

Rückblick. Martin Lehner, der neue Hüttenwart der Hörnlihütte (links), arbeitet eng mit dem Zermatter Rettungschef Anjan Truffer zusammen, wenn Alpinisten am Matterhorn in Bergnot geraten.
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Nach der Schliessung der Hörnlihütte wird es rasch stiller am Matterhorn. Am «Hore» geht eine Saison zu Ende, die vorab geprägt war von Forderungen, dass der weltbekannte Berg aufgrund des Klimawandels für Bergsteiger gesperrt werden müsse.
Als die «SonntagsZeitung» am 2. August, wenige Tage nach einem dramatischen Bergunglück mit zwei Toten, aufgrund nicht genannt werden wollender Bergführer im Sommer 2019 die Sperrung des Matterhorns forderte, ging diese Schlagzeile um die Welt. Die Verantwortlichen in Zermatt hatten in der Folge alle Hände damit zu tun, in den Medien darauf hinzuweisen, dass die beiden Alpinisten aufgrund eines Abgangs eines Steinblocks auf der Hörnliroute ihr Leben verloren, über den schon Zehntausende Matterhorn-Besteiger seit der Erstbesteigung zum Gipfel hochstiegen.
Und ihr Tod nicht vermehrt auftretendem Steinschlag aufgrund des Klimawandels geschuldet sei. Selbst die Gemeinde Zermatt sah sich in Zugzwang und erklärte in einer Medienmitteilung, dass eine Sperrung des «Hore» nicht angezeigt sei. Erst als der wildgewordene Triftbach für neue Schlagzeilen aus Zermatt sorgte, verflachten sich die Diskussionen ums Matterhorn.
Kein Einbruch bei den Übernachtungen
«Die Negativ-Schlagzeilen des Sommers haben sich kaum auf die Anzahl Übernachtungen in der Hörnlihütte niedergeschlagen», erklärt Martin Lehner, der vor einer Woche seine erste Saison als Hüttenwart der Hörnlihütte beendet hat. «Lediglich am Tag nach dem Unglück, bei dem sich ein Felsblock mit einer Fixseilverankerung löste und einen chilenischen Bergführer mit seinem australischen Gast in die Tiefe riss, verzichteten die meisten Bergführer auf die Tour aufs Matterhorn und wichen mit ihren Gästen auf andere Kletterberge aus. Aber nicht aus Furcht vor erneutem Steinschlag, sondern weil die technische Kommission der Zermatter Bergführer das schon wenige Stunden nach dem Unglück umgesetzte Fixseil anderntags erst nochmals einer Kontrolle unterziehen wollte», sagt der Hüttenwart.
Lehner hat mit seiner Frau Edith und sieben Angestellten die erste Saison auf der Hörnlihütte hinter sich. Auch wenn die Schlussabrechnung noch nicht vorliege, gehe er bei einer durchschnittlichen Belegung von 70 Betten pro Nacht von einer guten Saison aus. «Abgesehen vom defekten Stromgenerator, der die Hütte zusätzlich zu den Solarpanels mit Strom versorgt, lief alles planmässig.» Die Begegnung mit Gästen und Bergführern aus der ganzen Welt sei spannend und eindrücklich gewesen. Über den Daumen gerechnet, geht er davon aus, das in dieser Saison rund 3000 Alpinisten das 4478 Meter hohe Matterhorn von der Schweizer Seite her bestiegen haben.
Hitzewellen: Neue Anforderungen für Führer
Von einer Sperrung des Horns hält auch Lehner, selber Bergführer, wenig. Räumt aber ein, dass sich Bergführer in Zukunft generell darüber Gedanken machen werden müssen, welche Berge für eine Besteigung geeignet seien, wenn während einer Hitzewelle die Nullgradgrenze während Tagen über 5000 Meter steigt und so das Gefahrenpotenzial an jedem Berg steigt. «Das Matterhorn gehört sicher zu jenen Bergen, die während solchen Wetterphasen mit erhöhter Vorsicht begangen werden sollten.»
Trotz der beiden Hitzewellen des vergangenen Sommers ist die Zahl der Toten am Matterhorn unter dem langjährigen Schnitt von 13 geblieben, weiss der Zermatter Bergrettungschef Anjan Truffer. «In dieser Saison haben wir bislang neun Tote am ‹Hore› zu beklagen. Zwei weniger als in der Saison zuvor. Acht von neun Unglücken ereigneten sich auf der Schweizer Seite. Lediglich eine Bergsteigerin kam am Lionsgrat, der Aufstiegsroute aufs Matterhorn von Italien her, ums Leben.» Das widerlege die allgemeine Meinung, dass es auf der italienischen Seite zu mehr Todesfällen aufgrund schlecht vorbereiteter Alpinisten komme, sagt Truffer.
Höheres Risiko ohne Führer
Und noch eine Tatsache wird mit Blick auf die Unglücke dieser Saison klar. Wer sich ohne Begleitung eines Bergführers ans Matterhorn wagt, setzt sich weit mehr Risiken aus. «Bei acht der neun Unglücke kamen Menschen ums Leben, die nicht von Führern begleitet wurden. Ihnen wurden Fehler zum Verhängnis, die vermieden werden hätten können. Beim Unglück mit dem chilenischen Bergführer war Schicksal im Spiel, das jeden anderen, der an jenem Tag am Berg war, auch hätte treffen können», sagt Truffer. Das spricht für die Zermatter Bergführer, die Alpinisten, die das Matterhorn besteigen wollen, Vorbereitungstouren in der Region empfehlen, bevor sie sich ans «Hore» wagen.
Dennoch wollen oder können sich nicht alle einen Führer leisten, weiss Martin Lehner. «Der Grossteil der Alpinisten macht sich mit einem Bergführer morgens nach drei Uhr von der Hörnlihütte zur Besteigung auf. Dann folgen die ‹Grampini›, so nennen wir im Dorf jene Alpinisten, die auf eigene Faust hochsteigen wollen. Es ist teils erschreckend, wie schlecht sich diese Leute auf die Tour vorbereiten. Mit zum Teil veralteten Tourenkarten und unpassendem Material machen sie sich auf den Weg nach oben und halten sich in der Folge nichtselten über Tage am Hörnligrat auf, weil sie sich heillos überschätzt haben.» Viele von ihnen schafften denn eine Besteigung auch nicht. Lehner wundert sich deshalb, dass es nicht zu mehr tödlichen Unfällen am Matterhorn kommt.
Smartphone als Lebensversicherung
Es sind dann auch meist diese Gruppen, die am Berg in Not geraten, weiss Rettungschef Truffer. «In dieser Saison musste die Zermatter Bergrettung 24 Mal zu Evakuierungen am Matterhorn ausrücken. In einigen Fällen waren es Verletzungen, die eine Bergung notwendig machten. Zumeist aber waren es Wetterumschwünge mit Schnee und Regen, die Gruppen in Bergnot brachten. Auch hier muss gesagt werden, dass viele Einsätze hätten vermieden werden können. Obwohl das Wetter umschlägt und ein Abstieg angezeigt wäre, steigen die Alpinisten weiter hoch. Im Wissen, dass sie über das Smartphone jederzeit Hilfe anfordern können.» Dieses Verhalten werde aber nicht nur am Matterhorn, sondern an allen Kletterbergen in der Region beobachtet.
Norbert Zengaffinen
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