Forschung | An was der Zermatter Physiker Daniel Mazzone im fernen Brookhaven National Laboratory herumtüftelt
«Einfach gesagt? Wir bewerfen Kristalle mit Teilchen»
«Herumschrauben...». Der Zermatter Physiker Daniel Mazzone.
Foto: zvg
Das Physikstudium mit Bestnote, dann die Doktorarbeit: Nun hat Daniel Mazzone aus Zermatt seinen Wohnsitz für die kommenden zwei Jahre nach Long Island, nahe New York, verlegt. Der Jung-Physiker über Nerd-Klischees, Heimat und die tägliche Herausforderung, die eigenen Daten zu verstehen.
Seit Dezember 2017 lebt Daniel Mazzone Tausende Kilometer von der Heimat entfernt. Genauer gesagt auf Long Island, nahe New York, wo er sich seinem Post-Doc am Brookhaven National Laboratory, einem grossen staatlichen Forschungsinstitut der USA, widmet. Möglich gemacht hat dies ein Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung.
Das heutige Bild eines Physikers ist massgeblich durch die US-amerikanische Sitcom «The Big Bang Theory» geprägt. «Es gibt schon viele Nerds unter Physikern», meint Mazzone lachend, «aber auch ganz normale Typen. Die Serie-Figuren sind grob überzeichnet. Die physikalischen Vorgänge, die jeweils auf den Whiteboards im Hintergrund skizziert werden, sind lustigerweise aber meist korrekt.»
Energieverbrauch drastisch reduzieren
Die Begeisterung ist förmlich spürbar, wenn der Physiker über sein Forschungsgebiet spricht. Eine verständliche Darlegung dessen ist für den Laien nicht ganz einfach. Hier trotzdem ein Versuch: Der Zermatter beschäftigt sich mit neuen Phänomenen in Materialien, die für die Technik interessant sein könnten, wenn sie denn auf mikroskopischer Ebene verstanden werden. «Nehmen wir Supraleiter als Beispiel. Das sind Materialien, die unterhalb einer bestimmten Temperatur ihren elektrischen Widerstand verlieren und so Energie nahezu verlustfrei über lange Distanzen transportieren können», erklärt Mazzone. «Dies könnte den Energieverbrauch der Menschheit drastisch reduzieren, wenn es möglich wäre, eine supraleitende Phase bei genügend hohen Temperaturen zu stabilisieren. Leider ist dies oberhalb von –135 Grad noch nicht wirklich möglich. Ich hoffe unter anderem hierzu einen Beitrag zu leisten, sodass es möglich wird, Kristalle zu synthetisieren, die bei Raumtemperatur supraleitend sind.»
Um dieses Ziel zu erreichen, untersucht Mazzone seine Materialien mit speziellen Maschinen. «Einfach gesagt, bewerfen wir die Kristalle mit Teilchen, in meinem Fall Röntgenstrahlen, und beobachten, wie diese abgeleitet werden. Man könnte es anschaulich mit Billard vergleichen», meint er. «Wenn man weiss, von welcher Richtung die eine Kugel kommt und wie sie abgelenkt wird, ist es einfach zu rekonstruieren, wo die andere Kugel platziert war. Ähnlich versuchen wir die elektronische Struktur unserer Proben vor der Ankunft der Röntgenstrahlen zu verstehen.»
«Dann hats Klick gemacht»
«Als ich mich am Briger Kollegium für das Schwerpunktfach ‹Mathe und Physik› entschieden habe, konnte ich mir unter Physik eigentlich noch nicht viel vorstellen», wirft der 29-Jährige einen Blick auf längst vergangene Zeiten zurück. Die Natur und alles, was dahinter steckt, hätten ihn aber schon damals interessiert. Die Folge davon: Ein Physikstudium an der ETH Zürich, nachdem er 2008 die Matura im Sack hatte. «Das erste Jahr war nicht einfach», so Mazzone. «Es wird stark aussortiert; die Hälfte der Studenten fliegen.» Mit Fleiss sei allerdings einiges machbar, lautet sein Fazit zum Studium. «Irgendwann erkannte ich zudem, dass ich nicht für den Studienabschluss arbeiten möchte, sondern weil mich die Materie an sich interessiert. Dann hats Klick gemacht.» Nicht zuletzt war auch seine heutige Ehefrau Fabienne, die er in dieser Zeit kennenlernte, eine riesige Stütze, betont der Zermatter. Sein Physikstudium schloss er schliesslich 2013 mit der Bestnote ab. Es folgte die Doktorarbeit am Paul Scherrer Institut im Aargau und an der ETH Zürich, die er der Festkörperphysik und der Erforschung neuer Materialien widmete. Die Arbeit, die er im Oktober 2017 einreichte, wurde durch Michel Kenzelmann, Professor mit Oberwalliser Wurzeln, betreut. «Ich habe Michel enorm viel zu verdanken. So hat mir die Begegnung mit ihm auch gezeigt, wie ein möglicher Weg als Physiker in der Forschung ausschauen könnte.»
Das Schicksal der Walliser
Während es im Doktorat noch darum ging, an den Ideen der Vorgesetzten zu arbeiten, heisst es im Post-Doc nun, eigene Ideen und Forschungen voranzutreiben. Dabei sei es durchaus erwünscht, Erfahrungen im Ausland zu sammeln. «Nur schon persönlich bringt es viel: Man muss mit Forschungsgeldern haushalten, kann sein Netzwerk ausbauen und bringt nicht zuletzt, wenn alles gut geht, neue Ansätze zurück nach Hause.»
Neben den USA kamen unter anderem auch London und Mailand infrage. «Was hier passiert, hat schlussendlich als Gesamtpaket am besten zu mir gepasst», erklärt Mazzone. Letztendlich sei es eine Teamentscheidung zwischen ihm und seiner Frau gewesen. Die Heimat zu verlassen, war für Mazzone als «Matti» im Grunde genommen nichts Neues. Schon während des Kollegiums siedelte er aufgrund des langen Anfahrtswegs ins Internat um, heim gings nur noch am Wochenende. Nach der Matura zog es ihn an die ETH in Zürich und nun eben in die USA. «Als ich mein Doktorat begonnen habe, war mir schon bewusst, dass ich wohl weggehen würde. Seien wir ehrlich, als Physiker ist es im Wallis sehr schwierig, ausser wenn man Lehrer werden will, im Spital arbeiten möchte, als Ingenieur bei den Wasserkraftwerken oder wenn man bereit ist, sein Feld ganz zu verlassen, und sich auf die erworbenen Softskills verlässt.»
Ein Schicksal, das er mit vielen Wallisern teilt. «Ich glaube für viele Junge ist es ein wichtiger Schritt, das Wallis zu verlassen, um zu studieren und die Träume zu verfolgen, die im Wallis nicht zu erfüllen sind – sei es im Ausland oder in anderen Regionen der Schweiz; für eine beschränkte Zeit oder eventuell für immer.» Natürlich aber wünsche er sich nach wie vor eine spätere Rückkehr in die Schweiz: «Hier habe ich das bestmögliche Umfeld und bekomme die nötige Unterstützung.»
Der Traum vom «Orchester»
Bis Ende 2019 bleiben Daniel und Fabienne Mazzone nun in den USA. Was danach kommt, steht (noch) in den Sternen. «Bis dahin werde ich merken, ob ich etwas zur wissenschaftlichen Forschung beitragen kann. Wenn nicht, muss ich andere Wege einschlagen», zeigt sich Mazzone realistisch. Auch hier hat der Physiker – und Musiker – einen kohärenten Vergleich parat: «Nicht jeder Musikstudent, der vollends auf seine spielerischen Fähigkeiten setzt, bekommt eine Anstellung in einem Orchester. Manche suchen andere Wege und komplementieren beispielsweise als Musiklehrer ihr spielerisches Potenzial mit pädagogischen Herausforderungen.»
Natürlich aber hofft Mazzone auf das Orchester, sprich auf die Forschung. «Diese Art von Arbeit liegt mir. Es gefällt mir, dass sozusagen kein Alltagstrott einkehrt. Jeder Tag gibt mir neue Rätsel auf. Manchmal schreibe ich Publikationen, reise an Konferenzen, versuche meine Daten zu verstehen, schraube an der Maschine herum…» Ein gewisser Tüftlergeist gehört für ihn denn auch zum Beruf dazu. «Die Neugierde treibt mich an.»
Manuela Pfaffen








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