Tradition | Erstmals hielt eine Frau im Rittersaal vor der Bruderschaft vom Osterlamm die Rede auf das Vaterland
Privileg für Genfs Ex-Kanzlerin

Noch ungesättigt. Die drei Gastgeber Paul Schnidrig, Paul Schneller und Romed Guntern
mit Sekretär Diego Zehnder (von links) sowie Genfs Ex-Kanzlerin Anja Wyden Guelpa
Foto: Walliser Bote
Brig-Glis | Auch bei der Bruderschaft vom Osterlamm Brig hinterlässt der Zeitgeist seine Spuren. Mit Anja Wyden Guelpa sprach eine Frau im Kreise der Brüder.
Treffpunkt war wie gewohnt um 11.00 Uhr im Hof des Stockalperschloss. Der Dresscode war ebenfalls bekannt: Ohne Anzug und Krawatte fand kein Bruder Einlass.
Diego Zehnder hatte eingeladen, der Briger Zahnarzt ist seit 2011 Sekretär. Hinter ihm steht ein Stiftungsrat, den Zehnder gleich selber präsidiert. Alljährlich fliesst Geld in die Kasse. Zum einen von der eingesammelten Kollekte tagsüber von den Anwesenden. Dieses Geld fliesst unmittelbar in ein von den Gastgebern ausgewähltes Projekt.
20 Gäste pro Gastgeber
Paul Schnidrig begrüsste im Rittersaal als einer der drei Gastgeber die Gemeinschaft. Sie dürfen jeweils 20 Personen aus ihrem Umfeld und Bekanntenkreis ans Osterlamm einladen. Das Trio teilt sich die Kosten von Speis und Trank und zahlt zudem je 3000 Franken in die Stiftung.
Zehnder setzte bei Tische Arno Lauber als Tafelmajor ein. Dieser hielt Antritts- wie Schlusswort und stellte der Korona die Redner vor, um sie bei Laune zu halten. Den Prolog hielt Paul Schneller. Offenbar regelmässiger WB-Leser, zumindest jeweils dienstags nach dem Osterlamm, wie sich herausstellte. An die Bruderschaft gerichtet, meinte er: «Eigentlich sind wir Osterlämmer ja eine hochinnovative, ja schon beinahe avantgarde Gemeinschaft. Nach über 200 Jahren haben wir es zum zweiten Mal geschafft, eine Frau in unsere Männerrunde einzuladen.»
Genau zum 226. Mal fand das exklusive Ostermahl statt, das einst als Versöhnungsmahl für zwei verfeindete Brüder ins Leben gerufen worden war.
Eine phantastische Gelegenheit, Leute zu sehen
Als erste Frau war die amtierende Bundesrätin Viola Amherd eingeladen worden, damals noch als Brig-Glis’ Stadtpräsidentin. Als diese als Vegetarierin das Menü gesehen habe, «hat sie Reissaus gemacht», berichtete Schneller, der im Kanton Basel-Land eine mobile Praxis für Reptilien, Vögel und Heimsäuger betreibt.
Der dritte Gastgeber im Bunde war Unternehmer Romed Guntern. Der gebürtige Visper hielt die geistliche Ansprache. Für ihn sei das Osterlamm «eine phantastische Gelegenheit, Leute zu sehen», sagte er im Gespräch. Guntern lebt wie viele Mitbrüder seit Jahrzehnten in der «Üsserschwiz».
Ein Höhepunkt, gar als eine Art Tabubruch angekündigt, war die Rede aufs Vaterland von Anja Wyden Guelpa. Erstmals trat eine Frau als Rednerin auf. Für sie sei es «ein Privileg», vor den Brüdern und Gästen zu sprechen. Wyden Guelpa wuchs neben dem Stockalperschloss auf. Bereits als Kind habe sie die chic gekleideten Herren gesehen, wie sie sich jeweils am Ostermontag zum Schloss begaben. Sie ging in ihrer Rede der Frage nach, mit welchen Werten man die direkte Demokratie stärken kann.
Die Speisekarte wiederum war gewohnt opulent: Startete mit einem Lachstartar in Harmonie mit einem Mosaik von Zander und Heuasche und endete mit einem Mousse vom Roggenbrot mit Birnenschaum, begleitet von einer mit Buttermilch-Espuma garnierten Aprikosen Jalousie.
Daniel Zumoberhaus
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