Politik | Patrick Zehner haute einst die bürgerlichen Walliser Parlamentarier in die Pfanne. Nun ist er ihr Lobbyist
Die seltsame Wandlung des Patrick Z.
WALLIS | 2001 bewertete Patrick Zehner für die «Rote Anneliese» die Walliser Parlamentarier. Jetzt dient der gleiche Mann deren Nachfolgern zu. Das damals vernichtend nach links ausgeschlagene Urteil pendelt nun zurück. Vorerst noch sanft.
Note 1 für Rolf Escher (CVP), Jean-Michel Cina (CVP) und Charles-Albert Antille (FDP), Note 2 für Simon Epiney und Maurice Chevrier (CVP), Note 3 für Fernand Mariétan (CVP), Note 4 für Odilo Schmid (CSP). Und Note 6 für Peter Jossen (SP) und Stéphane Rossini (SP).
So lautete im November 2001 die Legislatur-Halbzeitbilanz des damaligen RA-Schreibers Patrick Zehner. Das Ranking wurde kommentiert mit Ausdrücken wie «Trauerspiel», «sackschwach», «Totalausfall». Lob erhielten im völlig einseitigen Kampfblatt der Linken – oh Wunder – einzig die beiden SP-Nationalräte.
Dass so was niemand wirklich ernst nehmen konnte, weiss mittlerweile selbst der Autor. Der seit Mai 2019 im Amt weilende «Delegierte für nationale Angelegenheiten» habe sich damals, als junger Politik-Student, für ein sozialeres und ökologischeres Wallis einsetzen wollen, wie er auf Anfrage schreibt. «Aus dieser Perspektive und jugendlichem Engagement habe ich mich entsprechend pointiert und zuspitzend geäussert. Aus heutiger Perspektive bin ich mir natürlich bewusst, dass es weitere Interessen und Anliegen gibt, die für den Kanton Wallis ebenfalls wichtig sind».
Vergessenes ans Licht
So weit, so gut. Es ist das Privileg der aufmüpfig-forschen Jugend, übers Ziel hinaus zu schiessen. Erfahrung und Vernunft führen mit der Zeit selbst bei den hartgesottensten Linken zu moderateren Tönen. Bei jenen jedenfalls, die in ihrer Verblendung nicht gleich alle anderen als Dummköpfe und Schlafmützen bezeichnen und genauso die Pluralität der Gesellschaft hinterfragen, die ihnen vermeintlich so wichtig ist.
Die Ranking-Episode war denn auch längst vorbei und vergessen, bis eben just dieser Patrick Zehner vor einem Jahr von der Kantonsregierung zum «Delegierten für nationale Angelegenheiten» auf Bundesebene nominiert wurde. Zu diesem Stellenbeschrieb gehört nun mal zwangsläufig auch ein enger Kontakt mit den Wallisern im eidgenössischen Parlament.
Ist das die ideale Ausgangslage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit? Findet der Delegierte 18 Jahre später alles, was sich nicht im rot-grünen Kreis dreht, immer noch «sackschwach»? «In der heutigen Funktion mache ich nicht mehr Politik beziehungsweise bewerte diese, sondern will dazu beitragen, alle Interessen des Kantons zu vertreten», sagt er.
Kein Ranking mehr
Zu einem allenfalls vergleichbaren Ranking der heutigen Parlamentarier lässt er sich folglich wohlweislich nicht mehr hinreissen. «Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu bewerten.» Im Rahmen seiner aktuellen Tätigkeit habe er «bisher engagierte Walliser Parlamentarier kennengelernt, welche für die Anliegen des Kantons immer ein offenes Ohr haben». Immerhin.
Die ehemaligen Parlamentarier dürften die RA-Noten damals, selbstbewusst genug, locker von der Schulter gewischt haben. So sie sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen hatten. In der Zwischenzeit hat sich das Rad gedreht. Jetzt muss der einst unbedarfte Student selber liefern. Und erkennt, dass Lobbyarbeit vielseitig und aufwendig ist; Fortschritte einen langen Atem brauchen. So wie halt nun mal auch die Politik. Format und Höflichkeit gebieten den aktuellen Nachfolgern im Urteil über Zehner Zurückhaltung. Öffentlich wollen sie nicht zitiert werden. Doch eine Umfrage zeigt, dass der vom Schreiber zum Lobbyisten Mutierte noch Entwicklungspotenzial hat, um selber zu einer guten Note zu gelangen.
Noch Tritt fassen
Zehner wird von den Parlamentariern als stille Figur wahrgenommen. Er zeige sich zwar in einer angenehmen Art, habe aber Mühe, Tritt zu fassen. Um besser in Erscheinung zu treten, müsse womöglich auch die Funktion anders definiert werden, wird er gar in Schutz genommen. In der jetzigen Form bringe es jedenfalls nichts.
Im Austausch zwischen Kantonsregierung und -verwaltung auf der einen sowie den Walliser Deputierten im Bundeshaus auf der anderen Seite wird die Zusammenarbeit mit Xavier Bertelletto bevorzugt. Der «Verantwortliche für Bundesangelegenheiten», im Vergleich zu Zehner für den Kanton schon länger auf dem nationalen Lobbying-Parkett, liefere termingerecht verlässliche Unterlagen zur Vertretung der Interessen und Sichtweise des Kantons wie auch für mögliche Interventionen. Solche Facts seien nicht zuletzt für die Kommissionsarbeit dienlich.
Skepsis im Grossen Rat
Darüber, ob es für die naheliegenden Portfolios für «nationale Angelegenheiten» und «Bundesangelegenheiten» gleich zwei hoch dotierte Posten braucht, lässt sich trefflich streiten. Das war auch im Kantonsparlament nicht anders. Als 2018 die Ausschreibung für die «nationalen Angelegenheiten» lief, musste der Staatsrat lange nach einem geeigneten Kandidaten suchen. Die Nachfrage hielt sich in Grenzen. Vom Grossen Rat wurde die Personalie mit Skepsis begleitet und kritisch kommentiert. SPO-Fraktionschef Gilbert Truffer etwa sagte, er könne dem Vorgehen des Staatsrats in dieser Sache nicht viel abgewinnen. Sein Amtskollege von der SVP, Michael Graber, sah im gesuchten Lobbyisten «beim Präsidium des Staatsrats» nur einen Sinn, wenn dieser selber langjährige politische Erfahrung habe. Philipp Matthias Bregy, damals noch Fraktionspräsident der CVPO, stellte sich, als Kritiker so manch neu geschaffener Posten in der Kantonsverwaltung, positiv zu einer solchen Stelle. Sie könne im breiten Feld der Beziehungspflege Sinn machen. Inzwischen Nationalrat, bekräftigt er diese Haltung. Ob aus Zehners Arbeit bisher etwas Konkretes erwachsen sei, könne er allerdings nicht beurteilen.
So dem Lobbyisten die politische Erfahrung à la mode von Graber fehlt, verlässt er sich auf sein Beziehungsnetz in Bundesbern nach 15 Jahren Arbeit in Staatsdiensten, primär bei der Bundespolizei. Er kenne die Abläufe in der Bundesverwaltung und auch die parlamentarischen Verfahren genau, sagt Zehner. Er pflege das sich weiterhin im Aufbau befindende persönliche Netzwerk im Wissen um die Bedeutung informeller Kontakte. Wer wagt da die Behauptung, dass da ein Beamter ganz einfach eine neue Herausforderung suchte?
Unnötig oder sinnvoll?
Die Aussagen tönen jedenfalls, wie sie in solchen Fällen erwartet werden. Reichlich gummig. Und lassen von aussen einen Interpretationsspielraum zu, der von «völlig unnötig» bis «durchaus sinnvoll» reicht. Was immer auch die Lobbyarbeit an den verschiedensten Fronten bringen soll: Sicher ist, dass die Parlamentarier selber keinen Türöffner brauchen, wenn sie in der Bundesverwaltung einen Kontakt wollen. National- und Ständeräten stehen die Türen dafür stets offen. Und geht es gelegentlich nach ganz oben, in die Top-Liga
also, zu Amtsdirektoren, Wirtschaftskapitänen, Wissenschaftlern, Bundesrichtern, Diplomaten oder gar Bundesräten, sind Lobbyisten als Vermittler eher hinderlich. Da zählt nur noch das eigene Netz.
Auf die Frage, was er denn seit Mai neben Einarbeitung in die wichtigsten Themen, Kontaktpflege und Strategiebeschrieb der eigenen Arbeit schon konkret habe bewirken können, nennt Zehner das Flughafen-Dossier. Der Flugplatz Sitten und die Kantonsverwaltung würden hier nun enger zusammenarbeiten. Weiter nennt er das Energie- und Klima-Dossier.
Ob das genügt für einen hoch dotierten Job mit einem Anstellungsverhältnis von 90 Prozent und je hälftiger Tätigkeit in Sitten und Bern? Zehner zeigt sich überzeugt davon. Das würden auch die positiven Rückmeldungen aus der Kantonsregierung belegen. Die von ihm erarbeitete Strategie zur Interessenvertretung des Kantons in Bundesangelegenheiten sei am 9. Oktober 2019 vom Staatsrat verabschiedet worden und gelte als Wegweiser, Sitten und Bern einander näherzubringen. Sitten sei da von Bern meist weiter entfernt als umgekehrt. Wen wunderts? Der Schwächere muss sich immer stärker bemühen.
Lob von der Regierung
Staatsratspräsident Roberto Schmidt bestätigt: «Kernstücke der im Oktober gutgeheissenen Strategie sind ein noch intensiverer Informationsaustausch zu den Bundesangelegenheiten innerhalb der Kantonsverwaltung, eine Verstärkung des Netzwerkmanagements sowie eine frühzeitige Allianzbildung.»
Die Verstärkung der Präsenz in Bundesbern soll durch Zehner in erster Linie über die Bundesverwaltung erfolgen – und weniger über die Kontakte in der Wandelhalle des Bundeshauses. Weiter seien seine Kontakte in nationalen Organisationen und zu Fachdirektorenkonferenzen gefragt, «um Informationen frühzeitig abholen zu können. Ebenso wichtig sind eine intensive Begleitung der verschiedenen Regierungskonferenzen», sagt Schmidt. Er verweist diesbezüglich aus aktuellem Anlass auf das per 1. Januar 2020 übernommene Präsidium der Regierungskonferenz der Gebirgskantone. «Herr Zehner begleitet mich in dieser wichtigen Funktion.» So ist es also nicht mehr als recht, wenn Xavier Bertelletto bei den Parlamentariern näher im Kontakt steht.
Die ersten Monate zeigen laut Schmidt, dass Zehners Präsenz das Wallis näher ans nationale Geschehen bringt und Anliegen besser vertreten werden. Ja, hoffentlich auch. Neben dem auch von Schmidt genannten Flughafen-Dossier erwähnt der Regierungspräsident bezüglich konkreter Resultate Zehners zusätzlich «erfolgreiche Hintergrundarbeit in Energie- und Klimageschäften». Auch in der Frage der Chlortransporte durch den Kanton habe Zehner positive Resultate erzielen können.
Dass die Kantonsregierung die Arbeit des neuen Delegierten ins schönste Licht stellt, liegt in der Natur der Sache. Sie hat diese Position gewollt. Dass in den erwähnten Tätigkeitsfeldern genügend Arbeit vorhanden ist, mag niemand bezweifeln. Sie muss nur getan werden.
Über der Sache
Zugestehen muss man dem Staatsrat, bei der Wahl von Zehner über jeglicher parteiideologischer Sturheit gestanden zu haben. Ob mangels Alternativen, ist nicht zu beantworten. Vielleicht half ja Zehner auch, dass bei der Anstellung noch Esther Waeber-Kalbermatten die in der Mehrheit bürgerliche Regierung präsidierte. Der Delegierte verantwortet seine Arbeit direkt gegenüber dem alljährlich wechselnden Primus inter Pares.
Bei der Wahl war Zehners Vergangenheit als ehemals einseitiger RA-Schreiber im Staatsrat bekannt. «Wir haben ihn nach seinem wirklich starken Auftritt gegoogelt», verrät Christophe Darbellay. «Und von seiner Benotung der damaligen Walliser Parlamentarier Kenntnis genommen.»
Und? Nix und. Darbellay lächelt lediglich hinter den Stockzähnen. Dass er und Regierungskollege Schmidt damals noch nicht selber imNationalrat gesessen haben, dürfte ihnen den gefälltenEntscheid zumindest nicht erschwert haben.
Thomas Rieder
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar