Provins | Einst als Walliser Wein-Kolchose gegründet, steht die Genossenschaft vor einem Wendepunkt. Das wirft Fragen auf
Verrat an Troillets Erbe?
Morgen Donnerstag entscheiden die Genossenschafter, ob sie und Provins eine Schicksalsgemeinschaft bleiben. Oder ob man es künftig darauf ankommen lassen will. Nur eines scheint derzeit klar: Der Walliser Wein-Riese torkelt gefährlich. Wie konnte es so weit kommen?
«Provins steht heute auf einer gesunden und soliden Basis.» Diesen Satz sagte Pierre-Alain Grichting vor genau einem Jahr. Und dies, obwohl die grösste Schweizer Winzergenossenschaft gerade einen Verlust von 2,8 Mio. Franken verbuchen musste und der Umsatz hinunter auf nur noch 45 Mio. Franken fiel (65 Mio. 2008). Dennoch haben die Genossenschafter Grichting, ihren Verwaltungsratspräsidenten, Ende 2018 mit Standing Ovations verabschiedet. Der letzte Macher-Moment einer denkwürdigen Ära. Aber dazu später mehr.
Keine Abnahmegarantie mehr
Heute, einen Tag vor der diesjährigen Generalversammlung, weiss es der ganze Kanton: Der Genossenschaft geht es schlecht, sehr schlecht. Provins hat Liquiditätsprobleme, kann ihren Mitgliedern die Ernte nicht mehr bezahlen, Mitarbeiter werden nicht ersetzt, ein paar mussten gehen. Die Banken wissen nicht so recht, ob sie ihr Geld noch zurückbekommen, wenn sie es Provins leihen. Auch Staatsrat Christophe Darbellay, Agronom mit grossem Herzen für den Weinbau, denkt laut darüber nach, ob der Staat der Genossenschaft bei der Rückzahlung von Krediten noch etwas mehr Zeit geben will. Die Lage ist so ernst, dass es Provins ab morgen vielleicht nicht mehr so geben wird, wie man sie nun bald 90 Jahre lang kennt.
Vier Weingenossenschaften schlossen sich damals, Anfang der 1930er-Jahre, im Mittelwallis zusammen. Nach einem Jahrzehnt der Krisen fanden die Winzer keine Kellereien, die ihren Wein vermarkten wollten. Also half man sich selbst, im Verbund. Unterstützung erhielten sie von Maurice Troillet, Langzeit-Staatsrat (1913–1953), National- und Ständerat. Er gilt als Vater dieser Walliser Wein-Kolchose. Die Genossenschafter haben sich von Beginn an verpflichtet, ihre ganze Ernte an Provins abzuliefern, Provins wiederum muss diese nehmen, eine Schicksalsgemeinschaft. Seither hat dieser Artikel der Gründungsstatuten Bestand. Bis zur morgigen Generalversammlung?
Denn die Provins-Spitze um Direktor Raphaël Garcia und Verwaltungsratspräsident Léonard Perraudin wollen jetzt diese Abnahmegarantie gegenüber den Winzern aushebeln und eine Mengenbeschränkung für das Traubengut einführen. So wollen sie sich von den Zwängen befreien und das Traubengut je nach Marktlage einkaufen. Weil man zu wenig Geld hat, um die Winzer zu bezahlen. Weil die Lagerbestände immer weiter anwachsen, wie nach einer üppige Ernte, wie sie 2018 eine war. Weil die Schweizer immer weniger Wein trinken, vor allem hiesigen. Die Genossenschaft mit ihren über 3000 Genossenschaftern hat sich verrannt, in ihrer eigenen Planwirtschaft verplant. Morgen wird über diese Statutenänderung abgestimmt. Aber wie konnte es so weit kommen? Wer trägt die Verantwortung?
Fragen, auf die viele Szenekenner im Welschwallis Antworten haben. Aber niemand will sie zu laut sagen. Weil niemand weiss, auf welcher Seite er morgen nach der Generalversammlung stehen wird. Weil niemand so richtig abschätzen kann, ob eine Mengenbeschränkung auch eine Befreiung für die Winzer sein könnte oder schlichtweg ein Verrat an der bisherigen Arbeit, an Troillets Erbe.
Was aber alle wissen: Wenn Provins keine Lösung findet, verliert die ganze Branche. Die Genossenschaft ist too big to fail – fällt der torkelnde Riese hin, fallen auch die Preise. «Wenn es einem Grossen in der Branche nicht gut geht», sagte Philippe Rouvinez am Sonntag im «Le Matin Dimanche», «besteht die Gefahr eines Domino-Effekts.» Gleichzeitig sei man aber doch erstaunt über die Situation der Konkurrenz, heisst es beim zweitgrössten Walliser Weinhaus weiter. «Was uns angeht, wir sind ziemlich gut unterwegs.»
Garcia: Mit Sarkasmus durch die Krise
Solche Anmerkungen werden oft nachgeschoben, wenn man sich derzeit in der Branche umhört. Dass es viele private, kleine und mittelgrosse Keller gebe, die «konstant» oder gar «sehr gut» wirtschaften. Der eine oder andere Kollege könne sogar auf ein Rekordjahr zurückblicken, heisst es dort. Zum einen wollen die Winzer dadurch vermeiden, dass die Unsicherheit, die Provins ausstrahlt, sich auf die ganze Branche ausbreitet. Das Aufführen von Positivbeispielen ist aber auch ein Fingerzeig an Provins und deren Führung: «Seht her, wir sind auch vom rückläufigen Konsum betroffen, von niedrigen Margen, auch wir haben beim Jahrhundertfrost 2017 grosse Teile unserer Ernte verloren, wir halten uns trotzdem gut, aber was habt ihr falsch gemacht?»
Eine Frage, über die auch wir uns gerne mit Provins unterhalten würden. Aber über die geplante Statutenänderung sei bei der Medienkonferenz im November schon alles gesagt worden, lässt Direktor Garcia ausrichten. Was die Zahlen vom laufenden Jahr betreffen, wolle man die Genossenschafter am Donnerstag selbst informieren. Und: «Eventuelle gute Ratschläge von Kritikern für die positive Entwicklung von Provins sind selbstverständlich willkommen. Sie können ihnen meine Kontaktdaten weiterleiten.» Garcia will mit Sarkasmus durch die Krise. Ein guter Ratgeber? Auch Pierre-Alain Grichting kann nicht über die momentane Lage sprechen. Eine sogenannte «Cooling-off-Phase», die noch just bis nächste Woche dauert, verbiete es ihm, schreibt der vormalige Verwaltungsratspräsident auf Anfrage.
«Cooling-off», weil Grichting ja vor einem Jahr von der Verwaltungsratsspitze von Provins zu jener der WKB gewechselt war, also vom Schuldner zu einem Gläubiger. Ein Interessenkonflikt, bei dem er sich leicht die Finger verbrennen könnte. Während Grichting die Sache auskühlen lassen will, reicht indes ein Blick in die Archive und in die Pressemitteilungen aus seiner Ära, um zu wissen, dass hier noch das eine oder andere Brandnest auflodern könnte.
Grichting: Grosszügig gegenüber Winzern
Der Oberwalliser Unternehmer war noch nicht ein Jahr Präsident des Verwaltungsrats, hiess es, dass es wieder aufwärtsgehe. Der kleine Gewinn, der die grosse Genossenschaft 2014 auswies, ist zwar dank dem Verkauf zweier Immobilien vor Grichtings Zeit zustande gekommen. Aber der Erzählstrang war fortan gegeben: Pierre-Alain Grichting hat das Ruder herumgerissen, Provins in einem schwierigen Marktumfeld auf die Erfolgsspur zurückgebracht.
Zu der Zeit hatte er Roland Vergères, den langjährigen Direktor, längst in die Wüste geschickt und durch seinen Vertrauten Garcia ersetzt, den er von seiner Zeit als Verwaltungsratsmitglied der Foire du Valais her kannte. Noch im gleichen Jahr propagierte er ein neues Zahlungsmodell, wonach die Provins-Winzer schneller und auch höher vergütet werden. Mit dem höheren Preis pro Kilo Fendant wolle man, so die damalige Begründung, ein Zeichen an die Genossenschafter setzen, auch wenn man hierfür drauflegen müsse. «Als Provins haben wir einen Gesamtauftrag an unsere mehr als 3400 Mitglieder», sagte Grichting Ende 2014.
Gleichzeitig bereitete er bereits seine Kampagne für die Ständeratskandidatur von 2015 vor. Das Provins-Mandat als Wahlkampf-Vehikel? Für den Ständerat hat es nicht gereicht, aber mit Provins und Grichting ging es weiter nach oben. 56,85 Mio. Franken Umsatz und einen Gewinn von 783223 Franken verkündeten sie im Dezember 2015 bei der Generalversammlung. Provins stehe sehr solide da, sagte Grichting. «Provins hat keine Liquiditätsprobleme.»
Und so sollte es weitergehen. Ende 2016 teilt Provins mit, dass man den Rebberg vergrössern, die 1000-Hektaren-Grenze knacken will. Und man will das Verkaufsnetz ausbauen. Neue Shops im Oberwallis, aber auch in Zürich werden ins Auge gefasst. Man werde insgesamt 2,5 bis drei Mio. Franken investieren. 2017 geht der Umsatz von 55,7 auf 51,7 Millionen zurück. Grichting: «Wir wollen die Nummer 1 in allen Bereichen werden. Ich denke, wir sind auf Kurs.»
Ende 2018 verlässt Pierre-Alain Grichting die Winzergenossenschaft in Richtung Walliser Kantonalbank, nach Verlust und einem erneuten Umsatzrückgang. Nachdem Provins begonnen hatte, das Edel-Rebgut Régence-Balavaud zu mieten. Grichting kennt dessen Besitzer Stephane Imboden aus dem Verwaltungsrat der WKB. Und Provins mietet sich mit einem Shop bei der neuen Tankstelle in Susten ein. Die Volken Group, mit der Grichting verschwägert ist, war Baumeister der Anlage. Heute will Provins gemäss WB-Informationen aus dem zehnjährigen Mietvertrag wieder raus, weil zu teuer. Garcia: «Wir prüfen die Ergebnisse unserer Läden sowie alle unserer Aktionen kontinuierlich, um die Resultate zu optimieren.» Es tönt weiter so, als sei alles unter Kontrolle. «Provins steht heute auf einer gesunden und soliden Basis.» Diesen Satz sagte Pierre-Alain Grichting vor genau einem Jahr. Die Branche ist nun gespannt, welche Worte bei der morgigen Generalversammlung fallen.
Armin Bregy, David Biner
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