Militär | Die Hüttenbesitzer in Gampisch, Sike oder Niwe wappnen sich für ein amtliches Gefecht
Sie wollen die «Spittelmatten» vor VBS-Plänen verteidigen
Sie wussten, dass da was kommt. Aber jetzt, wo die Pläne aufliegen und die Matten abgesteckt sind, wird das Ausmass des VBS-Projekts auf dem Simplon erst fassbar. Die Hüttenbesitzer in den Alpen und Stafeln rund um die «Spittelmatten» sind «schockiert». Ein Besuch beim Widerstand.
Nein, sie sind keine Wutbürger, keine Verhinderer, die aus Spass und Prinzip gegen jedes Projekt einsprechen. Und Armee-Gegner sind sie schon gar nicht. Es sind Lonzianer und Lehrer, Angestellte und Pensionäre, die sich an diesem Samstag im Weiler Gampisch eingefunden haben. Sie haben hier ihre Kindheit verbracht, Streiche gespielt, «karisiert». Oberwalliser, die seit Generationen ihre Alpen und Hütten pflegen rund um den «Alten Spittel» und das Barralhaus, zwischen Simplonpass und Simplon Dorf. Sie fühlen sich verwurzelt, wo Reisende seit jeher Rast finden.
Nun sehen sie ihr Kleinod bedroht durch die Pläne des Verteidigungsdepartementes VBS. Der Schiessplatz Simplon, der wichtigste für die Armee und die Ausbildung ihrer Artillerie-Verbände, soll für gut 30 Mio. Franken ausgebaut werden. Die Pläne sind längst bekannt, liegen aber erst seit zwei Wochen im Büro der Gemeinde Simplon öffentlich auf. Und seitdem Profilmasten das neu geplante, 50 Meter lange und 15 Meter breite Betriebsgebäude in den «Spittelmatten» andeuten, wissen auch die Anrainer in Gampisch und in den Alpstafeln Sike und Niwe: Ihr Paradies wird nie mehr so aussehen wie zuvor. Wird es überhaupt noch eines sein?
Schiessbetrieb mit 12-cm-Mörsern
Er sei «konsterniert», ja «schockiert», sagt Bernhard Erpen nach der Ortsbegehung. Quasi von Amtes wegen ist er zum Wortführer der Gruppe mutiert. Erpen unterrichtet am Kollegium in Brig Deutsch und Geschichte. Die Hütte seiner Familie diente einst selbst als kleine Militärbaracke. Die Gruppe versteht sich nicht als IG, sondern als loser Verbund von Betroffenen.
Man begrüsse es zwar sehr, dass das VBS das altehrwürdige Barralhaus, das seit mehr als zehn Jahren aus sicherheitstechnischen sowie hygienischen Gründen leer steht, nun endlich saniert, sagt er. Und das Militär habe auf dem Simplon durchaus seine Berechtigung. Aber das Projekt gehe eindeutig zu weit.
Nebst dem riesigen Betriebsgebäude stören sich die Hüttenbesitzer vor allem auch am geplanten Panzerrundkurs in der Ebene. Eine acht Meter breite Fahrbahn, die westlich des Barralhauses startet und ein riesiges Oval in die Fläche zieht. Die hier stattfindenden Schiessübungen der Panzerhaubitzen und Schützenpanzer, bei denen künftig auch die neu angeschafften 12-cm-Mörser zum Einsatz kommen, werden die Grenzwerte der Lärmemissionen überschreiten. Auf dieser Panzerpiste wird es dereinst, wenige Hundert Meter neben den Hütten, rattern und krachen. Laut heutigen Plänen geht die Armee davon aus, dass hier jährlich rund 2000 Schuss abgefeuert werden.
Der Krach sei aber nicht das Hauptproblem, sagt Erpen, zumal der Schiessbetrieb während der Sommermonate eingestellt wird. Den Hüttenbesitzern geht es in erster Linie um das Gesamtbild. Das kulturhistorisch bedeutende Ensemble Stockalperturm und Barralhaus werde durch die neuen Bauten zerstört. Und mit ihm das Naherholungsgebiet, das nicht nur von den Familien in den Stafeln, sondern auch von Wanderern und Touristen geschätzt wird. Erpen kramt ein Foto hervor, auf dem die Gegend in einen sanften Morgennebel gehüllt ist. Es sieht aus wie ein Gemälde aus der Spätromantik. Erpen und seine Mitstreiter sind fest entschlossen, den für sie idealen Ist-Zustand zu bewahren. Die Einsprachen sind in der Vorbereitung. Im kleinen Widerstandsnest auf der Simplonsüdseite wappnet man sich für ein amtliches Gefecht gegen das VBS.
Guter Bericht, aber man traut den Behörden nicht
Nur: Das dürfte schwierig werden. Denn das VBS hat aus vergangenen Fehlern gelernt und für das neue Projekt auf dem Simplon, so scheint es zumindest, jeden Stein umgedreht. Der Umweltverträglichkeitsbericht umfasst mehr als 350 Seiten. Demnach sollen etwa allfällige Fledermauspopulationen im Barralhaus umgesiedelt werden, unter Aufsicht eines Fledermausschutzbeauftragten. Aspisvipern werden eingefangen und nach der Bauphase gleichenorts wieder ausgesetzt. Oder: Während des Baus soll sogar ein Ameisenhaufen geschützt werden. Die Immobilienabteilung des Bundesamtes für Rüstung armasuisse, die als Bauherrin auftritt, wird auf jeden Einwand eine Antwort parat haben.
Dazu sind die «Spittelmatten» aus Sicht des VBS ideal gelegen. Umgeben von allen möglichen Landschafts- und Naturschutzzonen. Aber das weite Rund vor dem Barralhaus fällt in keine dieser Zonen. So dürfte es auch für die Verbände schwer werden, das Projekt zu beanstanden. Die Gruppe rund um Bernhard Erpen weiss das auch. «Wir versuchens natürlich trotzdem.»
Die Gruppe sitzt nun gemütlich beim Apéro. Die Stimmung ist zwar ausgelassen. Die Diskussionen bleiben aber angeregt. Man fühlt sich klein und machtlos gegenüber dem Riesenprojekt. Und man fühlt sich vom VBS regelrecht überfahren. «Bedauerlicherweise», so Erpen, «wurden wir trotz intensiver Bemühungen während rund zweijähriger Vorbereitungszeit in keiner Art und Weise in die Projektierung mit einbezogen.» Jüngst wurde man zwar zu einem Info-Anlass mit den Projektverantwortlichen geladen, hält man hier der Armee zugute. Aber in Gampisch traut man den Beamten nicht. So stösst hier etwa sauer auf, dass die Gemeinde Simplon das ganze Projekte samt Panzerrundkurs und neuem Betriebsgebäude im Amtsblatt lediglich als «Sanierung» ausgeschrieben hat. «Ein Tarnmanöver der Behörden», ist sich die Gruppe einig. Und dass das VBS im Plangenehmigungsverfahren verspricht, die Anlagen «zurückhaltend in das vorhandene Landschaftsbild» einzubetten, sei eine von mehreren rhetorischen Nebelpetarden, abgefeuert aus den Stellungen aus Bundesbern.
Später wird die Gruppe kleiner. Manche müssen noch für die Ferien packen. Andere ziehen sich zurück auf den Vorplatz ihrer Hütte, Mittagszeit. Die Gruppe um Bernhard Erpen hofft nun auch auf die Unterstützung aus der Bevölkerung, dass die Verbände intervenieren, vielleicht die Politik. In Gampisch stehen sie aber allein auf noch unangetasteter Flur. Denn in Simplon Dorf oder in Gondo werden die Pläne des VBS grossmehrheitlich begrüsst. Hier ist man seit jeher froh, wenn die Soldaten in den örtlichen Läden und Beizen einkehren. Umso besser, wenn der Bau Aufträge für örtliche Firmen abwirft. In den Gemeinden auf der Simplonsüdseite kämpft man nicht fürs Paradies, sondern für den Alltag.
David Biner
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