Kulturpolitik | Theaterakteure über Geld, Transparenz, Separierung von Profis und Amateuren und Modelle, die die Gräben verringern könnten
Theaterschaffende an einem Tisch

Gesprächsrunde. Akteure aus der Theaterwelt treffen sich zu einem Meinungsaustausch rund um das Thema Kulturförderung der Bühnenkunst. Jennifer Skolovski, (rechts) kam noch geschminkt direkt von einer Probe ans Gespräch.
Foto: WB / Alain Amherd
VISP | Vertreter vom Kanton, von Theaterhäusern, Amateur-, Laientheatern und professionellen Theaterschaffenden setzen sich an einen Tisch, um über die kantonale Kulturförderung im Bereich der Bühnenkünste zu reden. Weder ihre Ausgangssituation noch ihre Ansichten sind deckungsgleich. Ein Positionsbezug.
Jennifer Skolovski, wie würden Sie die Situation der professionellen Theaterschaffenden in Bezug auf die kantonale Kulturförderung im Rahmen von TheaterPro beschreiben?
«Ich finde es wichtig zu betonen, dass man Laien nicht mit Profis vergleichen kann. So wie die Fördersysteme in der Kultur funktionieren, ist man als Profi ganz stark auf öffentliche Gelder angewiesen. Wenn wir die nicht haben, können wir nicht von unserem Beruf leben. Amateure leben nicht vom Theaterschaffen. Das ist der grosse Unterschied. Betrachtet man die Summen, die bei TheaterPro-Projekten vom Kanton an die Kompagnien ausbezahlt werden, sieht das bei einer oberflächlichen Betrachtung nach grossen Beträgen aus. So ist es aber nicht. Den Hauptkostenfaktor stellen im Theater Personalkosten dar. Wir berechnen unsere Budgets auf der Basis eines Bruttolohnes von 5000 Franken. Wenn wir die Finanzierung nicht erreichen, wird hier als Erstes gestrichen. Ausserdem bezahlen wir davon Bühnenbild, Kostüme, Technik, Mieten, Hotelzimmer und Mahlzeiten. Das bedeutet, ein grosser Teil der Gelder fliesst wieder zurück in die regionale Wirtschaft.»
Bernadette Wintsch-Heinen, wie sieht die Situation für Amateur- und Laientheater aus?
«Bei der Bühne Mörel arbeiten Profis mit Laien zusammen. 3000 Franken Unterstützung vom Kanton würden nicht ausreichen, um mit einer professionellen Kostümbildnerin oder einer professionellen Regie zu arbeiten. Zusätzliche Gelder erhalten wir durch das Gefäss ‹Kulturelle Teilhabe›, das jedoch eine bestimmte Arbeitsweise bedingt. Wenn man Laienbühnen, die im Oberwallis eine grosse Tradition haben, auch in Zukunft erhalten und ihnen Anerkennung aussprechen will, könnten die Beiträge vom Kanton höher ausfallen.»
Johannes Millius, sind Sie mit der Kulturförderung im Bereich Bühnenkunst für Amateur- und Laientheater des Kantons zufrieden?
«Wir können sehr gut damit leben, dass wir eine Defizitgarantie erhalten und keine weiteren Beiträge. Laien oder Amateure arbeiten unter ganz anderen Bedingungen als Profis und haben ganz andere Ziele. Bei uns steht der soziale, gesellschaftliche Aspekt im Vordergrund. Wir sind froh, dass wir ein Teil der Walliser Kulturlandschaft sein dürfen. Wir wissen aber genau, wo dort unser Platz ist.»
Mani Wintsch, wie sehen Sie das?
«Betrachtet man die Deutschschweizer oder die Deutsche Theaterszene kann man feststellen, dass die Verbindung zwischen Laien und Profis viel weiter vorangeschritten ist als im Wallis. Im Bereich Musik gibt es viele Zusammenarbeiten, bei denen Laienmusiker mit einem gewissen Niveau in ein Orchester integriert werden. Es ist dann auch klar, dass die nicht umsonst spielen müssen. Komischerweise ist das im Theater tabu. Es wird nicht einmal angedacht, ob der Graben zwischen Profis und Laien verringert werden könnte. Solche Zusammenarbeiten nähmen den Profis ja nichts weg. Daraus könnten sogar neue Beschäftigungsformen für sie entstehen. Die Separierung von Profis und Laien, wie sie vom Kanton Wallis vorgenommen wird, ist hier schon wegen des beschränkten Einzugsgebiets ungünstig. Die Bürgerbühnen in Deutschland zum Beispiel versuchen, Gruppierungen näher zusammenzubringen und gemischte Projekte zu fördern. Es wäre gut, eine Förderung in diese Richtung anzudenken.»
René-Philippe Meyer, was ist die Aufgabe der öffentlichen Hand bei der Theaterförderung?
«Das kantonale Kulturförderungsgesetz sieht eine Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden und Kanton vor. Animation und das Schaffen von Laien fallen in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Die Hauptaufgabe des Kantons besteht darin, das Schaffen von Professionellen zu ermöglichen. Unsere Walliser Profi-Schauspielerinnen und -Schauspieler werden von anderen Kantonen mit Handkuss genommen. Diese Abwanderung von künstlerischem Know-how wollen wir verhindern. Deshalb ermöglichen wir den Professionellen, mit den Subventionen von TheaterPro im Wallis zu arbeiten. Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir haben aber das Dispositiv ‹Kulturelle Teilhabe› eingerichtet. Das unterstützt gemeinsame Schaffensprozesse zwischen Profis und Laien. Nicht zulässig sind jedoch Projekte, bei denen ein Laienensemble einen oder mehrere professionelle Künstler für die Aufführung eines Werks aus dem Repertoire engagiert. Die Verteilung der kantonalen Gelder im Rahmen von TheaterPro über die letzten Jahre entspricht im Verhältnis dem Pro-Kopf-Anteil der Bevölkerung im Ober- und Unterwallis. Die Gelder von TheaterPro stammen zu einem Drittel vom Kanton und zu zwei Dritteln von der Loterie Romande. Theaterschaffende können also für TheaterPro-Projekte keine zusätzlichen Gelder von der Loterie verlangen.»
Edi Sterren, wie beurteilen Sie das Subventionsgefäss TheaterPro?
«TheaterPro gibt es seit dem Jahr 2006. Der Kanton und die Loterie Romande wollten damit Profis, Theaterhäuser inklusive Technik unterstützen. Es wurde damals gesagt, dass es sich bei den 600000 Franken um zusätzliche Gelder handelt, die speziell für professionelles Theaterschaffen bereitgestellt würden. Wenn das so ist, ist das doch positiv für alle. Die TheaterPro-Produktion vom Theater Ariane, die letzten Monat in Visp zu sehen war, wird noch 25 Mal in der Deutschschweiz vor rund 3500 Besuchern aufgeführt. Auf den Werbeträgern steht jeweils ‹Ko-Produktion mit dem Theater La Poste Visp, unterstützt vom Theater Pro Wallis› ergänzt mit den entsprechenden Logos. Auch wenn das Theater seinen Sitz in Winterthur hat, haben dort drei Walliser Schauspieler die Möglichkeit, mitzuspielen. Mein Standpunkt ist der, dass man daneben Amateure, die professionelle Arbeit leisten, wie das zum Beispiel im Musical Aurora der Fall war, auch unterstützen sollte. Aber das ist meine Meinung. Entscheiden muss das der Kanton.»
TheaterPro-Projekte werden nach vordefinierten Förderkriterien beurteilt. Das heisst aber auch, dass der Künstler am erfolgreichsten ist, der sich am besten auf diese Förderkriterien einstellt. Wie wirkt sich das auf das kulturelle Schaffen aus?
Jennifer Skolovski: «Natürlich könnte man auf die Kriterien schielen, um das Optimum an Unterstützungsgeldern herauszuholen. Das macht aber niemand. Es muss ein anderer Antrieb vorhanden sein, um die Energie für die Theaterarbeit aufzubringen. Unsere Motivation ist nicht das Geld. Wenn wir aber am Schluss für unsere Arbeit bezahlt werden – Hallelujah! Dann freuen wir uns.»
Mani Wintsch: «Ich habe mit Profis darüber gesprochen, wie sie zu TheaterPro-Geldern gekommen sind und welche Einschränkungen sie dafür in Kauf nehmen mussten. Die Produktionen entsprechen oft nicht dem, was gemäss ihrem Potenzial möglich wäre. Das hat auch damit zu tun, dass die Gelder knapp für das Engagement von drei bis fünf Schauspielern reichen. Zudem muss das Projekt so konzipiert sein, dass man damit auf Tour gehen kann. Das ist für die Macher dieser Projekte nicht immer befriedigend. Wenn eine Zusammenarbeit zwischen Profis und Laien unterstützt würde, könnten auch Stücke mit grösserer Besetzung zur Aufführung kommen. Dadurch wäre eine ganz andere Stückwahl möglich.»
Was könnte an der kantonalen Kulturförderpolitik im Bereich Bühnenkunst Ihrer Meinung nach verbessert werden?
Jennifer Skolovski: «Das Wallis ist bekannt für komplizierte Verfahren, um an die Gelder zu kommen. Es ist nicht einfach, sich im Dschungel der Förderkriterien zurechtzufinden. Aber der Kanton gibt sich sehr Mühe, immer wieder neue Subventionsangebote zu schaffen. Wir sind sehr froh, um das Dispositiv TheaterPro. Es ist für uns die einzige Möglichkeit, im Wallis Theater zu kreieren und damit nachher auf Tournee zu gehen. Kunst und Kultur können zwischen dem Ober- und Unterwallis Brücken bauen. Dieser Aspekt ist auch wichtig.»
Bernadette Wintsch-Heinen: «Das kantonale Dokument der Subventionsmöglichkeiten für den Bereich Bühnenkunst lässt bei mir viele Fragen offen. Wenn ich das Reglement lese und dann höre, wer für was wie viel Geld bekommen hat, kann ich das nicht nachvollziehen. Da fehlt mir die Transparenz. Anhand dieses Dokuments kann ich mir nicht erklären, warum bestimmte Projekte gewisse Summen erhalten. Es fehlt die Logik, die erschliessen würde: Ah, da sind diese und diese Kriterien erfüllt, also resultiert daraus dieser Betrag.
Johannes R. Millius: «Ich möchte mich nur zum Bereich der Förderung von Laien- und Amateurtheatern äussern. Man blickt schlecht durch, warum zum Beispiel ein Zweipersonen-Stück 5000 Franken erhält und eine riesige Freilichtproduktion bloss 3000 Franken. Die Transparenz ist nicht gegeben. Anhand der kantonalen Dokumente erklärt sich mir das nicht. Aber sonst sind wir zufrieden, wie das läuft. In anderen Kantonen werden Laientheater überhaupt nicht unterstützt. Deshalb sind wir schon froh um die Defizitgarantie.»
Mani Wintsch: «Der Abschnitt, bei dem die Zusammenarbeit zwischen Profis und Laien definiert wird, müsste überdacht werden. Es besteht ein existierendes Netz mit Oberwalliser Laientheatern. Für Profis müssten neue Anreize geschaffen werden, um mit Laien zusammenzuarbeiten. Aufgefallen ist mir auch, dass eine Ausbildung bei den Professionalitätskriterien der Bühnenkunst als nicht zwingend aufgelistet ist. Das ist ein Witz. Von Theaterschaffenden werden heutzutage Ausbildungen auf Bachelor- oder Master-Niveau erwartet. Das ist in diesen Kriterien überhaupt nicht abgebildet. Die sind völlig veraltet. Ansonsten bin ich der Meinung, dass das kulturelle Leben gefördert werden muss, damit es frei bleibt. Wenn wir nur noch Geld von Sponsoren hätten, würde sich das auf die Stückwahl auswirken. Das wäre für alle ein Verlust. Darum lohnt es sich zu kämpfen, dass die Idee der Kulturförderung hochgehalten wird.»
Die Gesprächsteilnehmer:
René-Philipp Meyer ist Kulturberater bei der Walliser Dienststelle für Kultur und zuständig für den Bereich Theater.
Edi Sterren ist Direktor des Theaters La Poste in Visp, mit dem Label Walliser Profitheater.
Johannes R. Millius arbeitet als Leiter beim Theaterverlag Elgg. Er ist Regisseur beim Amateurtheater «Wort und Spiel Ensemble».
Bernadette Wintsch-Heinen ist Schauspielerin und arbeitete auch als Dozentin im Departement Darstellende Künste und Film an der Zürcher Hochschule der Künste.
Mani Wintsch ist Regisseur und arbeitete als Vertiefungsleiter BA Schauspiel und Dozent im Departement Darstellende Künste und Film an der Zürcher Hochschule der Künste. Bernadette und Mani Wintsch haben die künstlerische Leitung der Bühne Mörel gemeinsam inne.
Jennifer Skolovski ist professionelle Bewegungskünstlerin. Sie ist auch als künstlerische Leiterin, Managerin, Theaterpädagogin oder Regisseurin tätig. Sie vertretet im Gespräch die professionellen Walliser Theaterschaffenden, die sich in der Regionalgruppe des Verbands t.national zusammengeschlossen haben.
Interview: Nathalie Benelli
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