Literatur | Thor Kunkels neuer Roman spielt im Wallis. Bisher wartet er vergeblich auf eine Veröffentlichung
Der lebende Tote der deutschen Literatur

Wird er ausgegrenzt oder hat er sich vom gesellschaftlichen Konsens entfernt? Der Autor Thor Kunkel sieht sich als Opfer einer Rufmord-Kampagne der Medien.
Foto: WB/ANDREA SOLTERMANN
Der Autor Thor Kunkel wurde früher mit Literaturpreisen überhäuft. Mit dem Erscheinen seines dritten, heftig umstrittenen Romans drehte der Wind jedoch schlagartig. Er wurde in Deutschland zum Geächteten. Doch er schreibt weiter. Nun hat er eine skurrile, temporeiche Räubergeschichte verfasst, die sich im Wallis abspielt. Erschienen ist der Krimi noch nicht. Warum reissen ihm die Verleger das Buch nicht aus den Händen? Eine Spurensuche.
Thor Kunkels erster Roman «Schwarzlicht-Terrarium» erschien im Jahr 2000. Die Kritiker überschlugen sich mit Lob. Er gehörte zu den Teilnehmern beim Wettbewerb um den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis und gewann dort den Ernst-Willner-Preis. Die FAS-Feuilleton-Redaktion wählte den Roman in den Kanon der «25 wirkungsvollsten deutschen Bücher der letzten 20 Jahre». Martin Walser setzte das Loblied auf Kunkel in der TAZ fort und nannte ihn einen Benennungsbesessenen.
Doch mit seinem dritten Roman «Endstufe» drehte der Wind schlagartig. Das Buch wurde in den Medien mit Häme überschüttet. Dieser Roman hat Kunkel viel von seinem Renommee als Autor gekostet. In Verlagstexten bewarb Thor Kunkel den Roman mit den Worten: «Ich glaube, es ist wichtig, das Dritte Reich unter dem Aspekt der Verführung und der Verblendung zu sehen. Ich habe versucht, das Private zu durchleuchten. Ich benutzte Pornografie als poetische Metapher, um das Phänomen Drittes Reich vollständig zu erfassen.» Bei den deutschen Medien kam das gar nicht an. Sie sahen darin eine Darstellung, in der die Deutschen einfach so und fast zufällig in die Täterrolle hineinflutschten und schliesslich selber Opfer wurden. Unakzeptabel. Darin waren sich die tonangebenden Blätter einig.
Weit auf die Äste hinausgewagt
Kunkel hat sich mit diesem Roman sehr weit auf die politischen Äste hinausgewagt. Dann zog der Sturm auf und es wurde ungemütlich. Die Folge des Fauxpas’: Als Autor war er erst einmal erledigt. Auch fünf Jahre nach dem Erscheinen dieses Skandalromans wollten sich die Wogen nicht glätten. 2009 entzog er sich sowohl dem deutschen Kulturbetrieb als auch dem deutschen Feuilleton und nahm Wohnsitz auf der Riederalp – ein Gestrandeter und ein Flüchtling des Literaturbetriebs auf der Suche nach der heilen Welt in den Bergen.
Im Oberwallis wurde er mit offenen Armen empfangen. Für den Grossanlass «Light & Music» im Rahmen der 800-Jahr-Feier Brigs verfasste er die Texte. Die Simplonstadt wurde selten wortgewaltiger beschrieben. Dann veröffentlichte er «Wanderful». Ein autobiografisches Buch über sein neues Leben in den Bergen: Philosophisches und Gedankensprünge auf seinen Wanderungen vom hintersten Baltschiedertal bis ins Val d’Hérémence. Die Texte sind poetisch und voller Kraft. Von vielen Oberwalliser Kulturschaffenden wurde er hofiert. Zwei Jahre dauerte sein zurückgezogenes Leben hinter den sieben Bergen, dann zog es ihn wieder in städtische Gefilde – nach Lausanne. Auf der Riederalp ist er aber immer noch oft anzutreffen. Es erschienen weitere Bücher wie «Subs» oder «Mir blüht ein stiller Garten». Thor Kunkels Gartenbetrachtungen lassen eine Ruhe aufkommen, die der Meditation nahekommt. Doch die Diskussionen um seine politische Gesinnung nehmen kein Ende. 2017 wurde bekannt, dass er als PR-Freelancer die rechtsnationale Partei AfD (Alternative für Deutschland) im Wahlkampf beraten hatte. Darüber muss man reden.
«Ich schreibe keine ideologischen Texte»
Grenzt das System, grenzt der Kulturbetrieb Thor Kunkel aus? Oder hat er sich immer weiter vom minimalen gesellschaftlichen Konsens in seinem Heimatland mit seiner besonderen geschichtlichen Verantwortung entfernt? Um diese Frage schlüssig zu beantworten, bedürfte es wohl einer vertieften und differenzierten Auseinandersetzung.
Thor Kunkel, stammt der Slogan «Burkas? Wir stehen auf Bikinis.» aus Ihrer Feder?
«Nein, aber er entstand nach meinen Vorgaben. Ich habe immer Werbe-Beratung gemacht und blicke auf mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in England, Deutschland und den Niederlanden zurück. Die AfD habe ich während des Bundestagswahlkampfs in allen kommunikationsstrategischen Fragen beraten. Zu meinen Kunden zählten früher übrigens auch schon Swissair, Apple, Coca-Cola, BMW und Levis. Davon spricht niemand.»
Aber Ihr Blog oder Ihre Facebook-Posts lesen sich schon so, als ob Sie immer wieder die Nähe zur AfD suchten.
«Wie soll das gehen? Ich habe schon lange vor der Gründung der AfD (2013) nie ein Blatt vor den Mund genommen. Mein literarisches Markenzeichen war sozusagen die intellektuelle Verbal-Injurie, hart und klar in der Sache. Leider ist die Meinungsfreiheit in Deutschland bei dem politisch-medialen Komplex, der die Presse kontrolliert, restlos verpönt. Die können nicht mehr differenzieren, ob jemand persönlich von gesellschaftlichen Entwicklungen aufgekratzt ist oder ob er eine ideologische Agenda bedient. Ich habe jedenfalls keine und bin auch kein Parteimitglied der AfD.»
Würden Sie denn für etwas werben, hinter dem Sie nicht stehen können?
«Nein, bestimmt nicht. Ich würde niemals etwas bewerben, das der Gesellschaft schadet. Im Fall der AfD freue ich mich über die Rückkehr von Meinungsvielfalt im Bundestag. Es gibt endlich wieder hitzige Debatten. Der Diskurs ist gut für die Demokratie.»
Der deutsche Verfassungsschutz hat sich offenbar mit der AfD oder Teilen davon befasst. Inzwischen ist es gerichtlich untersagt worden, die AfD als «Prüffall» für den Verfassungsschutz zu bezeichnen. Aber es sitzen zweifelsfrei Leute in wichtigen Positionen, die ein zweifelhaftes Geschichts- und Demokratieverständnis haben.
«Vielleicht ist das nicht leicht für die Schweizer zu sehen, aber die AfD ist doch nicht mit Hitlers NSDAP zu vergleichen. Schlimm ist auch der inflationäre Begriff des Worts ‹Nazi›. Ist denn wirklich jeder ein Nazi, der eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt? Dadurch werden die Verbrechen der echten Nazis verharmlost, ja, relativiert. Vergessen wir nicht, damals wurden Millionen Menschen bestialisch massakriert. Ich habe während meines Ausflugs in die Politik in der AfD keine Nazis kennengelernt, nur Bürgerinnen und Bürger wie Sie und ich. Die haben keiner Fliege etwas zuleide getan. Ich erinnere mich an eine Frau, die sich aus Sorge um die Zukunft ihrer Kinder in die Politik gestürzt hatte. Andere störte die Tatsache, dass man immer noch irgendwelche Gestalten ohne Papiere einfach so einreisen lässt. Als Steuerzahler ist es das Recht der Bürger, Missstände zu monieren, wenn die Regierung die Lage verkennt. Ich stand übrigens den Frankfurter Grünen zu Gründungszeiten sehr nahe: Glauben Sie mir, da gab es genauso viele Querdenker und vermeintlich ‹Verrückte› wie heute in der AfD.»
Hat Ihre Inszenierung als Ausgegrenzter Methode?
«Das ist leider keine Inszenierung. Die deutschen Medien haben mich immer noch auf dem Kieker. Meine Freunde, meine Frau, meine Geschwister erkennen mich jedenfalls in dem, was sie in den Medien über mich lesen, nicht wieder. In Deutschland schreibt man halt nur über mich, aber man spricht nicht mit mir.»
Ihr Buch «Subs» wurde 2018 unter dem Titel «Herrliche Zeiten» erfolgreich verfilmt. Der Regisseur Okkar Roehler sagte gegenüber Deutschlandfunk Kultur: «Ich weiss, dass der Ansatz des Buchs damals von Thor tatsächlich der war, diese prekären Arbeitsverhältnisse darzustellen, dass unzählige Leute ins Land gelassen werden und dass es einen riesigen Markt an illegaler kompletter Ausbeutung von Menschen gibt. Ob die Kritik jetzt von rechts oder von links kam, finde ich, ist aus dem Roman in überhaupt keiner Weise herauszulesen.» Sind Sie damit als Autor rehabilitiert?
«Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch lange kein Schadensersatz. Und auch auf der Berlinale gab es wieder Leute, die nicht mit mir über den roten Teppich laufen wollten, weil ich ein ganz schlimmer Rechter sei.»
Sehen Sie einen Ausweg aus der vertrackten Situation?
«Nach dem Riesen-Skandal um ‹Endstufe› sagte mir mal ein Feuilletonist der FAS, eigentlich müsse ich ‹nur noch sterben›, ich hätte ja alles erreicht. Nach meinem Tod würden dann andere, unvoreingenommene Literaturkritiker mein Werk neu beurteilen. Fest steht: Ich schreibe keine ideologischen Texte und vertrete keine Dogmen. Im Gegenteil lasse ich mich von meiner Intuition treiben. Im Fall von ‹Endstufe› waren das nun mal historisch im Dritten Reich agierende Figuren. Leider haben die Deutschen noch immer ein verkrampftes Verhältnis zu ihrer Geschichte. Da musst du als Autor erst 50 Geschichtsbücher wälzen, um einen Satz Rollenprosa belegen zu können. Ich dagegen ‹verbrenne› beim Schreiben die bekannten historischen Fakten. Wohin die Reise geht, sehe ich immer erst am Ende eines Romans. Ich kann verstehen, dass das manchen verschreckt.»
Ihr neuster Roman spielt im Wallis. Es ist eine irrwitzige, verrückte Räubergeschichte mit unerwartetem Ausgang. Es geht um zwei Randständige, die auf ihrer Diebestour sakrale Gegenstände aus Kirchen und Kapellen stehlen. Ein Buch, das sich geradezu für eine Verfilmung anbietet. Bisher hat aber noch kein Verleger zugesagt, das Werk zu veröffentlichen. Hat das mit ihrem Image als Skandalautor zu tun?
«Seit der letzten Rufmord-Kampagne der Medien vor einem Jahr, ist es für mich noch schwerer geworden, einen Verlag zu finden. Ich erhalte nur noch Floskel-Absagen. Da geht es offenbar nicht um die Qualität meiner Texte, sondern darum, Gesinnungsdruck auszuüben.»
Nathalie Benelli
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